Kreis Pinneberg. Ob Grafenmord oder Denkmalsturz – das neue Jahrbuch des Heimatverbandes ist gespickt mit Regionalgeschichte. Ein Überblick.
Es ist das Werk von leidenschaftlichen Heimatforschern und lokalen Historikerinnen: Der Heimatverband des Kreises Pinneberg hat sein neues Jahrbuch herausgegeben. Einmal mehr enthält es eine bunte Mischung aus Beiträgen historischer Ereignisse und neuen Forschungsergebnissen zur Heimat- und Zeitgeschichte. Der 56. Band des Verbandes, den es seit 61 Jahren gibt, vereint spannende Geschichte(n) – das Abendblatt stellt fünf Beispiele vor.
Heimatbuch: „Lebensgeschichten zwischen Helgoland und Wedel“
Die Autorin Anke Rannegger beschreibt die Geschichte der Insel Helgoland entlang der Biografien von Hans Tönnies Heiseke und Carmen Singer, die 1887 beziehungsweise 1922 auf der Insel geboren wurden. Der Leser erfährt, dass das zuvor lange Zeit zu Dänemark gehörende Eiland in der Nordsee nach dem Nordischen Krieg 1807 zu einer englischen Kolonie wurde. Die Insel entwickelte sich im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Seebad, in dem sich auch die Schriftsteller Heinrich Heine 1830 und Hoffmann von Fallersleben 1841 erholen.
Ende des 19. Jahrhunderts wollte das Vereinigte Königreich die Hochseeinsel loswerden. Das deutsche Kaiserreich zeigte Interesse und es kam 1890 zu einer vertraglichen Regelung zwischen beiden Ländern, die später irrtümlich als Helgoland-Sansibar-Vertrag bezeichnet wurde. Darin werden nur die gegenseitigen Gebietsansprüche in Afrika ausgehandelt, das deutsche Kaiserreich erklärte sich bereit, keinerlei Besitzansprüche in Tansania zu stellen. Genau zu dieser Zeit brachte die Ehefrau des Fischers Ludolf Heiseke den kleinen Hans zur Welt, führt die Autorin die große mit der persönlichen Geschichte zusammen. Der Tourismus auf Helgoland blühte auf. 3400 Menschen lebten auf der Insel – dreimal so viele wie heute.
Nach dem ersten Weltkrieg boomte neben dem Tourismus auch die Fischerei. Dann wurde die Insel von den Nazis zur Festung ausgebaut, auf der damals etwa 10.000 Menschen lebten, darunter 2300 Marinesoldaten. Helgoland ist am 18. April 1945 bombardiert worden und Carmen Singer musste wie viele andere flüchten und landete in Wedel, wo sie nach dem Krieg im Wohnungsamt arbeitete. Sie kehrte nie wieder auf die Insel zurück. Heiseke war bis 1957 Sonderbeauftragter für Helgoland im Pinneberger Kreistag. Wie ihre Geschichte und die der Insel weiterging, beschreibt die Autorin spannend.
„Die Reichsgrafschaft Rantzau im Kräftespiel von Reich und Dänemark“
Der Historiker Oliver Auge von der Historischen Fakultät der Uni Kiel erinnert in seinem wissenschaftlichen Beitrag an die spannende und wechselvolle Geschichte der Reichsgrafschaft Rantzau, die mit der Ermordung des Grafen Christian Detlef Rantzau 1721 ihr jähes Ende fand. 20 Jahre lang hatten zuvor die Großmächte Dänemark-Norwegen, Sachsen-Polen und Russland mit dem schwedischen Königreich um die Vorherrschaft im Ostseeraum militärisch gerungen. Durch die Niederlage musste Schweden im Vertrag von Nystadt nicht nur seine baltischen Länder, sondern auch sein Herzogtum Schleswig-Gottorf aufgeben.
Friedrich IV., König von Dänemark und Norwegen, strotzte damals als siegreicher Herrscher nur so vor Macht- und Selbstbewusstsein, so Auge. Was dann auch der letzte Rantzauer Graf zu spüren bekam. Seit 1650 herrschten die Grafen Rantzau über das Gebiet zwischen Elmshorn, Itzehoe und Barmstedt mit Sitz auf der Rantzauer Wasserburg. Die Grafschaft war nur dem Kaiser in Wien unterstellt.
Der dritte Reichsgraf Christian Detlef weigerte sich, die Vereinbarung seines Vaters mit dem norwegischen Vizekönig einzuhalten, dessen Tochter zu heiraten. Das verärgerte den König von Dänemark und Norwegen. 1715 wurde Christian Detlef in Berlin vom preußischen Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. wegen seiner Homosexualität inhaftiert. Sein Bruder Wilhelm Adolf übernahm für fünf Jahre die Grafschaft. Als Christian Detlef aus der Haft entlassen wurde, vertrieb er seinen Bruder von der Schlossinsel. Ein Jahr später ist er dann im Voßlocher Wald bei der Schnepfenjagd ermordet worden – und Wilhelm Adolf wurde nach einem fragwürdigen Prozess in Rendsburg 1726 als angeblicher Anstifter zu lebenslanger Kerkerhaft in Norwegen verurteilt. Er beteuerte bis zu seinem Tod 1734 seine Unschuld.
Die Grafschaft fiel an den dänischen König, der nun über ganz Schleswig-Holstein herrschte. Der wirkliche Mörder ist bis heute unbekannt. So endete „ein bühnenreifes Ränkespiel aus Sex, Mord und Intrigen“, so der Autor von der Uni Kiel.
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Die wechselhafte Geschichte der „Wassermühle Uetersen“
Die wechselvolle Geschichte der früheren Wassermühle in Uetersen beschreibt Autor Gert Müller. So gab es jahrhundertelang mitten in der Stadt am äußeren Ende zwischen Geest und Elbmarsch eine Wassermühle, die 1235 erstmals erwähnt und Mitte des 20. Jahrhunderts abgerissen wurde. Sie gab sowohl dem Mühlenteich als auch der Wassermühlenstraße ihren Namen, wo sich heute das Rathaus befindet. Der jeweilige Müller hatte das Recht, die angrenzenden Wiesen für den Betrieb der Mühle zu überstauen, was zu allerhand Ärger mit den Nachbarn führte, deren Grundstücke und Keller regelmäßig überflutet wurden.
1925 erwarb die Stadt die Mühle und das 6,5 Hektar große Gelände. Auf dem sumpfigen Gelände entstand ab 1934 das Rosarium. Die Mühle wurde an einen Gemüsehändler verpachtet und 1955 abgerissen. Heute befindet sich auf dem Grundstück die Filiale der Sparkasse Südholstein.
„Der 1928 vom Reichsbanner in Uetersen errichtete Friedrich-Ebert-Gedenkstein“
Nach dem Tod von Friedrich Ebert, dem ersten demokratisch gewählten Reichspräsidenten Deutschlands, der noch dazu Sozialdemokrat war, sind offenbar überall im Land Gedenksteine errichtet worden, um an ihn zu erinnern. So auch in Uetersen, Itzehoe, Bad Bramstedt, Eutin oder Nortorf. Oft waren es die Anhänger des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, die neben der SPD und den Gewerkschaften dafür warben und für die Aufstellung der Denkmäler sorgten. Der Reichsbanner war damals die Kampforganisation der SPD, ähnlich wie es der Rotkämpferbund bei den Kommunisten, der Stahlhelm bei den Deutschnationalen und die SA für die NSDAP waren. Der Reichsbanner zählte bundesweit bis zu 1,5 Millionen Mitglieder, 30.000 allein in Schleswig-Holstein, schreibt Autor Frank Quast.
Der Banner lieferte sich am Ende der Weimarer Demokratie oft wahre Saalschlachten mit den anderen, zum großen Teil verfassungsfeindlichen Gruppen. An ihrer Spitze stand von 1929 bis zu seiner Verhaftung 1933 und später im Untergrund der Uetersener Victor Andersen. Er war Anführer der Schutzformation (Schufo) der SPD und wohl einer der entschiedensten Kämpfer gegen den Faschismus im Kreis Pinneberg. Nach dem Krieg wurde Andersen der erste Jugendpfleger im Kreis. Nach ihm ist 1997 die Jugendbildungsstätte, das ehemalige Krankenhaus, in Barmstedt benannt worden.
Die Nazis ließen das Ebert-Denkmal in Uetersen zerstören
Zu Ostern 1928 ist das Ebert-Denkmal in Uetersen am Bürgerpark an der Seminarstraße eingeweiht worden. 2000 Menschen nahmen „dicht gedrängt“ teil. Der Ortsgruppenleiter des Reichsbanners, Wilhelm Lüdemann, hielt die Ansprache. Aus Altona war sogar Bürgermeister Max Brauer angereist. Bei dem Gedenkstein handelte sich um einen sieben Tonnen schweren, zwei Meter hohen Findling, in den über dem eingemeißelten Namen EBERT sein Konterfei auf einer Bronzeplakette eingraviert war. Der Sockel aus Natursteinen war neun Quadratmeter groß. Hier wurden regelmäßig „Ebert-Gedenkfeiern“ veranstaltet, um die auf der Kippe stehende erste Demokratie am Leben zu halten – nach Weltwirtschaftskrise und Brüningschen Deflationspolitik.
Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 ist das Ebert-Denkmal von den Nazis zerstört worden. Wann genau das passiert ist, konnte Autor Quast in seiner Recherche in den Zeitungen in Uetersen nicht herausfinden. Er konnte aber Fotos von der Demontage ausfindig machen, die hier abgedruckt sind. Wo die Denkmal-Überreste geblieben sind, sei bis heute unbekannt. Die neue Grundschule an der Berliner Straße sollte 1931 auch nach dem ehemaligen Reichspräsiden benannt werden, was nach deren Fertigstellung die neuen Nazi-Machthaber in Uetersen zu verhindern wussten. Sie wurde 1934 in Adolf-Hitler-Schule benannt und erhielt erst nach dem Krieg ihren heutigen Namen zurück.
„Schulgeschichte Kölln-Reisieks im 19. und frühen 20. Jahrhundert“
Der Vorsitzende des Heimatverbandes Rainer Adomat beschreibt, wie sich das Schulwesen vor rund zwei Jahrhunderten am Beispiel des Dorfes Cölln hier abspielte. Damals waren die örtlichen Bauern für den Schulbau, die Schulunterhaltung und auch die Naturalleistung an die Lehrer verantwortlich. Das „baare Schulgeld“ wiederum hatten die Kätner, Handwerker und Tagelöhner beizusteuern. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts soll es oft schwierig gewesen sein, die Lehrerstelle zu besetzen: „Das mag an der schlechten materiellen Ausstattung gelegen haben.“
Der Schulneubau in Kölln-Reisiek hat 1839 exakt 4153 Mark und acht Schillinge gekostet. In der preußischen Zeit nach 1867 zählte die Schule 30 bis 40 Kinder. 1880 musste die Schule neu errichtet werden, nachdem die alte ein Jahr zuvor abgebrannt war. Der Wiederaufbau kostete 4840 Mark, die Lehrerstelle 900 Mark zuzüglich Wohnung, Garten und Feuerung. Bereits 1905 zählte die Dorfschule 84 Schüler und wurde zweizügig.
Das Jahrbuch 2023 ist in einer Auflage von 700 Stück erschienen und kostet 17,80 Euro im Buchhandel.