Pinneberg. In der öffentlichen Galerie der Rathauschefs hängt immer noch das Bild von Karl Coors, und zwar ohne Kommentar. Das sorgt für Unmut.
Er war in der NS-Zeit der oberste Mann im Pinneberger Rathaus: Karl Coors bekleidete während des Nazi-Herrschaft zwischen 1937 bis 1945 das Amt des Bürgermeisters. Sein Ölgemälde hängt bis heute im Pinneberger Rathaus neben denen anderer Pinneberger Bürgermeister. Und zwar kommentarlos.
Denn der entscheidende Unterschied zwischen Coors und allen anderen Bürgermeistern wird nicht erwähnt. Coors war Mitglied der NSDAP und kein demokratisch gewählter Vertreter der Bürger. Einen einordnenden Kommentar in der Ehrengalerie gibt es auch im Jahr 2023 nicht. Das sorgt nun für Wirbel – und zwar nicht zum ersten Mal.
NS-Regime: Porträt von Nazi-Bürgermeister sorgt in Pinneberg für Wirbel
„Zu meinem Entsetzten musste ich feststellen, dass das Porträtbild von Bürgermeister Coors, der acht Jahre lang während der NS-Diktatur Pinneberger Bürgermeister gewesen ist, unkommentiert in der Galerie hängt“, so Dieter Borchardt, Sprecher der Initiative „Öffentliche Veranstaltung zum Tag der Befreiung - 8. Mai in Pinneberg“.
„Das Bild des NS-Opfers Richard Köhn hängt zwischen den beiden Bildern von Coors und Henry Glissmann, die beide zwölf Jahre organisiert in verschiedenen NS-Organisationen aktiv waren und tüchtig durch ihre Arbeit den NS-Staat mit aufgebaut und stabilisiert haben“, so Borhardt weiter.
Porträt eines Pinneberger NS-Bürgermeisters sorgt für Wirbel
Wer in den Akten zur Entnazifizierung dieser beiden Herren lese, so Borchardt, werde keine aufrichtige Entschuldigung finden, dass sie zwölf Jahre einem diktatorischen, verbrecherischen Staat gedient haben. „Vielmehr bekomme ich beim Lesen den Eindruck, diese beiden Herren waren mit ihrer Leistung und Tätigkeit im Reinen“, so der Pinneberger.
Das Bild von Heinrich Backhaus (NS-Bürgermeister von 1933 bis 1937) ist in der Bürgermeistergalerie nicht zu finden. Der Grund: Zwischen 1933 und 1937 wurden keine Porträts erstellt. Auch das Gemälde von Coors entstand nachträglich. Erst 1969 fasste der Magistrat den Beschluss, Coors Porträt für die Rathaus-Galerie anfertigen zu lassen.
So ist es zu lesen auf einem Zettel, der neben den Porträts im öffentlich zugänglichen Flur zum Ratssitzungssaal angebracht wurde. Und weiter: „Die Amtszeiten der einzelnen Bürgermeister/Innen können hier aus Platzgründen nicht dargestellt oder bewertet werden.“ Wer sich tiefergehend informieren wolle, dem könne man die Bücher der VHS-Geschichtswerkstatt empfehlen.
Porträt des Pinneberger NS-Bürgermeisters Coors sorgte schon 2015 für Wirbel
Die Diskussion um die Porträts in der Bürgermeistergalerie ist nicht neu. Schon im Jahr 2015 wurde diese Problematik von einer Besucherin des Rathauses öffentlich gemacht. In einem Abendblatt-Artikel wird der damalige Rathaussprecher und heutige Rellinger Bürgermeister Marc Trampe zitiert: „Der Rathaussprecher sieht das ähnlich. Das Porträt hänge in exponierter Stellung im öffentlichen Raum. Insofern werde jetzt geprüft, ob dem Wunsch der Schenefelderin Jule Vickery entsprochen werden könne.“
Danach ist offenbar aber nichts weiter in dieser Richtung unternommen worden. In der Verwaltung kann sich niemand mehr an das Ergebnis der Untersuchung zu diesem Vorgang von 2015 erinnern. Es gibt keinen Vermerk oder ein sonstiges Ergebnis einer Prüfung.
Sollen nun alle Bilder, die sich auf ein Wirken vor 1945 beziehen, abgehängt werden? „Dies ist natürlich eine praktische und günstige Lösung“, sagt Dieter Borchardt, der auch die Mahnmal-Initiative für Pinneberg unterstützt, die das umstrittene Kriegerdenkmal am Bahnhof umgestalten will. „Sie schafft Platz, kostet nichts und sie umgeht das Problem der Auseinandersetzung mit der Geschichte unserer Stadt – insbesondere die schwierige Aufarbeitung der NS-Zeit in Pinneberg. Für mich ist es ein völlig inakzeptabler Umgang mit der Geschichte unserer Stadt.“
Borchardt: Coors Porträt einfach abhängen wäre inakzeptabel
Er plädiert dafür, „sich in Pinneberg umfassend mit den Verbrechern der NS-Zeit öffentlich auseinanderzusetzen“: Pinneberger wurden in den Konzentrationslagern und Euthanisie-Tötungsanlagen umgebracht. Es gab hunderte Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene in Pinneberg, die ausgebeutet wurden. Dutzende sind in den Pinneberger Lagern gestorben, sagt Borchardt. Ein Ort des öffentlichen Gedenkens an die Pinneberger Opfer der Aktion „Gewitter“ gebe es nicht.
Eine Idee wäre, dass sich eine städtische Arbeitsgruppe „Erinnerungskultur“ mit diesem Thema beschäftigt, mit der Aufgabe, ein Konzept zu erarbeiten, wie die Stadt Pinneberg Erinnerungskultur im öffentlichen Raum umsetzen möchte. Vorschläge zum Umgang mit der Bürgermeistergalerie sollten dann ebenfalls erarbeitet werden.
Die AG könnte sich aus Vertretern der Ratsversammlung, Mitgliedern des Fördervereins gegen das Vergessen – Spurensuche im Kreis Pinneberg und Umgebung 1933 bis 1945, VHS-Geschichtswerkstatt, Mitarbeitern des Pinneberger Museums und aus interessierten Bürgern zusammensetzen.
NS-Zeit der Bürgermeister soll aufgearbeitet werden
„Bis dahin schlage ich vor, die Bilder von Coors und Glissmann abzuhängen und eine kleine Tafel anzubringen, dass die Stadt Pinneberg die Bürgermeister Backhaus, Coors und Glissman zurzeit nicht ausstellen wird, weil eine Aufarbeitung und Bewertung zu deren Wirken in der NS-Zeit stattfindet“, so Borchardt.
Mit seinem Anliegen hatte sich Borchardt am 11. August per Mail an die Stadtverwaltung gewandt. Bürgermeisterin Urte Steinberg hatte drei Tage später geantwortet und geschrieben, dass sie seine Anregungen voraussichtlich im nächsten Ältestenrat am 28. August anspricht. Auch im Fachbereich Kultur, Sport und Jugend könne das Thema beraten werden.
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„Wir begrüßen es immer sehr, wenn sich engagierte Bürger in unseren Aufgabenkreis einbringen und ein Augenmerk auf die Erinnerungskultur haben“, so die Bürgermeisterin. „Es wird sich sicher eine Lösung zur angemessenen historischen Aufarbeitung finden.“
Bürgermeisterin Urte Steinberg: Thema erfordert höchste Sensibilität
Natürlich erfordere dieses Thema höchste Sensibilität, so Urte Steinberg. „Wir werden uns dem auch annehmen, sobald Kapazitäten bei den Kollegen wieder vorhanden sind, um die nötigen und offenbar sehr aufwendigen Abstimmungen aufgrund des nicht mehr nachvollziehbaren Adressatenkreises von Herrn Borchardt in- und extern zu betreuen.“
Bis dahin bitte sie um Geduld. Die Verwaltung habe ihre Pflichtaufgaben und die Umsetzung der Beschlüsse der Politik naturgemäß nach oben zu priorisieren. Wenn der Anstoß, den das Bild errege, zu groß sei, könne sie problemlos veranlassen, dass es bis dahin abgehängt werde.