Quickborn/Itzehoe. Gericht erhält Freigabe für Reise nach Polen. Am 33. Verhandlungstag werden die Aussagen von zwei Überlebenden verlesen.
Der Termin steht: Am Freitag, 4. November, reisen die Richter Dominik Groß und Rebecca Knof in das ehemalige Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, das heute ein Museum ist. Die Anwälte der Nebenklage, die Verteidiger und die Angeklagte Irmgard F. (97) aus Quickborn können an dem Termin teilnehmen, müssen es aber nicht.
KZ-Prozess: Richter besuchen Stutthof-Gedenkstätte
Der Sinn des Ortstermins in Polen ist es, den Arbeitsplatz der einstigen Sekretärin des KZ-Kommandanten zu besuchen. Die Delegation will überprüfen, was Irmgard F. von ihrem Büro im zweiten Stock des Kommandanturgebäudes vom Lager und den dort herrschenden Zuständen sehen konnte. Dies kann für einen eventuellen Schuldspruch von Bedeutung sein. Die 97-Jährige, die von 1943 bis 1945 in Stutthof tätig war und in einem Altenheim in Quickborn lebt, ist wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen angeklagt.
Der KZ-Prozess, der Ende September 2021 begonnen hat, setzt bis zu dem Ortstermin aus. Am Dienstag fand der insgesamt 33. Verhandlungstag statt, an dem zwei Aussagen von Überlebenden des KZ im Mittelpunkt standen. Diese waren weder persönlich noch per Videoschalte anwesend, sondern hatten ihre Angaben schriftlich gemacht. Der Vorsitzende Richter Groß las ihre Aussagen vor.
- Ortstermin im KZ Stutthof? Vorschlag des Gerichts spaltet
- Ein Jahr KZ-Prozess: Überlebende berichteten von der "Hölle"
- Richter wollen Ortstermin in ehemaligem KZ
KZ-Überlebende sagen bei Stutthof-Prozess aus
Itzak Osherowitz wohnte 1941 mit seinen Eltern und seinen Geschwistern in einer polnischen Kleinstadt, 60 Kilometer von Vilnius entfernt, als die deutsche Wehrmacht einmarschierte. Sein Vater wurde wenig später auf offener Straße erschlagen, die restliche Familie kam zunächst in ein Ghetto, ehe sie im Juli 1944 in das KZ Stutthof deportiert wurde. „Ich habe keine Erinnerung, ob wir mit dem Zug oder Lkw dorthin gelang sind.“ Nach der Ankunft wurde der heute 92-Jährige von seiner Mutter und der Schwester getrennt. Wiedergesehen hat er sie nicht.
Die späteren Recherchen ergaben, dass beide am 26. August 1944 als sogenannte Transportjuden nach Auschwitz gebracht und dort ermordet worden sind. Er selbst, so Itzak Osherowitz, habe trotz unzureichender Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten Stutthof und die dort ausgebrochene Fleckfieberepidemie überlebt. Nach einem sogenannten Todesmarsch in das KZ Dachau wurde Itzak Osherowitz Ende April 1945 befreit.
KZ-Prozess: Verhandlung bis zum Ortstermin ausgesetzt
Elka Ekstein war eines von zehn Kindern und lebte mit Vater und Mutter in Grodno in Belarus, als die Deutschen im Juni 1941 als Besatzungsmacht kamen. Nur sie und eine Schwester überlebten das Grauen. Ihre Eltern starben 1943 in Auschwitz, ebenso wie vier ihrer Geschwister. Drei Brüder kamen zuvor beim Versuch, aus dem Ghetto in Grodno zu flüchten, ums Leben. Sie selbst und ihre Schwester sprangen aus einem Zug, der sie nach Auschwitz bringen sollte.
Ende 1943 wurden beide von den Deutschen gefasst und nach Stutthof gebracht, wo sie unter „fürchterlichen Bedingungen“ in eine Baracke eingesperrt wurden. Ihr weiterer Weg führte 1944 nach Auschwitz und dann 1945 in das KZ Ravensbrück, wo beide von der Roten Armee befreit wurden. Heute lebt Elka Ekstein in Australien.
Das Verfahren wird am 8. November fortgesetzt, in dem Monat stehen noch drei Termine an. Weitere werden hinzukommen, da sich die Verfahrensbeteiligten mit dem Ortstermin sowie weiteren schriftlichen Aussagen von Nebenklägern befassen müssen. Ende November sollen die Schlussvorträge beginnen, mit einem Urteil wird kurz vor Weihnachten oder spätestens im Januar gerechnet.