Kreis Pinneberg/Hamburg. Bringverkehr mit Autos ist eines der größten Risiken für Schul- und Kita-Kinder. Doch die Lösung des Problems ist kompliziert.
Der Ärger ist benannt und erkannt: Demnach sind Elterntaxis, also der autogetriebene Shuttleservice zu Schule und Kita, das mit Abstand größte Problem für die Sicherheit von Kindern. Das gilt erst recht in der Metropolregion Hamburg und nicht zuletzt im dicht besiedelten Nachbarkreis Pinneberg. Zudem schadet es der Umwelt und dem Klima.
Darum hat das Nachbarschaftsforum, dem die Kommunen am Stadtrand zu Hamburg und der Kreis Pinneberg sowie die Bezirke Altona und Eimsbüttel angehören, vor eineinhalb Jahren eine Studie in Auftrag gegeben, wie diese Gefahr der sogenannten Elterntaxis in den Griff zu kriegen sei. Jetzt liegen dazu erste Ergebnisse vor, die das Abendblatt exklusiv vorstellt.
Elterntaxis im Kreis Pinneberg: So sollen sie jetzt ausgebremst werden
So hat der Verkehrsplaner Jens Leven vom Büro bueffee in Wuppertal mit seinem Team zunächst 88 Kindertagesstätten, 27 Grundschulen und 27 weiterführende Schulen im Kreis Pinneberg und dem Hamburger Westen angeschrieben. Anschließend sind davon 40 Einrichtungen konkret befragt worden, was dort die Hauptprobleme im Mobilitätsverhalten von Eltern, Schülern und Kindern seien.
Das Ergebnis ist wenig überraschend: 118 von 294 Antworten, also 40 Prozent, nannten dabei das morgendliche und nachmittägliche Elterntaxi vor ihrer Schule oder Kita als das Hauptproblem. Es wurde fünf- bis sechsmal häufiger genannt als die nächstfolgenden Problemstellungen: zu hohes Tempo der Fahrzeuge, fehlende Querungshilfen auf der Straße, zu wenig Abstellmöglichkeiten für Fahrräder.
Zwölf Schulen und Kitas in sieben Orten des Kreises werden nun genau untersucht
Von den befragten Einrichtungen sollen nun 16 Schulen und Kitas im Detail untersucht werden. Außerdem sollen den betroffenen Städten und Gemeinden konkrete Maßnahmen vorgeschlagen werden, was sie tun können und wie das Verhalten der Eltern am besten zu ändern sei. Dies sind im Kreis Pinneberg zwölf Einrichtungen.
Untersucht werden die evangelische Tageseinrichtung und die Hermann-Löns-Grundschule in Ellerbek, Grundschule und Kindergarten Bickbargen sowie die Kita Sonnensegler und das Wolfgang-Borchert-Gymnasium in Halstenbek, die Helene-Lange-Schule in Pinneberg, die Grundschule Mühlenberg in Quickborn, die evangelischen Johannes- und Matthäus-Kindergärten sowie die Brüder-Grimm-Schule in Rellingen, die Grundschule Altgemeinde in Schenefeld und die Moorwegschule in Wedel.
Die ersten Schulwege im Kreis hat der Verkehrsplaner bereits untersucht
Erste Erhebungen und Begehungen der Wege zur Schule und zur Kita hat Verkehrsplaner Leven bereits unternommen. Die Ergebnisse sollen den betroffenen Kommunen und jeweiligen Bildungseinrichtungen Ende des Jahres zur weiteren Beratung und Planung vorgelegt werden.
Dem Abendblatt verriet er schon vorab einige in ihrer Deutlichkeit überraschende Aussagen der Studie. So werden zurzeit mehr als 17,7 Prozent der Schülerinnen und Schüler am Wolfgang-Borchert-Gymnasium in Halstenbek von Mama oder Papa zur Schule gefahren, also mehr als jeder sechste. Das sind 300 Eltern-Taxis jeden Morgen und jeden Mittag.
Es sind einige Hundert Elterntaxis jeden Tag an jeder Schule oder Kita
An den Grundschulen liegt dieser Anteil sogar noch doppelt so hoch: An der Grundschule Bickbargen wird fast jedes dritte Kind (32 Prozent) mit dem Auto zur Schule gebracht, was täglich 117 Elterntaxis bedeuten. Und an der Grundschule Mühlenberg in Quickborn werden sogar 35 Prozent der 282 Schülerinnen und Schüler mit dem Auto gebracht, was jeden Schultag knapp 100 Hin- und Rückfahrten verursacht.
Um das Verhalten der Eltern, das meist mit Bequemlichkeit und Sorge um die Sicherheit der Kinder zu tun habe, zu ändern, bedürfe es nach Aussage des Experten Leven in jedem Einzelfall bis zu 20 verschiedener Maßnahmen, deren Umsetzung leicht einige Hunderttausend Euro kosten könnten.
Anteil der Elterntaxis liegt je nach Alter der Kinder zwischen 20 und 50 Prozent
Besser abgestimmte Ampelschaltungen, Querungshilfen und Aufpflasterungen direkt vor der Schule könnten helfen, so der Experte. Dies könne dafür sorgen, dass Eltern die Autofahrt zur Schule mieden beziehungsweise sie davon überzeugen, dass ihre Kinder besser, schneller und sicherer zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule kämen. Und es könne zudem ein kleiner Beitrag zum Klimaschutz sein.
Die Faustregel seiner bisherigen Studien besage, dass die Hälfte der Kita-Kinder, ein Drittel der Grundschüler und 20 Prozent der Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen täglich mit dem Auto gebracht und abgeholt würden, sagt Leven. Er werde nach seiner eingehenden Analyse der Verkehrssituation an den zwölf genannten Einrichtungen im Kreis Pinneberg versuchen, Lösungsansätze zu präsentieren, die leicht und gut umzusetzen seien.
Einführung von Schulstraßen zu bestimmten Zeiten beendet Elterntaxis
Diese Maßnahmen seien auch mit pädagogischen Hilfestellungen verbunden und würden regelrecht dazu motivieren, dass die Kinder und Jugendlichen gerne und lieber mit Bus, Fahrrad oder zu Fuß kämen, als sich ständig fahren zu lassen. „Sie sollen einsehen: Es macht Spaß und ist auch nicht gefährlich, anders mobil zu sein“, so Leven.
Ein Ausweg könne darin bestehen, Schulstraßen einzuführen, die zwischen 7 und 9 Uhr zum Schulbeginn und zwischen 12 und 14 Uhr bei Schulschluss strikt für Autos gesperrt würden, so der Verkehrsplaner. Eine drastische, aber hilfreiche Maßnahme, wie sie Städte wie Köln und Berlin für einige Bildungseinrichtungen getroffen hätten. Mit Erfolg: Dort gebe es nun keine Elterntaxis mehr.
Kreis Pinneberg: Zahl der Elterntaxis an Schulen und Kitas halbieren
Aber Leven bleibt realistisch. Ein großer Erfolg sei es, wenn der Anteil der Elterntaxis sich an allen Schulen und Kitas halbieren ließe, so der Verkehrsplaner. „Und das ist schon ein dickes Brett. Aber das sollte das Ziel sein.“
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Auch wenn sich die konkrete Untersuchung des mobilen Verhaltens von Kindern und Eltern jetzt im Kreis Pinneberg auf zwölf Kitas und Schulen konzentriert, am Ende sollen Lösungsvorschläge vorliegen, die wie am Reißbrett von mindestens 80 Prozent aller anderen Einrichtungen übernommen und nachgemacht werden könnten, erklärt Leven.
Landrätin Heesch: Wissen ist da, wir müssen ins Handeln kommen
Für Pinnebergs Ersten Stadtrat Stefan Bohlen, der schon bald als Bürgermeister nach Kaltenkirchen wechselt, gehört die Schulwegsicherung durch Temporeduzierung vor den Schulen oder Schaffung von Parkzonen für die Elterntaxis zum größten Problem der Verkehrssicherheit in der Kreisstadt.
Landrätin Elfi Heesch versteht das zu verändernde Umdenken und Verhalten in dieser Frage auch als einen wichtigen Meilenstein für den Klimaschutz. Dass es für die Umwelt nicht gut sein könne, wenn weiter alles mit dem Auto erledigt werde, sei in der Bevölkerung bekannt. „Das Wissen ist da. Wir müssen jetzt aber ins konkrete Handeln kommen“, so Heesch.