Elmshorn. Felix Nieder trägt als erster Mann ein Brautkleid auf der Fashion Week in Berlin. Doch das zieht auch Kritiker an.
- Model aus Elmshorn zum Mann des Jahres nominiert
- Felix Nieder bezeichnet sich als genderfluides Model
- Nieder aus Elmshorn ist das meistgebuchte deutsche Männermodel
Er läuft auf der Berliner Fashion Week, gebucht wird er vom Otto-Versand oder dem Modemacher und Designer Dawid Tomaszewski. Der gebürtige Elmshorner Felix Nieder hat in Los Angeles als Model gelebt und wurde 2021 sogar zum Mann des Jahres vom Männermagazin „GQ Gentleman“ nominiert.
Die Parameter stimmen: 1,84 Meter groß, dunkelblondes Haar, freundlicher Blick aus strahlend blauen Augen. In der nationalen Modewelt hat er sich einen Namen gemacht. Heute ist der 29-Jährige das meistgebuchte männliche Model in Deutschland. Denn er ist der erste Mann, der mehrfach auch auf Frauenshows auf den Fashion Weeks in Deutschland laufen durfte. Damit sorgt er für viel Gesprächsstoff.
Felix Nieder: Elmshorner trägt als erster Mann Brautkleid auf Fashion Week
Nieder bezeichnet sich als genderfluides Model. Gender Fluidity – zu Deutsch: Geschlecht im Fluss – wirft alle bekannte Rollenmodelle über den Haufen. Der Begriff steht für den dynamischen Wechsel von männlichen, weiblichen und geschlechtsneutralen Empfindungen – oder für den Wechsel der Kleidung, wie bei Nieder. „In der Mode habe ich keine Grenzen und bewege mich fließend zwischen den Geschlechtern. Ich laufe als Mann allerdings nicht nur in Frauenkleidung über die Laufstege“, erklärt er.
„Bereits bei der Nominierung zum „GQ Genteman“ habe ich gemerkt, dass in unserer Gesellschaft immer noch starke stereotypische Männer gefragt sind“. Während bei den Frauenmodels mit curvy, kleinen oder älteren Models schon mal Diversität gezeigt wird, sind Männermodels immer noch alle groß, schlank und mit Sixpack. „Da fragte ich mich, warum ein James Bond immer heteronormativ sein muss. Ein James Bond kann doch auch Männer mögen oder schwul sein und trotzdem die Welt retten.“
Das Model Felix Nieder wird Opfer von Hasskommentaren
Mittlerweile bekannt wird das Model kurze Zeit später zur Deutschen Fashion Week 2022 in Berlin und Frankfurt geladen – allerdings nur für Männermode. „Ich wurde sofort in die Rolle des Mannes gesteckt. Das wollte ich aber gar nicht“, so Nieder, denn „ich suche mir auch Kleidungstücke aus, die nicht alle männlich sind. Da habe ich beschlossen, ich geh auch auf die offenen Frauen-Castings.
Nicht, weil ich nur noch weibliche Mode tragen möchten, sondern weil ich fluide Kleidung mag und trage“, erklärt Nieder. „Nach ganz viel Gegensturm seitens der Designer und Manager – Was soll der Mist? –, fingen dann die ersten Modemacher doch an, mich in Frauenkleidung auf dem Laufsteg zu präsentieren.“
Felix Nieder trägt Brautkleid von Dawid Tomaszewski
Souverän dreht sich Nieder dann im Tüll-Brautrock aus der Peanuts-Kollektion des Designers Dawid Tomaszewski. Er ist mutig und hält auf dem Green-Runway auf der Dachterrasse des Sofitel ein Schild hoch, auf dem in bunten Farben „Love Is Love“ steht.
Er bekommt viel Applaus, denn „es ist das erste Mal, dass sich ein Mann traut, das zu machen. Das war der Schlüsselmoment. Hier konnte ich endlich einen Riesen-Designer überzeugen.“ Er gibt viele Interviews, ist transparent mit seiner Identität auf Instagram. Die Folge sind 2000 schöne, aber leider auch 500 Hasskommentare“ berichtet Nieder.
Amerikanische Agentur entdeckt Felix Nieder auf Instagram
Heute fällt es ihm leicht, über Hasskommentare zu sprechen. Das war aber nicht immer so. Das heutige Männer-Model wurde als Jugendlicher in der Schule häufig beleidigt und gemobbt. Und zwar so stark, dass Nieder in der sechsten Gymnasial-Klasse mit zwölf Jahren beschloss, sein schwules Ich sterben zu lassen.
Bis zu seinem 19. Lebensjahr stellte er sich hetero, hat Freundinnen, lästert im Freundeskreis herablassend über Homosexuelle. 2013 macht er auf der Elsa-Brändström-Schule Abitur, studiert dann an der Hamburger Uni Jura und ist bis zu seinem 23. Lebensjahr schlicht asexuell. „Ich habe gar nichts mehr gespielt, habe, habe nichts mehr an mich rangelassen. Meine Entwicklung zu mir selbst wurde dadurch definitiv gehemmt“, ist sich Nieder heute sicher.
Model Felix Nieder läuft als Anfänger auf Berlin Fashion Week
2016 beginnt Nieders Model-Laufbahn. Er sei da so reingerutscht, sagt er bescheiden über eine Karriere, für die Millionen Models alles tun würden. Auf Social Media wird eine amerikanische Agentur auf die Fotos seines Instagram-Accounts aufmerksam.
Als Neuling kann er zwei Mal auf der Berlin Fashion Week laufen, lebt in Los Angeles. Dort sei es ihm richtig gut gegangen, denn ich wurde akzeptiert. Ich hatte die ersten Beziehungen, bin das erste Mal Hand in Hand mit meinem Freund auf der Straße gegangen.“ Zurück in Elmshorn hat er dann sein Comingout gegenüber seiner Familie und den Freunden.
Nieder nutzt seine Bekanntheit und sprich über Schattenseiten in der Modewelt
Heute spricht Nieder ohne Groll über seine Pubertät, seine stressige Teenagerzeit in Elmshorn. Ganz unverblümt erzählt er über seine Erfahrungen zwischen Homophobie, Outing oder über die Abgründe und Schattenseiten der Modewelt wie beispielsweise dem Pinkwashing oder dem Drogenkonsum.
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Nach Zeitschriften und Zeitungen wird auch das Fernsehen auf den jungen Mann aufmerksam: Am Mittwoch, 8. Februar, und Mittwoch, 15. Februar, ist Nieder von 18.45 Uhr an Gast auf dem roten Sofa in der NDR-Sendung „Das“. Momentan wird auch eine ARD-Dokumentation gedreht.
ARD startet eine Dokumentation über Model Felix Nieder
Im Spätsommer folgt dann eine große Lesetour, die ebenfalls vom Fernsehen begleitet wird. Denn im August erscheint Nieders Biografie „Als mein schwules Ich starb“. Sowohl die Dokumentation als auch das Buch sind sehr gesellschaftskritisch und auch enthüllend, ist sich das Model sicher.
Er verspricht jede Menge kritische Blicke hinter die Kulisse der Modewelt und detailreiche Einblicke in die nicht ganz so bunte Schwulenwelt. „Schwulen Menschen ist nicht geholfen, wenn man alles glitzermäßig darstellt.“ Wichtig sei endlich zu zeigen, was hinter den oftmals zerbrechlichen Charakteren steckt.“