Pinneberg. Bald geht in Pinneberg eine Firmen-Ära zu Ende. Doch zuvor räumt die Familie noch mit Gerüchten auf und verrät ihre zukünftigen Pläne.
Ende Januar ist endgültig Schluss und das Modehaus Kunstmann in Pinneberg nach 161 Jahren Geschichte. „Wir sind im Endspurt“, sagt Hermann Wilhelm Kunstmann.
Selbst Schaufensterdekoration und -puppen sind ausgepreist, mehr als zwei Drittel der Kleidung verkauft. „Wir sind zufrieden.“ In der letzten Phase des Räumungsverkaufs werden Rabatte von 50 bis 70 Prozent gewährt. Am 28. Januar ist der letzte Verkaufstag.
Pinneberg: Kunstmanns schließen Modehaus nach 161 Jahren
In Pinneberg geht damit eine Ära zu Ende. Mit Textilien in Zusammenhang bringt man den Namen Kunstmann seit 1862, als Jacob Hermann I Wilhelm Kunstmann eine Färberei betrieb. Das Jahr wird daher als Gründungsdatum angesehen.
Bis 1937 wurde das Geschäft zu einem Herren-, Knaben-, Sport- und Berufsbekleidungsgeschäft ausgebaut. 1962 feierte die Firma 100-jähriges Bestehen mit 20 Mitarbeitern. Die Verkaufsfläche betrug 400 Quadratmeter. Das Geschäft mit Mode und Sportbekleidung florierte, Beratung und Fachverstand wurden von der Kundschaft mit Treue belohnt.
1980/81 wurde um das Grundstück Dingstätte 36 auf 2000 Quadratmeter Verkaufsfläche erweitert. Etwa 60 Mitarbeiter verkauften Damen- und Herrenoberbekleidung, Baby- und Kinderbekleidung, Jeans, Damenwäsche oder Bettwäsche.
Pinneberg: Geschäftshaus der Kunstmanns ist bereits verkauft
Heute führt Hermann Wilhelm Kunstmann das Geschäft in fünfter Generation. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann und dem anschließenden Studium in Textilbetriebswirtschaft stieg er 1995 in das Familienunternehmen ein. Kunstmann, der sich jahrelang als Erster Vorsitzender der Pinneberger Wirtschaftsgemeinschaft engagierte, hat das Haus 2007/08 von seinem Vater übernommen. Kein leichter Schritt für den 54-Jährigen, sich nun davon zu trennen.
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„Es schwingt Wehmut mit, auch bei unseren Kunden. Aber man muss prüfen, wie zukunftsfähig das Geschäft ist“, sagt er. „Und um Gerüchte auszuräumen: Wir sind nicht pleite.“ Es handele sich um eine klassische Betriebsschließung. Ausgesorgt, wie es manch anderer vermute, hätten sie aber auch nicht.
Kunstmanns haben die Immobilie wie berichtet den Brüdern Savas und Namik Ardic aus Pinneberg verkauft. Die hatten im Frühjahr 2019 an der Mühlenstraße das Autohaus Yaans eröffnet und wollen nun an der Unteren Dingstätte Mietwohnungen und Gewerbeflächen schaffen.
Pinneberg: Es sind schwierige Zeiten für den Einzelhandel
Und noch ein Gerücht möchte das Ehepaar aus der Welt räumen: „Nein, wir lassen uns auch nicht scheiden“, sagt Katrin Kunstmann lachend. Ob ihre beiden Töchter, 14 und 16 Jahre alt, einmal in die Fußstapfen der Eltern hätten treten wollen, war bisher kein Thema. Sie sind jung, ihnen stehen noch viele Wege noch offen.
Die Entscheidung, das Gebäude zu verkaufen, sei bereits vor der Energiekrise getroffen worden. Doch es sei absehbar gewesen, dass dem Einzelhandel schwere Zeiten bevor stünden. Die Branche habe ein Ertragsproblem. „Wenn am Ende nur ein bis drei Prozent übrig bleiben, reicht das nicht“, sagt Kunstmann. Corona sei nur der Anfang gewesen. „Wenn ein Schiff von einem Sturm in den nächsten gerät, ist es irgendwann nicht mehr seetauglich.“
Pläne, das Geschäftshaus selbst umzubauen, die Verkaufsfläche zu verkleinern und einen Teil zum Wohnhaus umzubauen, hatte die Familie verworfen. Es wäre bei den steigenden Baukosten kaufmännisch schwer abzudecken und bei den dynamischen Entwicklungen in der Baubranche nicht kalkulierbar gewesen.
Pinneberg: Was Kunstmanns nach dem Räumungsverkauf planen
„Ohne die tatkräftige Unterstützung der Mitarbeiter wäre der Räumungsverkauf gar nicht möglich“, sagt Kunstmann. Die seien bis zum Schluss extrem flexibel und kompetent, was unter diesen Umständen keine Selbstverständlichkeit sei. Die 20 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeit. „Alle sind in guten Gesprächen oder haben schon etwas neues gefunden“, sagt er. Nicht jeder will im Einzelhandel bleiben.
Was am Ende nicht verkauft wird, geht an eine Online-Plattform für Deko-Artikel und an Firmen, die Restposten aufkaufen. Nach dem Ausverkauf wird Wuppermann noch ein paar Wochen mit der Auflösung beschäftigt sein. Und dann? „Mache ich das erste Mal seit den Flitterwochen vor 18 Jahren drei Wochen am Stück Urlaub“, sagt Hermann Kunstmann. Nach Dänemark soll es gehen. Katrin Kunstmann wird nicht ganz so lange bleiben können, weil sie in ihrem neuen Job in der Geschäftsführung von Viromed Medical, den sie seit 2020 macht, voll eingespannt ist.
Pinneberg: Kunstmann-Aus ist ein herber Verlust für die Stadt
Hermann Kunstmann wird sich als Berater in der Modebranche selbstständig machen. Ein Büro in Rellingen, wo die Familie lebt, hat er schon in Aussicht. Und vielleicht mal nicht 60 bis 70 Stunden die Woche arbeiten. „Dass wir beide dann mal gemeinsam ein freies Wochenende haben, wäre auch ein Novum“, sagt sie.
Für Pinneberg ist es ein Verlust. Das Familienunternehmen Hermann Kunstmann wurde auf dem Neujahrsempfang gerade erst als Förderer der Stadt Pinneberg ausgezeichnet (wir berichteten). Die Familie unterstützt den VfL Pinneberg, sponserte Jugendmannschaften und engagierte sich im Vorstand, war an der Gründung des Stadtmarketings und des Weihnachtsdorfes beteiligt, unterstützt Hörnum-Fahrten, initiierte die Weihnachtsbeleuchtung und wirkte in der Wirtschaftsgemeinschaft.