Kreis Pinneberg. Quickborner FDP-Landtagsabgeordnete attackiert bei Unterbringung von Geflüchteten das Sozialministerium. Das sind ihre Argumente.

Die Landesregierung lässt die Städte und Gemeinden bei der Unterbringung von geflüchteten Menschen weitgehend allein, kritisiert die Quickborner Landtagsabgeordnete Annabell Krämer (FDP). Nachdem die Kommunen und auch die Zuwanderungsbehörde der Kreisverwaltung „Land unter“ gemeldet hatten, hat sie dazu eine schriftliche Anfrage an das Sozialministerium unter Leitung der Ministerin Aminata Touré gestellt.

Deren Antworten, die dem Abendblatt vorliegen, hält Krämer für unbefriedigend. Auch Rellingens Bürgermeister und Vorsitzender des Gemeindetages, Marc Trampe, wünscht sich mehr Unterstützung und weniger Bürokratie aus Kiel.

Flüchtlinge: Kommunen im Kreis Pinneberg an der Kapazitätsgrenze

So heißt es in der Antwort des Sozialministeriums, dass die Kommunen im Kreis Pinneberg 459 freie Plätze für die Unterbringung von Asylsuchenden und Geflüchteten gemeldet hätten (Stand Ende April). Die Landesregierung habe den Zeitraum von der Ankündigung bis zur Zuweisung der Flüchtlinge von zwei auf vier Wochen verlängert.

Diese Regelung sei bis Ende 2023 verlängert worden. Zudem seien die Kapazitäten der Erstaufnahme durch die Landesunterkünfte auf 7244 Betten aufgestockt worden, teilt das Ministerium darin mit. Die Kreise und kreisfreien Städte seien dann für „die angemessene und auf freie Kapazitäten und infrastrukturellen Möglichkeiten orientierte Verteilung auf die Kommunen innerhalb des Kreises verantwortlich.“

Beim Land sind keine offiziellen Überlastungsanzeigen eingegangen

Wenn ein Kreis keine Kapazitäten zur Aufnahme mehr habe und nachweislich keine Unterbringungsmöglichkeiten mehr vorhanden seien, könnte dieser „eine offizielle Überlastanzeige an das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge übermitteln“, schreibt das Ministerium.

„Dann verteilt das Land keine Geflüchteten auf den entsprechenden Kreis. Diese Situation hat es in Schleswig-Holstein seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine im vergangenen Jahr nicht gegeben.“

Bürgermeister Trampe: Die meisten Kommunen sind bereits überlastet

Dazu sagt Bürgermeister Trampe, es sei richtig, dass die Verlängerung der Ankündigungsfrist die Arbeit in den Kommunen erleichtert habe. „Sie haben jetzt mehr Zeit, die Unterbringung zu organisieren.“ Allerdings könnte von einer entspannten Lage überhaupt keine Rede sein.

Die Städte und Gemeinden hätten ein Ampelsystem eingeführt, um aufzuzeigen, wie prekär die Lage zurzeit sei, was die Angebote von Unterkünften sowie freien Plätzen in Schulen und Kindergärten anginge.

Unterbringung von Flüchtlingen: Gemeinden an der Kapazitätsgrenze

Trampe: „Die meisten Kommunen haben Rot gemeldet. Sie sind schon nah dran an ihren Kapazitätsgrenzen. Da ist nicht mehr viel Luft.“ Und die Landesunterkünfte hätten in der Flüchtlingskrise 2015 noch doppelt so viele Plätze gehabt wie heute.

Rellingens Bürgermeister Marc Trampe.
Rellingens Bürgermeister Marc Trampe. © Katja Engler

Die Abgeordnete Krämer kritisiert zudem den geltenden Stufenplan des Ministeriums. Dieser sieht nach der Aufstockung der Landesunterkünfte auf jetzt 7244 Betten zunächst die Schaffung von kommunalen Gemeinschaftsunterkünften von 50 bis 200 Plätzen (Stufe 2) und noch größeren Einrichtungen in den Kreisen (Stufe 3) vor, bevor das Land seine Landesunterkünfte über die vorhandenen 7244 Plätze hinaus ausweite wolle (Stufe 4).

Erstaufnahmeeinrichtungen sind nicht für dauerhafte Unterbringung gedacht

Die Erstaufnahmeeinrichtungen sollten aber keine dauerhafte Unterbringung darstellen, teilt das Ministerium weiter mit. „Sie sind nur für den Übergang gedacht.“ Es gebe auch „rechtliche Bedenken, wenn, wie oben zum Erlass formuliert, eine absehbare Rückführung nicht möglich ist, die Menschen für einen unbestimmten Zeitraum in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu belassen.“

Zudem sei es erforderlich, die Landesunterkünfte regelmäßig frei zu ziehen, um sie „für neu ankommende Menschen vorzuhalten“, betont das Ministerium. „Der Landesregierung ist es deshalb wichtig, dass ausreichend Wohnraum in den Kommunen geschaffen wird.“

Krämer: Das Land gibt die Verantwortung an die Kommunen ab

Auch wenn die Schaffung von Gemeinschaftsunterkünften in den Kreisen (Stufen 2 und 3) mit finanzieller Unterstützung des Landes geschehe, wie das Ministerium betont – so ziele „der gesamte Stufenplan letztlich darauf ab, das Land möglichst aus allem herauszuhalten und die Verantwortung vorrangig bei den Kommunen abzuladen“, kritisiert Krämer. So sehe erst die finale Stufe des Vier-Punkte-Plans zur Entlastung der Kommunen eine neuerliche Ausweitung der Aufnahmekapazitäten auf Landesebene vor.

„Trotz aller Gespräche und Aufforderungen setzt Ministerin Touré also weiter auf Ignoranz bei dem Thema und verschließt die Augen vor den tatsächlichen Gegebenheiten“, wundert sich Krämer. Dass ihr auf ihre Anfrage hin mehr als vier Monate alte freie Kapazitätszahlen vom Ministerium übermittelt wurden, belege dies. „Deutlicher lässt sich Desinteresse gar nicht zum Ausdruck bringen“, sagt Krämer.

Asylsuchende ohne Bleibeperspektive sollen nicht an Kreise verteilt werden

Zudem sollen Schutzsuchende ohne Bleibeperspektive grundsätzlich nicht mehr auf die Kreise und kreisfreien Städte verteilt werden, teilt das Ministerium darin weiter mit. „Es sei denn, eine Aufenthaltsbeendigung ist absehbar nicht möglich.“ Um Schutzsuchende ohne Bleibeperspektive handele es sich insbesondere um Personen, deren Asylantrag durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als „unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgelehnt wird“. Auch diese Erlassregelung sei bis zum Jahresende 2023 verlängert worden.

Aus Sicht von Bürgermeister Trampe funktioniert das nur bedingt. Er wisse von mehreren Fällen, wo den Kommunen sehr wohl Asylsuchende ohne Bleibeperspektive zugewiesen worden seien. Da seien zum Beispiel welche dabei, deren Asylanträge im Ausland bearbeitet würden.

Insgesamt leben zurzeit 47.520 ausländische Mitbürger im Kreis Pinneberg

Da ist dann eine Überprüfung des Asylantrages von hier aus gar nicht möglich.“ Und die Abgeordnete Krämer fordert die grüne Sozialministerin Touré auf, „lieber mal aufzuhören, als die Einstufung sicherer Herkunftsländer zu blockieren“. Das würde die Kommunen entlasten und die Asylverfahren deutlich beschleunigen.

Die Kreisverwaltung teilt auf Nachfrage mit, dass dem Kreis Pinneberg 2022 insgesamt 1513 Geflüchtete zugewiesen worden seien, 721 Asylsuchende und 792 Geflüchtete aus der Ukraine. In diesem Jahr seien es bislang 423 Zuweisungen und 263 Geflüchtete aus der Ukraine, also insgesamt 686 Menschen gewesen. Insgesamt leben zurzeit 47.520 ausländische Mitbürger im Kreis Pinneberg. 3600 Flüchtlinge aus der Ukraine seien darunter. 990 Menschen hätten einen Asylstatus, 1530 Menschen seien ausreisepflichtig.

Zuwanderungsbehörde fordert sechs zusätzliche Stellen sofort

Die Zuwanderungsbehörde brauche zu ihren zurzeit 40 Vollzeitstellen dringend elf zusätzliche Stellen, fordert die Kreisverwaltung (wir berichteten). Sechs zusätzliche Stellen müssten unbedingt kurzfristig geschaffen werden.

Bürgermeister Trampe kritisiert zudem den „großen Bürokratieaufwand“, den die Städte und Gemeinden bei der Beantragung der Landeszuschüsse auf sich nehmen müssten. Die Antragsformulare seien für jede einzelne Unterkunft mit allen möglichen Angaben zu Nettokaltmiete und Nebenkosten für jeden einzelnen Monat abzugeben. „Das müsste deutlich schlanker laufen“, fordert Trampe von der Landesregierung.