Quickborn. Staatsanwaltschaft zieht Revision zurück – obwohl sie weiterhin überzeugt ist, den wahren Schuldigen präsentiert zu haben.
Der brutale Mord auf dem Quickborner Eulenhof vom 29. Juni 2020 – er bleibt wohl ungesühnt. Der im Februar 2022 ergangene Freispruch für Jens von P. (43), dem die Staatsanwaltschaft die Ermordung seines Freundes und Geschäftspartners Andre Piontek (44) vorwarf, ist rechtskräftig. Denn die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat ihre eingelegte Revision gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe zurückgezogen. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe ist damit nicht mehr notwendig.
Mord auf dem Reiterhof: Staatsanwaltschaft zieht Revision zurück
„Wir haben das schriftliche Urteil sorgfältig geprüft und uns im Anschluss entschlossen, die eingelegte Revision zurückzuziehen“, bestätigt Peter Müller-Rakow, Sprecher der Staatsanwaltschaft Itzehoe. Damit ist das Urteil, das von der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe am 14. Februar 2022 nach knapp elf Monaten und 34 Verhandlungstagen gefällt wurde, nicht mehr anfechtbar.
Der Prozess gegen den heute 43-Jährigen hatte am 17. März 2021 begonnen. Ein halbes Jahr zuvor hatte die Staatsanwaltschaft einen Ermittlungserfolg im Fall Andre Piontek verkündet und einen Haftbefehl gegen seinen Freund und Geschäftspartner erwirkt. Die spätere Mordanklage gegen den zu diesem Zeitpunkt in Hasloh wohnenden Mann beruhte vor allem auf zwei Indizien.
Die Handydaten des Angeklagten legten nahe, dass er sich zum Zeitpunkt der Tat auf dem Eulenhof aufgehalten hatte. Außerdem hatte ein Zeuge ausgesagt, er habe Jens von P. kurz vor dem Mord eine Schusswaffe geliehen und diese noch in der Mordnacht von ihm zurückerhalten.
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Opfer wurde mit zwei Schüssen in den Hinterkopf getötet
Dass die zwei Schüsse in den Hinterkopf, an denen der Reiterhof-Besitzer in der Nacht zum 29. Juni 2020 starb, tatsächlich aus dieser Waffe stammen, ließ sich nicht beweisen. Denn besagte Waffe hatte die Polizei nicht sicherstellen können. Und auch der angebliche Waffenlieferant brachte während des Verfahrens kein Licht in das Dunkel. Weil gegen den Norderstedter wegen seiner Mitwirkung an dem Mord ermittelt wurde, stand ihm ein Aussageverweigerungsrecht zu, was er auch in Anspruch nahm.
Jens von P. selbst hatte während des gesamten Prozesses seine Unschuld beteuert. Die Vorwürfe gegen ihn nannte er „unfassbar“, sie seien falsch. „Ich habe meinen besten Freund nicht ermordet, ich hatte dazu auch gar keinen Grund.“ Das Mordopfer sei in Drogen- und Waffengeschäfte verstrickt gewesen, habe sich in der Nacht seines Todes diesbezüglich mit Geschäftspartnern treffen wollen. Er sei bis kurz vor diesem Termin auf dem Eulenhof gewesen, dann jedoch gefahren. Dass er laut Daten seines Handys viel länger dort gewesen sein soll, begründete der Angeklagte mit einem Defekt des Geräts.
Handydaten geben Auskunft über möglichen Todeszeitpunkt
Lange Zeit galt während des Verfahrens 1.18 Uhr als spätestmöglicher Todeszeitpunkt des Opfers. Das hatte ein erstes Gutachten der Rechtsmedizin ergeben, das einen Korridor von 21.12 Uhr bis 1.18 Uhr berechnet hatte. Jens von P. hatte laut Daten seines Handys den Reiterhof allerspätestens um 1.13 Uhr verlassen. Handydaten Pionteks legten jedoch nahe, dass er um 1.06 Uhr noch gelebt haben könnte.
Genau geklärt werden konnte dies nicht, weil das iPhone des Opfers von den Ermittlern lange Zeit nicht geknackt werden konnte. So war nicht sicher, ob das Gerät zu diesem Zeitpunkt aktiv bedient worden ist oder nur automatisiert ein Update aufgespielt hat.
Die Annahme, dass Piontek um 1.06 Uhr noch gelebt hat, führte zu einer Verschiebung des spätestmöglichen Todeszeitpunkts nach hinten – und zwar auf 3.35 Uhr. Diese Tatsache führte am 4. Februar 2022 zur Entlassung des Angeklagten aus der Untersuchungshaft – und letztlich auch zu seinem späteren Freispruch.
Mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens ist nicht zu rechnen
Lange nach Prozessende ist es nach Abendblatt-Informationen nun doch noch gelungen, die PIN-Sperre des Opfer-Handys zu knacken. Die Daten sollen nahe legen, dass eine aktive Nutzung des Mobiltelefons durch Piontek nicht erfolgt ist. Somit könnte doch der erste errechnete Todeszeitpunkt der richtige sein.
Seit Ende Dezember 2021 ist der Paragraf 362 der Strafprozessordnung dahin gehend geändert worden, dass unter anderem in Fällen von Mord oder Völkermord eine Wiederaufnahme des Verfahrens auch bei rechtskräftigem Freispruch des Angeklagten möglich ist – wenn sich aus nachträglich verfügbaren Beweismitteln die hohe Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Freigesprochenen ergibt.
In diesem Fall sollen die aus der nachträglichen Handyauswertung gewonnenen Daten jedoch für einen solchen Schritt nicht ausreichend sein. Mit einer Wiederaufnahme des Verfahrens ist deshalb nicht zu rechnen. Ebenso unwahrscheinlich erscheint es auch, dass die Ermittler der Mordkommission einen anderen möglichen Täter präsentieren und dieser dann vor Gericht gestellt wird.
Mord auf dem Reiterhof: Freispruch für Angeklagten ist rechtskräftig
Nach Abendblatt-Informationen sind die Ermittler weiterhin davon überzeugt, mit Jens von P. den wahren Schuldigen präsentiert zu haben. Der für den Prozess zuständige Staatsanwalt Hendrik Schwitters war das auch. Er hatte eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Haft gefordert und nach dem Freispruch angekündigt, Revision einlegen zu wollen. Damit können jedoch nur Rechtsfehler des Gerichtes gerügt werden – und die hat die Staatsanwaltschaft offenbar nicht ausmachen können.
Die Verteidiger Jürgen Meyer und Jakob Struif hatten Freispruch für den Tatverdächtigen gefordert – und selbst Oleg Georgieff, der als Anwalt die Hinterbliebenen Pionteks vertrat, hatte einen solchen beantragt. „Ich hoffe jeden Tag, dass der richtige Täter gefunden wird und die Hintergründe aufgeklärt werden“, hatte Jens von P. im Prozess gesagt.