Quickborn. Der letzte Verhandlungstag begann, wie der vorige endete – mit einer Überraschung. Der Staatsanwalt kämpfte um Gerechtigkeit.
Nach knapp elf Monaten und 34 Verhandlungstagen hat der Reiterhof-Mordprozess am Montag ein Ende gefunden – dank einer Marathonsitzung: Nach mehr als elfstündiger Verhandlung erschien die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe um 20.40 Uhr zur Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Es folgte ein Freispruch für den Angeklagten Jens von P. (42) – aus Mangel an Beweisen. Nach einstündiger Begründung schloss Richter Johann Lohmann um 21.40 Uhr die Verhandlung.
Begonnen hatte der letzte Prozesstag um 9.30 Uhr mit dem Versuch des Staatsanwalt Hendrik Schwitters, die sich anbahnende Niederlage für die Anklage noch abzuwenden.
Der Hasloher Jens von P., angeklagt wegen des Mordes an dem Eulenhof-Besitzer Andre Piontek (44), war am Ende des vorigen Prozesstages am 4. Februar völlig überraschend nach 17 Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil die Schwurgerichtskammer keinen dringenden Tatverdacht gegen ihn mehr sah.
Reiterhof-Prozess: Wie die Richter das Urteil begründen
Vorausgegangen war ein neues Gutachten der Rechtsmedizin, wonach sich der spätestmögliche Todeszeitpunkt des Opfers am 29. Juni 2020 von 1.18 auf 3.35 Uhr verschoben hatte. Weil Jens von P. den Eulenhof spätestens um 1.13 Uhr verlassen und Piontek um 1.06 Uhr wohl noch gelebt hatte, sahen die Richter keine gesicherten Anhaltspunkte mehr dafür, dass sich der Angeklagte zum Zeitpunkt des Mordes noch am Tatort aufhielt.
Diese Linie behielten die Richter auch in der Urteilsbegründung bei. „Wir sehen zu viele Optionen für alternative Erklärungen“, so Lohmann. Der Indizienring für eine Täterschaft des Angeklagten, den der Staatsanwaltschaft in seinem 100-minütigen Plädoyer aufgebaut habe, enthalte aus Sicht der Kammer „große Lücken“, so Lohmann. „Wir sind nicht überzeugt, dass es der Angeklagte war, der das Opfer mit zwei Schüssen getötet hat.“
Eine Verurteilung müsse sich auf die persönliche Überzeugungsbildung der Richter und eine tragfähige Beweisgrundlage stützen, dass der Angeklagte mit objektiv hoher Wahrscheinlichkeit der Täter war. „Beides ist nicht vorhanden“, so Lohmann. Der Staatsanwaltschaft habe eine Möglichkeit aufgezeigt, dass Jens von P. der Täter war. Mehr jedoch nicht. Es gebe noch viele weitere Möglichkeiten.
Reiterhof-Prozess: Es fehlte ein Motiv
Die Richter sind überzeugt, dass sich der Todeszeitpunkt Pionteks nicht näher eingrenzen lässt. Daher stünde noch ein ausreichend großer Zeitraum zur Verfügung, in dem nach Verlassen des Reiterhofs durch den Angeklagten ein anderer Täter am Werk gewesen sein könnte. Zudem ist die Kammer dank der Aussage einer Zeugin überzeugt, dass Andre Piontek in der Tatnacht eine weitere Verabredung hatte, die zeitlich nach der mit dem Angeklagten lag. „Diese Verabredung kann ein alternativer Täter sein“, so Lohmann.
Aus der reinen Tatsache, dass sich Jens von P. in der Tatnacht am Tatort aufhielt, könnten keine Rückschlüsse auf seine Täterschaft gezogen werden. Auch nicht daraus, dass er sich nach Überzeugung der Kammer kurz vor der Tat eine Waffe auslieh und diese ausgerechnet in der Tatnacht zurückgab. Dass jemand eine Waffe, mit der er einen Mord begeht, nicht verschwinden lässt, sondern wieder abgibt, sei lebensfremd, so der Richter. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass es sich bei der bis heute verschwundenen Waffe um die Tatwaffe gehandelt habe. Aussagen mehrerer Gutachter würden dafür sprechen, dass es sich um ein anderes Waffensystem handele, so Lohmann.
Zudem fehle es dem Angeklagten an einem Motiv für den Mord. Das Opfer sei sein bester Freund gewesen und Jens von P. habe jahrelang von ihm profitiert, auch finanziell. So habe der Angeklagte als Quasi-Geschäftsführer auf dem Reiterhof gearbeitet und damit seinen Lebensunterhalt bestritten. Er sei nicht der Erbe Pionteks gewesen, der zudem nur Pächter des Eulenhofs gewesen sei. Der Tod des Opfers habe Jens von P. dessen Lebensunterhalt abgeschnitten. Und auch dass Jens von P. sowie dessen Mutter Piontek eine größere Geldsumme geliehen habe, tauge nicht als Mordmotiv. Durch dessen Tod sei eine Rückzahlung kaum wahrscheinlicher geworden.
Reiterhof-Mordprozess: Überraschung zu Beginn
Laut dem Urteil wird der 42-Jährige für die Untersuchungshaft, in der er vom 18. September 2020 bis zum 4. Februar 2022 einsaß, eine Entschädigung enthalten. Rechtskräftig wird das Urteil allerdings nicht. Staatsanwalt Schwitters kündigte an, Revision einzulegen – und sieht gute Erfolgschancen beim Bundesgerichtshof. Mit einer diesbezüglichen Entscheidung ist frühestens gegen Ende des Jahres zu rechnen.
Der letzte Verhandlungstag begann am Morgen, wie der vorige endete – mit einer Überraschung. Richter Lohmann gab bekannt, dass das Gericht am Sonntagabend ein Auswertebericht des Lka erhalten hat, der den Wlan-Router auf dem Eulenhof betrifft. Das Dokument stammt bereits aus dem August 2021, war jedoch bisher nicht zu den Akten gelangt. Nach Einschätzung des Richters enthält es keine neuen Ermittlungsansätze.
Staatsanwalt Schwitters sah dies anders. Er hat dem Bericht entnommen, dass zwei minderjährige Verwandte des georgischen Stallknechts sich zum Mordzeitpunkt auf dem Hof aufhielten. Seinen Antrag, diese neuen Zeugen zu vernehmen, lehnte das Gericht ab. Ebenso wie den zweiten Antrag des Anklägers. Er wollte Petra P. in den Zeugenstand rufen – die Frau, mit der Piontek vor seinem Tod als letztes telefonierte.
Reiterhof-Mord: Was passierte auf dem Eulenhof?
Sie soll laut polizeilicher Aussage angegeben haben, dass Piontek über einen Streit mit Jens von P. berichtet habe. Der sei „ein Hallodri, unzuverlässig und ständig betrunken“. Daher habe das Opfer vorgehabt, sich vom Angeklagten, der in die Führungsstruktur des Reiterhofs eingebunden war, zu trennen. Die Richter werteten die mögliche Aussage dieser Zeugin, die bisher nicht gehört worden war, als „nicht entscheidungsrelevant“.„Ich hätte diese Zeugin gerne gehört“, so Schwitters in seinem Plädoyer. Er machte deutlich, dass er trotz des Kurswechsels des Gerichts Jens von P. für schuldig hält.
„Der Angeklagte entwickelte irgendwann den Plan, das Opfer zu liquidieren. Die Gründe dafür kenne ich bis heute nicht, auch ein sicheres Motiv ist nicht feststellbar.“Der Ankläger skizzierte, dass Piontek zuvor in Hamburg durch den Verkauf von Kokain seinen Lebensunterhalt bestritt und dabei auch Jens von P. kennenlernte. Trotz der lukrativen illegalen Tätigkeit und dem Verkauf einer Wohnung habe das Geld im Herbst 2019 nicht gereicht, den Kaufpreis für den Eulenhof vollständig zu begleichen. Möglicherweise habe Piontek vorgehabt, nach der Übernahme des Reiterhofs ein legales Leben zu führen und der Angeklagte habe das nicht akzeptieren wollen. „Das ist aber nur eine Spekulation“, so der Staatsanwalt.
Jens von P. habe sich nachweislich von 22.07 bis 1.13 Uhr auf dem Eulenhof aufgehalten. Das Opfer habe ihm vertraut – ebenso wie dessen sieben Hütehunde. Piontek sei nach seiner Überzeugung zwischen 1.07 und 1.13 Uhr aus nächster Nähe von hinten mit zwei Kopfschüssen getötet worden. Allein dieses Vorgehen mache einen anderen Täter unwahrscheinlich. Der Angeklagte habe sich zwei Tage vor der Tat leihweise eine Waffe besorgt und die Gelegenheit gehabt. Demnach sei ein Mord aus Heimtücke verwirklicht worden und eine lebenslange Haftstrafe die zwangsläufige Folge, so Schwitters.
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Reiterhof-Prozess: Verteidiger rechneten mit Freispruch
Die beiden Verteidiger Jürgen Meyer und Jakob Struif entgegneten in ihren Plädoyers, dass aus ihrer Sicht die Unschuld ihres Mandanten erwiesen sei. Der habe wie von ihm ausgesagt den Reiterhof kurz vor 1 Uhr verlassen, lediglich sein Handy sei noch in der Tatortfunkzelle eingeloggt gewesen. Diese umfasse auch ein größeres Umfeld. Von P. habe allein 400 Meter zu seinem Auto und noch einmal 400 Meter auf einem schlecht ausgebauten Weg zurücklegen müssen. Um 1.20 Uhr sei er bei einem Bekannten eingetroffen – laut Google Maps nach 13-minütiger Fahrzeit.
Meyer machte deutlich, dass die Aussagen des Hauptbelastungszeugen Florian V., der Jens von P. die bis heute verschwundene Waffe vermittelt haben soll, unglaubhaft sind. Der habe seine Angaben bei der Polizei mehrfach verändert und in dem Prozess die Aussage verweigert. Der Jurist ging auf die angebliche Schussübung mit der geliehenen Waffe ein, zu der Florian V. den Angeklagten begleitet haben will. An dem angegebenen Ort hatte die Polizei drei Hülsen gefunden, was laut Staatsanwalt die Glaubhaftigkeit des Hauptbelastungszeugen untermauert.
Reiterhof-Prozess: Wird der Mord nie aufgeklärt?
Der Verteidiger wies auf ein Gutachten hin, wonach die Hülsen zu einer Beretta gehören könnten. Die am Tatort gefundenen Projektile würden aber belegen, dass es sich bei der Tatwaffe um eine Glock 17 handelte. „Es kann nur eine Konsequenz geben – und zwar einen Freispruch.“Auch Oleg Georgieff, der als Nebenklage-Vertreter die hinterbliebene minderjährige Tochter und die Mutter Pionteks vertritt, forderte für Jens von P. einen Freispruch. „Es mag befremdlich sein, wenn die Nebenklage ein Plädoyer für den Angeklagten hält“, so Georgieff.
Allerdings habe die Staatsanwaltschaft nichts als Spekulationen zu bieten und seine Mandanten hätten ihn ausdrücklich damit beauftragt, dem Prozess neutral zu verfolgen. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass das Opfer kurz vor seinem Tod wahnsinnige Angst hatte und die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Hof verschärfen wollte. Georgieff: „Vor wem hatte das Opfer Angst? Nicht vor dem Angeklagten, denn der war sein bester Freund.“„Manchmal sind Gerichtsverfahren irrsinnig“, so der Nebenklage-Vertreter.
Den Angeklagten habe gerettet, dass der Vorsitzende Richter eine Affinität zur Wahrscheinlichkeitsberechnung habe und ein neues Gutachten zur Todeszeitberechnung angefordert habe. Georgieff kritisierte die Ermittlungsarbeit der Polizei, die sich zu schnell auf Jens von P. als Täter festgelegt habe. „Daher musste ich jetzt meinen Mandanten vermitteln, dass der Mord vermutlich nie aufgeklärt wird.“