Pinneberg. Das Fundament und die Stützen des Gebäudes sind so angegriffen, dass die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet werden konnte.
Die Szenerie mit den riesigen Gerätschaften erinnert ein wenig an „Krieg der Sterne“, der knirschende Beton klingt bedrohlich: Mit einem sogenannten Longfrontbagger und einem unterstützenden Kran haben Anfang der Woche die Abrissarbeiten am Pinneberger Amtsgericht begonnen. Nach einer zweimonatigen Verzögerung wird der akut einsturzgefährdete Westflügel nun von dem langarmigen Riesenbagger abgebrochen. Laut ersten Einschätzungen sollen die Abrissarbeiten etwa acht Wochen andauern.
Pinneberg: Abriss des einsturzgefährdeten Amtsgerichts startet
Wie berichtet, hatte sogenannter Betonkrebs das Fundament sowie die Stützen des Gebäudes regelrecht zerfressen. Sogar die Standsicherheit des Gebäudes konnte nicht mehr gewährleistet werden.
Am Dienstag fuhren nun die ersten Abrissgeräte auf das Gelände. Vorgesehen war der Beginn der Arbeiten schon Anfang August. Das Gebäudemanagement Schleswig-Holstein (GMSH) teilte damals mit, dass sich der Abriss verzögert, da das Abrissunternehmen keine freien Kapazitäten hatte. Der geplante Starttermin verschob sich um acht Wochen.
„Da die Standfestigkeit des Gebäudes durch die Alkali-Kiesel-Reaktionen (AKR) gefährdet ist, muss der Abriss mit viel Abstand durch einen sogenannten Longfrontbagger vorgenommen werden.“ sagt Natali Fricke, zuständige für die Öffentlichkeitsarbeit des GMSH. Der spezielle Bagger breche von nun an mit großer Vorsicht und Geduld Stockwerk für Stockwerk ab, um die umstehenden Häuser nicht zu gefährden oder zu beschädigen. Ende November soll der Westflügel des Amtsgerichts dann Geschichte sein.
- Abriss des Pinneberger Amtsgerichtes verzögert sich
- Betonkrebs im Amtsgericht – nun ziehen die Mitarbeiter um
- Teilabriss des Amtsgerichts beginnt im August
Pinneberg: Was folgt nach dem Abriss des Amtsgerichts?
Unklar ist noch, was nach dem Abriss auf der freien Fläche gebaut werden soll. Die Baupläne seien abhängig vom Befund des Ostflügels. Bis jetzt sei nicht entschieden, ob der ebenfalls von Betonkrebs befallende Ostteil des Amtsgerichts auch abgerissen werden soll oder eine Sanierung möglich ist. Die erforderlichen Grundlagen für eine Bewertung stehen wegen der aufwendigen Analysen der Bestandsfundamente noch aus. Laut GMSH konnte bis zum jetzigen Stand konnte noch kein genaues Gutachten erstellt werden.
Die Meinung der Mitarbeiter des Amtsgerichts ist indes eindeutig: „Wir wünschen uns einen kompletten Neubau“, sagt Sabine Wudtke, Vizepräsidentin des Landgerichts Itzehoe. Die Entscheidung liege aber beim Justiz- und Finanzministerium. Das Gebäudemanagement Schleswig-Holstein teilte dazu nur mit, dass davon auszugehen sei, dass das Amtsgericht wieder an gleicher Stelle einziehen soll.
Schon im Mai 2021 wurde die Alkali-Kiesel-Reaktionen – der sogenannte Betonkrebs – im Fundament des Gerichtsgebäudes festgestellt. Durch diese Reaktion entstanden auch Risse in tragenden Wänden. Im westlichen Teil des Gebäudes, der auf einem Parkhaus gebaut ist, bestand die akute Einsturzgefahr. Die rund 60 dort arbeitenden Angestellten mussten ihren Arbeitsplatz sofort aufgeben und alles zurücklassen – auch Computer und Akten.
Amtsgericht: 20.000 Akten konnten noch nicht geborgen werden
Die meisten der knapp 40.000 Papierakten – nebst Urkunden, Registerdateien und Leitzordnern – konnten mit Hilfe der beiden Entschärfungsroboter „Telemax“ und „Teodor“ zwischen August 2021 und Ende Januar 2022 geborgen werden. Die Bergung der Akten verschlang eine sechsstellige Summe. Bei rund 20.000 Akten waren die Roboter dagegen machtlos, sie konnten bis heute nicht geborgen werden. Diese Papiere sollen nun bei den Abrissarbeiten gesichert werden. Wohl auch ein Grund für die Vorsicht, mit der sich der Bagger nun durch das Gebäude frisst.
Seit der Räumung des Ostflügels und dem darauffolgenden kompletten Umzug des Pinneberger Amtsgerichts befinden sich etwa 125 Mitarbeiter im stetigen Krisenmodus. Der Bereich Register, Grundbuch, Nachlass und Insolvenz konnte in der Interimsunterbringung in Quickborn unterkommen.
Die Mitarbeiter, die im Ostflügel gearbeitet haben, sind im Juni 2021 nach Schenefeld umgezogen. In dem ehemaligen Firmensitz von Interschalt befinden sich nun die Abteilungen für Zivil-, Straf- und Familiensachen. Zudem laufen dort derzeit auch die Gerichtsverfahren, die vorher in den acht Gerichtssälen des Pinneberger Hauses stattfanden.
Pinneberg: Amtsgericht wurde erst 2016 für vier Millionen Euro saniert
Wann die Mitarbeitenden des Amtsgerichts an ihren ehemaligen Arbeitsplatz zurück kehren können, ist noch nicht klar. Dies hängt vorrangig von den noch ungeklärten Sanierungsmöglichkeiten des Ostflügels ab. GMHS-Sprecherin Barbara Müller teilte vorausschauend mit: „Grundsätzlich ist ein Wiedereinzug vor 2026 nicht umsetzbar. Falls sich herausstellen sollte, dass die erforderlichen Maßnahmen umfangreicher werden, kann sich der Termin auch noch mal ändern.“ Sprich: nach hinten verschieben.
Die Gerichtssäle, Fenster und Fassaden des 1975 erbauten Amtsgerichts wurden erst in den Jahren 2015 und 2016 aufwendig für vier Millionen Euro saniert. Damals fielen zwar schon Probleme mit dem Fundament auf, allerdings wurde der Handlungsbedarf nicht so dringlich eingeschätzt.
Als dann Anfang 2021 vorbereitenden Untersuchungen erfolgten, wurde der Ernst der Lage klar und die sofortige Räumung angeordnet. Das Pinneberger Haus ist eines von vier Amtsgerichten im Bezirk des Landgerichts Itzehoe, 22 Amtsgerichte gibt es insgesamt in Schleswig-Holstein.