Kreis Pinneberg. Zunächst soll eine Referentenstelle eingerichtet werden. Welche konkreten Vorschläge Historiker noch erarbeitet haben.

Als erster Kreis in Schleswig-Holstein hat der Kreis Pinneberg jetzt ein fertig ausgearbeitetes Konzept, um eine lebendige Kultur des Erinnerns an die Nazi-Gräuel wachzuhalten. Professor Manfred Grieger und sein Kollege Marcel Glaser von der Uni Göttingen haben auf mehr als 50 Seiten konkrete Vorschläge gemacht, wie der Kreis aktiv und verantwortungsbewusst „eigene Akzente“ bei der Aufarbeitung der regionale NS-Geschichte setzen könnte.

Als Erstes sollte unbedingt eine Referentenstelle geschaffen und mit einem ausreichenden Sachbudget ausgestattet werden, die diese Aufgabe koordiniert, schlagen die Historiker vor. „Denn die betreffende Person bildet den Dreh- und Angelpunkt für die Initialisierung einer qualifizierten Erinnerungskultur im Kreis Pinneberg“, heißt es in dem Konzept, das jetzt dem Kreistag vorgelegt wurde.

Nationalsozialismus: So will der Kreis Pinneberg künftig an Nazi-Gräuel erinnern

Dieser Erinnerungs-Koordinator übe eine Schnittstellen- und Vernetzungsfunktion zwischen Politik und Verwaltung mit der Zivilgesellschaft und den Organisationen auf lokaler Ebene, die sich bereits wie der Verein Spurensuche, Mahnmal Pinneberg, Henri-Goldstein-Verein in Quickborn oder die Stolperstein-Initiativen seit Jahren mit der Bewältigung der NS-Geschichte befassen.

Prof. Manfred Grieger (vorne Mitte) überreicht der stellvertretenden Kreispräsidentin Elke Schreiber das erarbeitete Konzept zur Erinnerungskultur. Mit dabei Sabine Schaefer-Maniezki (von links), Stephan Schmidt (beide Kreistag), Uta Körby (Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte), Marc Marc Czichy (KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch) und Harald Schmid (Bürgerstiftung).
Prof. Manfred Grieger (vorne Mitte) überreicht der stellvertretenden Kreispräsidentin Elke Schreiber das erarbeitete Konzept zur Erinnerungskultur. Mit dabei Sabine Schaefer-Maniezki (von links), Stephan Schmidt (beide Kreistag), Uta Körby (Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte), Marc Marc Czichy (KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch) und Harald Schmid (Bürgerstiftung). © Burkhard Fuchs

Mittel- bis langfristig müsste dann eine umfassende „Überblicksdarstellung zur Geschichte und Nachgeschichte des Nationalsozialismus im Kreis Pinneberg erarbeitet und in Kooperation mit den Museen präsentiert“ werden, fordert das Konzept. Dabei sollte insbesondere die Geschichte der NS-Zwangsarbeit auf dem Land und in den Kommunen zur Sprache kommen. Die grausame Funktionsweise des Vernichtungsregimes könnte an den beiden Wedeler Außenlagern für das Konzentrationslager Neuengamme dargestellt werden.

Kreis Pinneberg: Zentraler Gedenkort könnte Henri-Goldstein-Haus werden

Das Henri-Goldstein-Haus, ein jüdisches Gefangenenlager im Quickborner Himmelmoor, könnte dabei zum „zentralen Erinnerungsort des Kreises Pinneberg“ werden. Dort wird bereits von einem Historiker die Geschichte der Zwangsarbeit im Torfabbau seit dem Kaiserreich aufgearbeitet. Und die besonderen Kompetenz der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch, die bereits eng mit der Kreisberufsschule Elmshorn und anderen Schulen zusammenarbeitet, sollte genutzt werden, um diese dunkle deutsche Vergangenheit in den Köpfen der jungen Generationen wachzuhalten.

Die Kreispolitik, die vor einem Jahr den Auftrag für dieses Konzept zur Erinnerungskultur in Auftrag gab, zeigte sich begeistert von dem Ergebnis. Nach einer Befragung und einem Workshop, woran sich jeweils mehrere Dutzend Akteure und Organisationen beteiligten, lägen nun jede Menge konkrete Handlungsempfehlungen vor, für die „wir dicke Bretter bohren müssen“, sagte Elke Schreiber, stellvertretende Kreispräsidentin. Allen sollte klar sein, „wir brauchen eine hauptamtliche Kraft dafür“.

Nationalsozialismus: Kreispräsident wollte AfD des Saales verweisen

Die jüngste Kreistagssitzung habe wieder eindrucksvoll gezeigt, wie tief die Ressentiments und Vorurteile gegen Ausländer und Migranten in den Köpfen so mancher Zeitgenossen steckten. Rechtsradikales und rassistisches Gedankengut käme „wieder aus den Löchern heraus“, warnte Schreiber.

Das Henri-Goldstein-Haus in Quickborn könnte zentraler Gedenkort im Kreis Pinneberg werden.
Das Henri-Goldstein-Haus in Quickborn könnte zentraler Gedenkort im Kreis Pinneberg werden. © Burkhard Fuchs

„Wir müssen dafür sorgen, dass sich das nicht wiederholt.“ Und Kreispräsident Helmuth Ahrens bekennt, dass er kurz davor gewesen sei, Politiker von KWGP und AfD für ihre menschenverachtenden Äußerungen des Saales zu verweisen. „Wir haben eine Würde des Kreistags zu beachten.“

Gedenktag am 27. Januar reicht nicht aus

Ahrens kündigt an: „Wir wollen, dass die Erinnerungskultur an die Nazi-Verbrechen ein ständiger Hotspot im Kreis Pinneberg wird.“ Der alljährliche Gedenktag am 27. Januar zur Wiederkehr der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Sowjetarmee 1945, die der Kreis Pinneberg seit etwa 20 Jahren etabliert hat, solle nicht die einzige Aktion sein, um die Erinnerung an die Nazi-Zeit hochzuhalten, deren Terrorregime sich offenbar einige unbelehrbare Mitläufer zurückwünschten.

Auch Uta Körby, die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein, fordert: „Das A und O für diese Aufgabe ist, dass wir im Kreis dafür einen festen Ansprechpartner haben.“

Nationalsozialismus: Lebendige Kultur des Erinnerns an die Nazi-Gräuel

Diese Aussage unterstrich auch Harald Schmid von der Bürgerstiftung, die 10.000 Euro der 40.000 Euro Kosten für das Konzept bereitgestellt hat. „Die Erinnerungskultur macht nur Sinn, wenn sie einen hauptamtlichen Kümmerer hat.“ Dieser müsse neben der Forschungs- und Dokumentationsarbeit der NS-Historie unbedingt die Bildungspolitik im Auge haben. Er forderte: „Jetzt muss der Kreis springen.“