Osterhorn/Westerhorn. Naturschutzverbände schlagen wegen A20-Ausbaus Alarm. Vögel könnten europaweit zweitwichtigsten Rastplatz verlieren.

Die Zwergschwäne, die bis Ende Januar noch zu Hunderten auf einer großen, freien Wiese nördlich der Dorfstraße und östlich der Bahnlinie in Osterhorn überwinterten, sind wegen Vorarbeiten für die A20 offenbar nachhaltig verscheucht.

Ein Vor-Ort-Besuch mit Vertretern des Naturschutzbundes (Nabu) und des Bundes für Natur- und Umweltschutz (BUND) aus den Kreisen Pinneberg und Segeberg erbrachte diese für Vogelfreunde bittere Erkenntnis. Die Wiese ist: leer.

Die Naturschützer machen dafür die Autobahngesellschaft Deges, die hier Probebohrungen zum Bau der A20 plant, und einen Landwirt aus Osterhorn, der widerrechtlich Gülle ausgefahren habe, verantwortlich.

A20: Gefährdete Zwergschwäne plötzlich verschwunden – für immer?

Darum haben sie jetzt Anzeige gegen die Deges und den Landwirt wegen Verstoßes gegen das Bundesnaturschutzgesetz beim Kreis Pinneberg und der Polizei gestellt. Die geplanten Bohrungen sind jetzt erst einmal gestoppt, teilt die Untere Naturschutzbehörde in Elmshorn dazu mit.

Enttäuscht schauen Marina Quoirin-Nebel (BUND, Kreisgruppe Pinneberg), Claudia Wieman (Nabu Elmshorn) und Maximilian Schäffler (BUND Kreisgruppe Segeberg) in Osterhorn in Richtung Norden. Die Sonne scheint, aber von den Zwergschwänen ist nichts mehr zu sehen.

Vor den A20-Bohrungen waren 332 Schwäne gesichtet worden

„Seit dem 23. Januar sind sie plötzlich verschwunden“, berichtet Schäffler. Das sei der Tag gewesen, an dem die Deges ihre Probebohrungen in Osterhorn vorbereitet habe, wo die Trasse der A20 an der nördlichen Kreisgrenze Pinnebergs einmal vorbeilaufen soll.

Ein Kollege, der die Bestände fast täglich zählt, hatte noch am Tag zuvor 332 Exemplare gesichtet. An den Tagen davor waren es zwischen 114 und 221 Zwergschwäne.

Maximilian Schäffler vom BUND zeigt, wo die Schwäne normalerweise rasten und ruhen.
Maximilian Schäffler vom BUND zeigt, wo die Schwäne normalerweise rasten und ruhen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Diese Vogelart, die im Baltikum und der russischen Tundra brütet, fliegt in den Wintermonaten hierher in den Westen Nordeuropas, um zu rasten und zu überwintern. Meist blieben sie etwa zwei Monate und flögen dann zurück zum Brüten nach Russland, erklärt Vogelkundler Schäffler.

Vogelschutzgebiet ist zweitgrößte Ruhestätte der Tiere im Land

Die Breitenburger Niederung und die Hörner Au, wie das Vogelschutzgebiet in Osterhorn und Westerhorn und den großen Auen an der Grenze zum Kreis Steinburg offiziell heißt, sei neben dem Eider-Treene-Sorge-Gebiet im Norden des Landes die zweitgrößte Ruhestätte im Winter für die Zwergschwäne in Schleswig-Holstein, erklärt Schäffler.

Die Bedeutung dieser Rastplätze im Norden des Kreises Pinneberg für diese gefährdete Vogelart nehme zu, wie Zählungen bewiesen. So haben sich die Bestände der Zwergschwan-Populationen in ganz Europa seit 1990 mehr als halbiert, von 26.748 auf nur noch 12.702 beobachtete Zwergschwäne im Jahr 2020, zeigt Schäffler anhand von internationalen Forschungsergebnissen auf.

Zahl der Zwergschwäne ist europaweit rückläufig

Seit 2015 ist allein ein Drittel dieser Vogelart verschwunden. Demnach ist Norddeutschland inzwischen mit 5672 Exemplaren der wichtigste Winterrastplatz für Zwergschwäne in ganz Europa. Zwei Drittel davon, 3686 Zwergschwäne, rasten in Schleswig-Holstein. In England, das einmal diese Rolle für diese Vogelart hatte, sind dagegen seit 1990 die Populationen im Winter um 85 Prozent zurückgegangen.

Um mehr über den Bestandsrückgang der Zwergschwäne zu erfahren und der besonderen Verantwortung Deutschlands für diese Art gerecht zu werden, sei im November 2020 das Projekt „Zwergschwan: Schutzkonzept für eine bedrohte Zugvogelart in Deutschland“ gestartet worden, berichtet Schäffler. Gefördert werde das Projekt mit dem Bundesprogramm Biologische Vielfalt durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums.

Vogelschützer protestiert nicht das erste Mal gegen Bau von A20

Im Jahr 2020 hatte der Vogelschutzexperte vom BUND auch schon beim Umweltministerium gegen den Bau der A20 in diesem sensiblen Vogelschutzgebiet an der Hörner Au protestiert. Vergeblich. Im Antwortschreiben des damals noch von Minister Albrecht geführten Ressorts wird zwar die Einschätzung des Naturschützers geteilt, „dass Schleswig-Holstein eine besondere Verantwortung für ein möglichst störungsarmes Rastgeschehen des Zwergschwans hat.“

Aber eine „Ausweisung neuer Schutzgebiete für den Zwergschwan ist insoweit für den Bereich der Hörner-Au-Niederung nicht erforderlich und nicht beabsichtigt“, teilt das Umweltministerium Schäffler darin weiter mit. „Dies bedeutet indes nicht, dass die Zwergschwäne außerhalb der Europäischen Vogelschutzgebiete, also etwa im Bereich der Hörnerau-Niederung, keinen Schutz genießen. Sowohl bei der von Ihnen angesprochen Planung der A20 als auch bei der Windkraftplanung wird der Schutz der Zwergschwäne intensiv berücksichtigt.“

Zwergschwäne: Sogar die Uno wurde eingeschaltet

Damit hat sich der Vogelkundler allerdings nicht zufrieden gegeben und die Internationale Schutzorganisation der UNO eingeschaltet, die das Abkommen zur Erhaltung der afrikanisch-eurasischen wandernden Wasservögel 1996 abgeschlossen hat. Sie heißt auf Englisch: Agreement on the Conservation of African-Eurasian Migratory Waterbirds (AEWA).

Diese Organisation hat 2021 in einer Protestnote an das Bundesumweltministerium die Behörden in Schleswig-Holstein scharf dafür gerügt, dass hier die „Hauptschlaf- und Fressplätze der Zwergschwäne unzureichend geschützt“ würden.

Zählungen an der Hörnerau aus dem Vorjahr zeigten auf, dass sich von Anfang Februar bis Ende März zwischen 700 und 1100 Zwergschwäne sich hier aufgehalten haben. Hier fänden sie große, weite, offene und unberührte Wiesen und Wasserflächen, die sie brauchen.

BUND: „Aus unserer Sicht darf die A20 hier nicht gebaut werden“

Darum fürchten die Naturschützer jetzt, dass die Vorarbeiten für die A20 diese Vogelart nachhaltig verschreckt und für immer verscheucht haben könnten. „Aus unserer Sicht darf die A20 hier nicht gebaut werden“, fordert Marina Quoirin-Nebel, die die BUND-Kreisgruppe Pinneberg vertritt und Grünen-Fraktionschefin in Barmstedt ist.

Einerseits seien die Vogelarten wie der Zwergschwan dadurch in ihrer Existenz gefährdet. Und auch das Moorgebiet in diesem Bereich dürfe nicht durch die Bauarbeiten zerstört werden, weil es das CO2 binde, das sonst freigesetzt werden könnte.

Auf ihrer Rastwiese an der Hörner Au in Osterhorn östlich der Bahnlinie sind die Zwergschwäne verschwunden, bedauern Maximilian Schäffler (BUND Kreis Segeberg), Marina Quoirin-Nebel (BUND Kreis Pinneberg) und Claudia Wieman (Nabu Elmshorn, rechts).
Auf ihrer Rastwiese an der Hörner Au in Osterhorn östlich der Bahnlinie sind die Zwergschwäne verschwunden, bedauern Maximilian Schäffler (BUND Kreis Segeberg), Marina Quoirin-Nebel (BUND Kreis Pinneberg) und Claudia Wieman (Nabu Elmshorn, rechts). © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Quoirin-Nebel hat sich noch einmal bei der UNB erkundigt, die jetzt erst einmal die Bohrungen gestoppt habe. Das bestätigt Kreissprecherin Katja Wohlers. „Die Untere Naturschutzbehörde hat nach der Anzeige durch die Naturschutzverbände sofort Kontakt zur Deges aufgenommen und auf den Stopp der Probebohrungen hingewirkt“, teilt sie auf Abendblatt-Anfrage mit.

A20-Bohrungen werden geprüft – bis dahin ruhen die Arbeiten

Es habe zwar „keine ausdrückliche Genehmigung einzelner Bohrungen“ gegeben, so die Kreissprecherin weiter. „Die Untere Naturschutzbehörde hatte aber der Gesamtmaßnahme der Baugrunderkundungen - auf Grundlage des eingereichten Fachgutachtens - im Vorfeld zugestimmt.“

Darunter seien „mehrere Probebohrungen mit kleinem Gerät und dem Einsatz von zwei Personen auf der Linientrasse der geplanten A20“ zu verstehen, so Wohlers. „Die Maßnahmen waren so beantragt, dass sie bis Ende Februar abgeschlossen sind, weil danach die allgemeine Schutzfrist für Vögel beginnt.“

Ein Teil der verscheuchten Zwergschwäne ist auf eine Fläche westlich der Bahnlinie ausgewichen.
Ein Teil der verscheuchten Zwergschwäne ist auf eine Fläche westlich der Bahnlinie ausgewichen. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Aktuell prüfe die UNB „nun eine naturschutzfachliche Stellungnahme der Umweltbaubegleitung. Bis zum Ergebnis dieser Prüfung ruhen die Probebohrungen.“ Die Hörner Au sei „bekannt als bedeutendes Rast- und Nahrungsgebiet für Zwergschwäne“, so die UNB weiter. „Deshalb ist es auch verpflichtend bei der A20-Planung, einen Ausgleich für mögliche erhebliche Beeinträchtigungen der Tiere zu schaffen.“

Deges: „Wir sind die letzten, die hier auf Krawall gehen“

Deges-Sprecher Ulf Evert verweist auf diese behördliche Genehmigung, im Zeitraum vom 15. August 2022 bis 28. Februar dieses Jahres den Untergrund an der Hörner Au in Osterhorn mit Probebohrungen zu untersuchen. Das dürfe nur werktags von 7 bis 20 Uhr geschehen. „Daran halten wir uns natürlich. Wir sind die letzten, die hier auf Krawall gehen“, sagt er.

Darum seien die Arbeiten auch sofort gestoppt worden. „Aber wir haben noch nicht einmal eine solche Probebohrung ausgeführt“, versichert der Deges-Sprecher. Es seien bislang lediglich Vorbereitungsmaßnahmen für diese Bohrungen ausgeführt worden. Darum weise er auch den Vorwurf zurück, „dass wir die Zwergschwäne verscheucht haben.“

Geplant sei, das dieser Streckenabschnitt Nummer 6, der von der A23 bis zur L114 bei Bokel den Kreis Pinneberg betrifft, bis 2026 als letztes Teilstück der A20 der Planfeststellungsbeschluss erreicht werden soll, so der Deges-Sprecher.

A20: Wirtschaftsverbände fordern zügigen Weiterbau

Unterdessen drängen die Wirtschaftsorganisationen auf einen zügigen Bau der A20. Der Unternehmensverband Unterelbe Westküste kritisiert deshalb, dass die Bundesregierung „das wichtigste Infrastrukturvorhaben für die Wirtschaft in Schleswig-Holstein, den Weiterbau der A20“ nun nicht mehr als ein Projekt von im „überragendem öffentlichen Interesse“ einstufe, so deren Geschäftsführer Ken Blöcker.

„Die A20 ist sehr wohl im überragenden öffentlichen Interesse.“ Eine schnelle Fertigstellung der „A20 mit westlicher Elbquerung ist dabei für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit und die Ansiedelung von Zukunftsindustrien von entscheidender Bedeutung“, so Blöcker.

Die A20 hätte als eine „leistungsfähige Ost-West-Magistrale Verkehrseffekte von Kontinentaleuropa bis nach Skandinavien“, argumentiert die IHK Schleswig-Holstein. „Die Autobahn bietet Entwicklungspotenzial für das gesamte Bundesland Schleswig-Holstein und Nordniedersachsen. Außerdem ist die A20 dazu geeignet, die völlig überlastete Metropolregion Hamburg vom Durchgangsverkehr zu entlasten.“ Zudem würde sie „endlich das überragende Leid der Bad Segeberger Bevölkerung lindern, deren Stadt tagtäglich als Autobahnersatz missbraucht wird.“