Quickborn/Itzehoe. Nach langem Schweigen äußert sich Irmgard F. erstmals im Prozess gegen sie. Was die 97-Jährige vor Gericht sagte.

Seit Prozessbeginn hat Irmgard F. (97) geschwiegen. Kein Wort der Reue, kein Wort des Bedauerns über die Tötung zigtausender unschuldiger Menschen im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, in dem die heute in Quickborn lebende Seniorin von 1943 bis 1945 fast zwei Jahre lang als Sekretärin des Lagerkommandanten tätig war.

Stutthof-Prozess: Angeklagte Irmgard F. bricht ihr Schweigen

Kurz vor Ende des im September 2021 begonnenen Mammutverfahrens hat die Angeklagte am Dienstag überraschend ihr Schweigen gebrochen – und Mitleid für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer erkennen lassen. „Es tut mir leid, was alles geschehen ist. Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen“, sagte die 97-Jährige in ihrem letzten Wort.

Drei Sätze, die zumindest symbolische Bedeutung haben. Drei Sätze, die vermuten lassen, dass die kaum zu ertragenden Schilderungen der Stutthof-Überlebenden in dem Prozess der Quickbornerin vielleicht doch nahe gegangen sind.

Für die Frage, ob Irmgard F. sich durch ihre Tätigkeit in der Lagerkommandantur nicht nur moralisch mitschuldig an den dort begangenen Verbrechen gemacht hat und daher dafür auch mehr als 77 Jahre später strafrechtlich zu belangen ist, hat ihre drei Sätze umfassende Aussage keinen Wert. Details über ihre Tätigkeit in Stutthof hat die 97-Jährige nicht verraten – und ebenso offen gelassen, ob sie etwas von den dortigen Gräueltaten wusste oder zumindest eine Ahnung davon hatte.

Staatsanwaltschaft fordert zwei Jahre Haft auf Bewährung

Von beiden Punkten geht die Staatsanwältin Maxi Wantzen aus. Sie hat bereits am 22. November eine Verurteilung der betagten Angeklagten nach Jugendrecht gefordert, weil diese zum Zeitpunkt der Taten als 18- beziehungsweise 19-Jährige als Heranwachsende galt. Zwei Jahre auf Bewährung wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen – dieser Forderung der Anklägerin haben sich an den folgenden beiden Terminen die meisten Opferanwälte angeschlossen. Einige wenige regten sogar eine höhere Bestrafung an.

Am vorletzten Tag stand jetzt das Abschlussplädoyer der Verteidigung an. An dessen Ende stand – wenig überraschend – die Forderung nach einem Freispruch. „Die Beweisaufnahme hat wenig konkretes zur Tätigkeit meiner Mandantin erbracht“, so der Hauptverteidiger Wolf Molkentin. Daher sei auch völlig unklar, welchen Kenntnisstand Irmgard F. über die in Stutthof begangenen Verbrechen hatte.

Molkentin wies darauf hin, dass im Jahr 1944, als sich das KZ endgültig von einem Arbeits- hin zu einem Vernichtungslager wandelte, eine eigene Abteilung in der Kommandantur geschaffen wurde, zuständig für diese als Sonderaufgaben umschriebene Operation. Diese Abteilung habe auch einen eigenen Schreiber umfasst. Daher sei es sehr gut denkbar und auch wahrscheinlich, dass die Korrespondenz dazu nicht von der Angeklagten verfasst worden sei. Unabhängig davon gebe es kein Dokument, dass belegbar von der 97-Jährigen stamme.

Stutthof-Prozess: Verteidiger fordern Freispruch der KZ-Sekretärin

Der Verteidiger zitierte die frühere Aussage einer Mitarbeiterin der Fernschreibstelle, wonach Schreiben mit brisantem Inhalt nur von hohen SS-Offizieren entgegengenommen werden durften und die Mitarbeiterinnen rausgehen mussten.

Zwei ebenfalls frühere Aussagen von weiblichen Zivilangestellten, wonach die Vorgänge in Stutthof – dort gab es etwa eine Gaskammer, ein Krematorium und eine Genickschussanlage – allen bekannt gewesen seien, seien ebenfalls nicht auf Irmgard F. übertragbar. Die Frauen hätten Sonderwissen gehabt – die eine als Geliebte des Lagerkommandanten, die andere aufgrund ihrer Zusammenarbeit mit einem Lagerinsassen in der Bauleitung.

Molkentin widersprach Aussagen von Staatsanwältin und Opferanwälten, wonach die Angeklagte vom Fenster ihres Büros einen unverstellten Blick auf große Teile des Lagers gehabt habe. Gerade das habe der Termin vor Ort nicht ergeben. Der historische Sachverständige sei zudem Schritt für Schritt von belastenden Äußerungen, die Bestandteil der Anklage waren, abgerückt. Molkentin: „Aus unserer Sicht bleiben unwiederbringliche Zweifel.“ Das Urteil folgt am 20. Dezember.