Uetersen. Der vor 140 Jahren in Uetersen geborene Franz Kruckenberg erfand das Gefährt. Es war die Geburt des modernen Zugverkehrs.
Wer beim Gang durch Uetersens Altstadt die Moltkestraße passiert, der kennt die bronzene Gedenktafel am Eckhaus zur Kuhlenstraße. Im Jahr 1882, ist darauf zu lesen, erblickte dort Franz Kruckenberg das Licht der Welt. Vor genau 140 Jahren.
Wie ein Visionär aus Uetersen den modernen Zugverkehr prägte
Was den späteren Diplom-Ingenieur so berühmt machte, dass ihm an der Fassade der ehemaligen Kolonialwarenhandlung ein kleines Denkmal gesetzt wurde, ist offensichtlich. Auf der Tafel fällt sofort ein futuristisch anmutendes Gefährt ins Auge, das von der Form her nicht ganz zufällig an heutige Hochgeschwindigkeitszüge wie den Intercity, den TGV oder den japanischen Shinkansen erinnert. Es ist der von Franz Kruckenberg konstruierte, legendäre Schienen-Zeppelin.
Der Bolide auf Schienen erreichte 1931 auf der Eisenbahnstrecke zwischen Hamburg-Bergedorf und Berlin-Spandau die damals unglaubliche Geschwindigkeit von 230 Kilometern pro Stunde. Weltrekord! Die Fahrzeit betrug eine Stunde und 38 Minuten. Zur Sicherheit waren damals eine halbe Stunde vor Abfahrt alle Schranken auf der Strecke bis Berlin geschlossen worden.
23 Jahre lang hielt der Rekord, war der „Zeppelin auf Stahlrädern“ das schnellste Schienenfahrzeug der Erde. Angetrieben vom Holzpropeller eines 500 PS starken BMW-Flugzeugmotors und ausgestattet mit dem Neuesten, was Kruckenberg sich in Sachen Aerodynamik ausgedacht hatte: Stromlinienform und Leichtbauweise des Triebwagens mit durchlaufenden Fenstern, außerdem Trittbretter, Haltestangen und Türgriffe komplett unter die glatte Außenhaut verlegt.
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Uetersener Visionär Kruckenberg sorgte mit Erfindung weltweit für Aufsehen
Franz Kruckenberg war ein Star seiner Zeit – und ein Visionär. Seine Rekordfahrt sorgte weltweit für Aufsehen, womit er die spätere Entwicklung von Intercity und Co. sowie schnellere Zugverbindungen zwischen den Städten weltweit maßgeblich beeinflusste.
Uetersen hatte Franz Kruckenberg schon während seiner Kindheit verlassen müssen. Er entstammte einer betuchten Hamburger Kaufmannsfamilie, in der man sich nach dem frühen Tod des Vaters um den jungen Franz kümmerte. Er wuchs in der Hansestadt auf, machte das Abitur und studierte Schiffbau in Berlin und Danzig.
Noch vor dem Ersten Weltkrieg hatte Kruckenberg sich als Diplom-Ingenieur einen Namen gemacht, konstruierte unter anderem Kampfflugzeuge und vor allem Luftschiffe. Diesen soll er allerdings grundsätzlich misstraut haben, da sie mit dem hochexplosiven Wasserstoff betrieben wurden, wie es 2006 im Deutschlandfunk in dem Beitrag „Sensation auf Schienen“ hieß. Kruckenbergs Einschätzung sollte sich später bewahrheiten.
Nach dem Ersten Weltkrieg beendete Kruckenberg sein Engagement für den Luftschiffbau und gründete in Heidelberg die Gesellschaft für Verkehrstechnik, aus der 1928 die Flugbahn-Gesellschaft hervorging.
Idee vom Propellerantrieb auf der Schiene setzte sich nicht durch
Nachdem sein Plan einer Hängeschnellbahn von Berlin nach Düsseldorf nicht realisiert werden konnte, zog Kruckenberg mit seinen Mitarbeitern nach Hannover. Dort entwickelte er mit seinen Ingenieuren in Leichtbauweise und in Stromlinienformgebung den 1930 fertiggestellten Schnellbahnwagen, der als Schienen-Zeppelin in die Bahngeschichte einging. Dafür nutzte er seine Erfahrung mit der Leichtbauweise der Luftschiffe und ließ das Schienenfahrzeug, das er selber als „Propellertriebwagen“ bezeichnete, von einem Flugzeugmotor antreiben.
Letztlich setzte sich Kruckenbergs Idee des propellergetriebenen, zweiachsigen Schienentriebwagens nicht durch. Er war viel zu laut, und hinter dem Propeller konnten keine Wagen angehängt werden. Angeblich sollen damals viele Eisenbahner den Schienen-Zeppelin auch als „artfremdes Ungetüm“ abgelehnt haben.
Kruckenberg nutzte Erkenntnisse für weitere Entwicklungen
Doch Kruckenberg hatte weitaus mehr als Rekordfahrten im Sinn. Die Erkenntnisse aus seinen Arbeiten und praktischen Versuchen fanden Niederschlag in dem ersten von der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft gebauten diesel-elektrischen Schnelltriebwagen „Fliegender Hamburger“, der seit Mai 1933 mit 125 km/h Reisegeschwindigkeit verkehrte und das wachsende Netz schneller Verbindungen zwischen den Großstädten einleitete.
Kruckenberg sah es als seine Aufgabe an, ein Verkehrsnetz für den Einsatz kleiner, schneller Zugeinheiten bei großer Verkehrsdichte zu schaffen, das gleichzeitig Komfort und Sicherheit bot. Sein 1938 konstruierter Schnelltriebwagen mit 70 Metern Länge und 200 km/h Reisegeschwindigkeit kam vor Kriegsausbruch nicht mehr zum Einsatz, kann aber als der Prototyp für die später wieder aufgenommene Entwicklung betrachtet werden. Was davon bis heute in den Bau moderner Hochgeschwindigkeitszüge einfließt, ist die revolutionäre Stromlinienform des Schienen-Zeppelins.
Im Zweiten Weltkrieg, heißt es in einem Beitrag aus der Reihe „Neue Deutsche Biographie“, war Kruckenberg von 1943 bis 1945 in Berlin und Herzberg bei Henschel als Entwicklungsingenieur für Fernlenkwaffen zum Einsatz gegen Bombengeschwader tätig. Erst 1948 kehrte er in sein Heim nach Heidelberg zurück, wo er den Kontakt mit der Eisenbahn wieder aufnahm und an der Gestaltung der Bundesbahn-Gliedertriebzüge „Senator“ und „Komet“ teilhatte, in der DDR fanden seine Ideen in der DR-Baureihe VT 1816 ihren Niederschlag.
Vom TEE bis zum TGV – Zeugnis für den Erfolg Kruckenbergs
Mit seiner 1949 gegründeten „Gesellschaft der Förderer der europäischen Schnellbahnen e. V.“ versuchte Kruckenberg, seine Ideen in der Öffentlichkeit weiter zu verfolgen. So wurde auch der Gleisbau mit durchlaufend verschweißten Schienen auf Betonbettung von ihm entwickelt, heißt es in der 1982 erschienenen „Neuen Deutschen Biografie“ zu Kruckenberg. Interessant auch seine Idee von „Verkehrshäusern“, in denen sich mehrere Verkehrsträger auf verschiedenen Ebenen kreuzen können.
Der Trans-Europ-Express (TEE) seit 1957 und das Netz der Inter-City-Züge seit 1970 in Deutschland gelten als Zeugnisse für den Erfolg von Kruckenbergs Verkehrskonzept, ebenso wie der französische TGV und der japanische Shinkansen. Aktueller Rekordhalter unter den Hochgeschwindigkeitszügen auf Stahlrädern ist übrigens ein französischer TGV mit 574,8 Kilometern pro Stunde. Ein Rekord, der dem Eisenbahn-Pionier und gebürtigen Uetersener Franz Kruckenberg sicher gefallen hätte.