Hamburg. Zahnlücken, Sommersprossen, bereits im Rentenalter oder Plus Size: Models heute haben viele Facetten.

Egal ob Hautfarbe, Nationalität oder Körperform: Immer mehr Models entsprechen nicht mehr dem klassischen Typ. Lange Zeit war die Werbung durch besonders schlanke, weiße, große und möglichst makellose Frauen geprägt. Schaut man heute hingegen in die Schaufenster großer Modeketten wie H&M, Monki oder ZARA, blickt man in kantige Gesichter, auf abstehende Ohren und normalgewichtige Körper. Erblickt eben jene Vielfalt, die unsere Gesellschaft ausmacht.

Doch wann eigentlich kam es zu diesem Wandel in der Werbung und vor allem: Warum? Wird Werbung nun immer diverser oder ist das vielleicht nur ein Trend von begrenzter Dauer?

Models in Hamburg: Neben der weißen Blondine sind nun auch andere Typen gefragt

In der neuen Folge „Drama, Baby!“ diskutieren Marco Sinervo, Betreiber der Modelagentur MGM, Michel Clement, Professor für Marketing und Medien an der Universität Hamburg und Julia Lenk, Doktorandin mit dem Schwerpunkt Diversität und Werbewirkung, ebenfalls an der Universität Hamburg, welche Rolle Diversität heute in der Werbung spielt. Weshalb gerade ein bestimmter Modeltyp gefragt ist, hat zum Beispiel etwas mit der Entwicklung unserer Gesellschaft zu tun, sagt Julia Lenk.

Die Hautfarbe, so die Doktorandin, spielt dabei eine große Rolle. „In Studien aus den USA können wir beobachten, dass es in unserer Gesellschaft eine erkennbare allmähliche Verschiebung von der weißen Mehrheitsbevölkerung hin zu ethnischen Minderheitsbevölkerung gibt. Die weiße Bevölkerung als Mehrheit wird es in 30 Jahren in dieser Form gar nicht mehr geben“, so Lenk.

Marken, die weltweit Erfolg anstreben, müssen inklusiv für sich werben

Da Attraktivitätsempfinden viel mit Identifikation zu tun habe, und immer mehr Menschen nicht mehr der weißen Mehrheitsgesellschaft angehören, identifizierten sich folglich immer mehr Personen mit anderen Ethnien und Models, die nicht dem mitteleuropäischen Typ entsprechen. Darüber hinaus fänden aber auch immer mehr weiße Menschen schwarze Menschen attraktiv.

Das beobachtet auch Marco Sinervo, Betreiber der Hamburger Modelagentur MGM mit Sitz an der Außenalster. Die Kartei des Agenturgründers ist mittlerweile sehr divers und enthält neben verschiedenen Modeltypen auch Personen mit Behinderung.

Vor etwa zehn Jahren noch habe dies anders ausgesehen. Welches Model letzten Endes aber von einem Kunden für eine Kampagne gebucht wird, hänge Sinervo zufolge auch von der Geografie ab. Asien oder Russland etwa „sind immer noch sehr weiß“. Dort gebe es im Gegensatz zu Europa so gut wie keinen Markt für schwarze Models. In den USA hingegen, so Lenk, sehe man eindeutig mehr Intersektionalität, also sich überschneidende Merkmale wie Models mit Behinderung, die nicht klassisch mitteleuropäisch weiß sind.

Die sozialen Netzwerke beschleunigen den Wandel in der Branche

Entgegen der Erwartung der Wissenschaft, geht Sinervo sogar davon aus, dass Diversität lediglich ein Trend sei, mit dem Firmen sich derzeit „menschlicher und nahbarer“ zeigen wollen. So zumindest das Empfinden des Agenturbetreibers. „Wir merken das vor allem bei den großen internationalen Kunden. Die namhaften Brands, die machen vielleicht ein, zwei Mal etwas mit nicht-klassischen Models. Am Ende greifen sie aber doch auf die klassischen Modelmaße zurück.“

Dem wiederum widerspricht Michel Clement, Professor für Medien und Marketing, aus mehreren Gründen. Zum einen, so der Professor, würden Zielgruppen immer diverser. „Für eine international agierende Marke kann ich es mir eigentlich kaum noch vorstellen, einfach einen Modeltyp zu buchen, der vielleicht nicht das diverse Leben auch mit sich bringt.“ Je stärker eine Marke positioniert sei, umso stärker sei dem Professor zufolge auch der soziale Druck.

Manche Marken setzen auf Diversität, weil es zu ihrer aktuellen Marketingstrategie passt

Zum anderen müssten sich die Marken vor Augen halten, dass die sozialen Medien eine Menge Einfluss auf uns haben. „Selbst wenn ich in Süderbrarup wohne, kann ich sehen, was die gesamte Welt an Spektren für mich mitbringt. Insofern ändern sich auch die Zielgruppen.“

Bedienen sich die Marken also nur noch ausschließlich an einem Modeltyp, drohe ihnen auch immer ein Stück weit ein Shitstorm. Zudem glaubt der Professor, dass Models durch die sozialen Medien auch die Funktion erhalten, gewisse Gruppen zu bilden. „Ich bin davon überzeugt, dass je diverser die Modellandschaft ist, umso eher finde ich Typen, mit denen ich mich ein Stück weit von anderen absetzen kann.“

Sinervos Argument aufzugreifend, gebe es Clement zufolge aber „natürlich auch immer Firmen, die eine Art Greenwashing betreiben.“ Also aus reiner Marketingstrategie heraus vorzugeben, progressiv und inklusiv zu sein, um mehr Umsatz zu erzeugen. Am Ende komme es aber immer darauf an, ob ein Model Aufmerksamkeit generieren könne. Dies ist schließlich laut Forschung die primäre Funktion von Werbung.

Welche Mechanismen unser Konsumentenverhalten beeinflussen

„Konsumenten unterscheiden verschiedene Ebenen, auf denen eine gute Werbung wirken muss.“ Neben dem Erregen von Aufmerksamkeit muss die Werbung beim Konsumenten etwa den Wunsch und das Bedürfnis erwecken, das Produkt besitzen zu wollen, erklärt Clement.

Zum einen kann dies durch das Charisma des Models erregt werden, indem es nicht den Erwartungen entspricht und dadurch Aufmerksamkeit erzeugt. Zum anderen kann es aber auch beispielsweise eine bekannte Persönlichkeit sein, die selbst so etwas wie eine Marke, eine sogenannte „Human Brand“ ist, so der Professor.

Eine Ethnie die derzeit stark nachgefragt ist in der Branche, sei die asiatische, so Sinervo. Seit etwa sechs bis sieben Jahren spürt der Agentur-Betreiber einen regelrechten „Boom“, wie er sagt. „Da ist der aktuelle Trend von der internationalen Anfrage her gesteuert.“

In der Branche wird das Geschlecht verstärkt zum Thema

Ein weiterer „Trend“, wie ihn der Agenturgründer beschreibt, sei das Thema „Plus Size“. Also Models, die nicht Konfektionsgröße 36 oder 38 tragen und einen kurvigeren Körper besitzen. Auch hier seien die Amerikaner etwas weiter, verrät Lenk. Dies liege aber womöglich auch an der Zielgruppen, da die USA die höchste Rate an Fettleibigen weltweit aufweist.

Luxusmarken griffen hingegen vermehrt auf den klassischen Modeltyp zurück, die sogenannten „commercial“ Models, die „perfekte, supergute und feine Haut“ haben, so Sinervo. „Mit Mode verkauft man schließlich auch Träume.“

Ein weiterer Aspekt beim Thema Diversität sei das Geschlecht. Während mancherorts Agenturen bereits dazu übergehen, Models nicht mehr nach Geschlecht zu unterscheiden, hält Sinervo diese Herangehensweise für „übertrieben“, wie er sagt.

Models in Hamburg: Mehr Transpersonen in der Werbung könnten Toleranz fördern

„Ich finde auch das Gendern übertrieben“, erklärt der Hamburger, weshalb Sinervo seine Kartei auch weiterhin in weiblich und männlich unterteilt. „Die Anzahl an Transgender-Personen in Deutschland liegt ja wirklich im Promillebereich.“

Lenk hingegen glaubt, dass mehr Transgender-Personen in der Werbung auch ein Spiegel der Gesellschaft seien und zudem die Akzeptanz fördern können: „Je öfter man etwas sieht, desto mehr gewöhnt man sich daran“, so die Doktorandin.

Auf diese Weise, so Lenk, könne die Gesellschaft offener werden und eine höhere Toleranz entwickeln gegenüber Gruppen, mit denen der ein oder andere womöglich noch nicht in Berührung gekommen ist. Wo genau diese Beobachtungen Anwendung finden und welche Marken auf bestimmte Trends aufspringen, besprechen die drei in der neuen Podcast-Folge „Drama, Baby“.