Pinneberg. Eine Ära geht zu Ende: Inhaber Hermann Wilhelm Kunstmann hat die Immobilie verkauft. Was über die neuen Eigentümer bekannt ist.
Die poppigen Sonderangebotsschilder hängen schon länger, aber jetzt zieren sie fast jeden Kleiderständer im Modehaus Kunstmann. Denn Inhaber Hermann Wilhelm Kunstmann (54), der das Unternehmen in fünfter Generation führt, hat die Immobilie samt Grundstück verkauft. Ende Januar schließt er sein Geschäft und beendet damit eine Ära, die im Jahre 1862 mit dem Betrieb einer Färberei begann. Seit 1716 lebt die Familie in Pinneberg. Hermann Kunstmann, der als fünfter denselben Vornamen führt, hat als Kind sogar mal in der unteren Dingstätte gewohnt. Nummer 49. Aber das ist eine andere Geschichte.
Viele Jahrzehnte war die Geschichte des Modehauses geprägt von Wohlstand, Wachstum und Erfolg. Das Geschäft mit Mode und Sportbekleidung florierte, Beratung und Fachverstand wurden von der Kundschaft geschätzt und mit Treue belohnt. Hermann V Kunstmann hat das Haus 2007/08 von seinem Vater übernommen. Seitdem ist gerade die Textilbranche im Zuge der Globalisierung, der Billigmode, des Internethandels und der aktuellen Preissteigerungen großen Herausforderungen ausgesetzt. Der Kampf um Marktanteile und Kunden hat eine neue Dimension angenommen.
Pinneberg: Im Familienrat wurden alle Argumente diskutiert
„Natürlich ist das traurig“, sagt Hermann Kunstmann zum Ende des Gesprächs mit dem Abendblatt. Mit dem berühmten lachenden und weinenden Auge gehe er in die Zukunft, „aber die Entscheidung fühlt sich von Tag zu Tag richtiger an. Schließlich wollte ich das Heft des Handelns in der Hand behalten.“ Leicht hat er es sich nicht gemacht. Lange mit Vater Hermann Christian darüber diskutiert, im Familienrat alle Argumente getauscht. „Man muss realistisch in die Zukunft gucken. Mein Vater sieht das auch so. Er hat das Geschäftliche peu à peu losgelassen.“
Als Einzelhändler sei man immer wieder Veränderungen ausgesetzt: „Ich erinnere mich noch, wie Großvater vom Krieg erzählt hat und davon, dass man damals Firmengemeinschaften gegründet hat. Wir hatten bis 1937 Herren- und Knabenkleidung. Aber es herrschten andere Zwänge“, sagt er. Jüngst haben sich Krisen aneinander gereiht: „Viele kleine Herausforderungen sind auf uns reingeprasselt. Das zusammen wirkt sich ja doch aus“, sagt er.
Gemeint ist die Pandemie, die dazu führte, dass anlassbezogene Verkäufe zu Hochzeiten, Konfirmationen, Jubiläen oder Bällen für zwei Jahre nahezu komplett wegbrachen. Der Internethandel noch stärker wurde. Und jetzt noch der Ukrainekrieg enorme Kostensteigerungen bei Energie, Strom, Logistik, Waren und weitere Mehrkosten zur Folge hat.
Pinneberg: Hermann Kunstmann will auch künftig in der Branche arbeiten
„Ich bin daran interessiert, dass meine Mitarbeiter hinterher möglichst einen Job kriegen. Ich glaube, die Chancen dafür stehen gut. Und wo ich unterstützen kann, tue ich es“, sagt Kunstmann. Wie es mit ihm selber weitergeht? „Ich bleibe in der Branche. Werde aber nicht mehr selbstständig sein“, so viel verrät er schon, und ein kleines Aufatmen ist zu hören.
Schon mit dem neuen Bebauungsplan für das Viertel sei ihm vieles klargeworden: „Dass sich Innenstädte transformieren, ist der Lauf der Dinge“, sagt er dazu. Als jahrelanger Erster Vorsitzender der Pinneberger Wirtschaftsgemeinschaft weiß er auch: „Es ist vorbei, dass man sich bekämpft. Heute geht es um Zusammenarbeit. Und wir brauchen eine gute Mischung aus Wohnen, Handel und Gastronomie.“
Pinneberg muss die Aufenthaltsqualität in der City erhöhen
Auch Michael Patt, Vorsitzender der Wirtschaftsgemeinschaft, findet es „schade, dass ein alteingesessenes Unternehmen die Stadt verlässt“. Dennoch seien hier auch jetzt noch schöne inhabergeführte Geschäfte entstanden. „In Pinneberg geht es uns eigentlich noch extrem gut.“ Allerdings gehe es in den nächsten Jahren darum, mehr Gastronomie in die City zu ziehen und die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. „Wir brauchen keinen weiteren Ein-Euro-Shop. Und die Bürger haben es selbst in der Hand, ob es hier schöne Geschäfte gibt“, sagt Patt.
Fast nebenan in der unteren Dingstätte gegenüber vom jüngst geschlossenen Kürschner floriert das Café Cero seit acht Jahren. „Es ist schade, dass Kunstmann zumacht, gerade für die Pinneberger Innenstadt. Ich mache mir schon Gedanken. Der Begriff ,Sorgen’ ist allerdings übertrieben“, sagt Inhaber Marcel Weisrock (39). „Schöner wäre es natürlich, wenn Kunstmann bliebe. Wenn immer mehr Geschäfte dichtmachen, gibt es weniger Auswahl, und die Leute fahren dann womöglich zum Einkaufen woanders hin.“ Angst vor Kundenschwund hat der Gastronom nicht. „Wir haben eine gute Stammkundschaft.“
Pinneberg: Untere Dingstätte braucht einen Modernisierungsschub
Auch Stadtmarketing-Chefin Birgit Schmidt-Harder bedauert „die Schließung eines so renommierten und alteingesessenen Pinneberger Unternehmens. Ich weiß, dass Herr Kunstmann sich diesen Schritt nicht leicht gemacht hat. Klar ist aber auch, dass die untere Dingstätte dringend einen Investitions- und Modernisierungsschub braucht.“
Sie sei froh, dass ein Pinneberger Unternehmen – und keine anonyme Investmentfirma – den Zuschlag bekommen habe – ein Unternehmen, das sich der Stadt verbunden fühle und sich seiner Verantwortung sehr bewusst sei. Noch soll es anonym bleiben.
Bürgermeisterin Urte Steinberg bedauert den Schritt ebenfalls sehr: „Seit Generationen war das Geschäft ein Garant für hochwertige Bekleidung. Zudem hat die Familie immer großes gesellschaftliches Engagement in Pinneberg und insbesondere für den Sport gezeigt.“ Der Verkauf des Gebäudes an einen lokalen Investor sei positiv zu bewerten. Damit habe Hermann Kunstmann den Weg bereitet für eine sensible Weiterentwicklung im Bereich der neu entstehenden Ebertpassage und der unteren Dingstätte. Steinberg: „Gemeinsam mit dem neuen Eigentümer wird die Stadt den Weg in eine spannende Zukunft beschreiten. Ich bin sicher, dass es uns gelingt, den neuen Eingang zur Innenstadt attraktiv und offen zu gestalten.“