Uetersen. Zu viele Krisen nacheinander zwingen den Uetersener Familiengeschäft von Heidi Lembke in die Knie – kein Einzelfall.
Corona-Schließungen, Lieferengpässe, ausgefallene Messen, explodierende Energiekosten, sinkende Kaufkraft: Wenn man Heidi Lembke fragt, warum sie ihr Geschäft in Uetersen nach 150 Jahren Firmengeschichte schließen muss, fallen ihr viele Gründe ein. Zu viele. Dass sie mit 65 Jahren einfach ihre Rente genießen möchte, gehört nicht dazu. „Wären die Umstände besser, hätte ich gern noch weitergemacht“, sagt sie. Doch finanziell lohnt es sich einfach nicht mehr. „Die Politik macht uns kaputt“, sagt Heidi Lembke. Darum gehen am Großer Sand 118 im Fachgeschäft für Haushaltswaren und Geschenkartikel am 31. Dezember die Lichter aus – und zwar für immer.
Uetersen: Traditionsgeschäft Lembke schließt nach 150 Jahren
Die Eisenwarenhandlung und die Werkstatt, die ihr Mann Heinz-Jürgen Lembke im hinteren Teil des Hauses betreibt, ist von der Schließung zwar nicht betroffen. „Ich werde noch ein paar Jahre weitermachen“, sagt er. In seinem Gartengeräte-Service bietet er Reparaturen und Wartungen von Rasenmähern und Kleintraktoren, Vertikutierern, Häckslern, Motorsägen, Heckenscheren, Pumpen, Rasentrimmern und weiteren motorbetriebenen Geräten unterschiedlicher Hersteller an. „Wir holen die Geräte auch ab und bringen sei wieder“, sagt Heinz-Jürgen Lembke. Das würde besonders von älteren Menschen gern angenommen.
Doch für das Geschäft, das schon seine Großeltern und Eltern betrieben haben, tut es ihm leid. „Wir fühlen uns im Stich gelassen. Am 14. Dezember 2021 kam der Lockdown, im Januar die Rechnungen der Händler“, sagt er. Kein Großhändler arbeite mehr auf Kommission. Insgesamt 19.000 Euro an Corona-Hilfen mussten die Geschäftsleute zurückzahlen.
Corona-Maßnahmen machten Geschäftsleuten zu schaffen
Geld, das nicht da ist. Denn die Einnahmen fehlten. Durch staatliche Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wie Geschäftsschließungen, Zugangsbeschränkungen und Hygieneschutzauflagen seien die Geschäfte massiv beeinträchtigt gewesen, so Heidi Lembke. Löhne der Mitarbeiter mussten teilweise aus privaten Rücklagen bestritten werden, weil die Bearbeitung des Antrags auf Kurzarbeitergeld mehr als ein halbes Jahr gedauert habe. Nun verlieren ihre beiden Mitarbeiterinnen endgültig ihre Jobs.
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Um Energiekosten zu sparen, hat Heidi Lembke ihre Öffnungszeiten schon jetzt verkürzt. Sie öffnet nun wochentags von 9.30 bis 15 Uhr (statt bis 18 Uhr), außer donnerstags, da bleibt das Geschäft bis 18 Uhr geöffnet. Sonnabends ist von 9.30 bis 13 Uhr auf.
Energiekrise gefährdet Existenzen von Einzelhändlern
Lembkes Schicksal teilen auch andere Unternehmer. Die Hälfte der Einzelhandelsunternehmen in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg sind durch die Energiekrise existenziell gefährdet, so der Handelsverband Nord. Und das sei nur die jüngste Schwierigkeit in einer Reihe von Hindernissen, die der Einzelhandel in den vergangenen zweieinhalb Jahren zu überwinden hatte.
„Die meisten Unternehmen haben in dieser Zeit massiv Eigenkapital verloren und Schulden aufgebaut“, so der Präsident des Handelsverband Nord, Andreas Bartmann. Steigende Energie- und Logistikkosten, massive Lieferschwierigkeiten, eine spürbare Kaufzurückhaltung als Folge steigender Verbraucherpreise, Personalknappheit und fehlende Planungssicherheit würden die Unternehmen schwer belasten.
Uetersen: Lembke wird vor allem ihre Kunden vermissen
Der Handelsverband Nord fordert von der Politik, das Energieangebot maximal auszuweiten, den Strompreis temporär zu deckeln, die Stromsteuer auf das EU-Minimum zu senken und das Strompreisdesign so anzupassen, dass teure Gaskraftwerke nicht die preisdominierenden Kraftwerke blieben.
„Ich werde vor allem die vielen netten Gespräche mit den Kunden vermissen“, sagt Kauffrau Lembke, die mit ihrem Mann in Haselau wohnt. Legendär waren ihre Mädelsabende im Geschäft, zu denen sie einlud, mal verbunden mit einer Modenschau, Vorführungen zu Shiatsu, Kochen im Wok, gemeinsamen Backen oder Schminkberatung. Die Ideen gingen der fröhlichen Geschäftsfrau nie aus. „Ich habe hier schöne Jahre gehabt“, sagt sie etwas wehmütig.
Uetersen: Unternehmerin schließt Familienbetrieb nach 150 Jahren
Sie hat aber auch schon Pläne für den Ruhestand. „Ich will Türkisch lernen. Wir verbringen jedes Jahr unseren Urlaub in der Türkei.“ Und mit einer Stammkundin hat sie sich schon für einen Kochkurs verabredet. Außerdem sind da noch ihre vier Kinder und die Enkelkinder, für die sie nun mehr Zeit habe.
Bis Ende des Jahres geht der Verkauf noch wie gewohnt weiter. Die üppige Weihnachtsdekoration ist schon aufgebaut und wird mit 20 Prozent Rabatt angeboten. Die Regale mit den Haushaltswaren lichten sich schon. Einzelne Waren kann sie auf Wunsch aber auch noch bestellen. Auch die Wunschbaumaktion von „Der Norden hilft“ wird sie in diesem Jahr noch einmal unterstützen. Vom 10. Oktober können einmal mehr Wunschzettel von bedürftigen Kindern gepflückt werden, um ihnen ein Geschenk zu machen.