Pinneberg. In zwei Monaten soll der einsturzgefährdete Westteil des Amtsgerichts abgetragen sein. So sieht der Zeitplan aus.

Anfang August rücken die Abrissbagger an – zwei Monate später wird der Westflügel des Amtsgerichts Pinneberg Geschichte sein. Dann können die Anwohner des Gebäudes aufatmen. Im Mai 2021 hatten Gutachter festgestellt, dass der Teil der 1975 erbauten Immobilie akut einsturzgefährdet ist. Sogenannter Betonkrebs hat die Stützen des über einer Parkfläche errichteten Westflügels regelrecht zerfressen, sodass die Standsicherheit nicht mehr gewährleistet ist.

Amtsgericht Pinneberg: Abriss des Westteils beginnt im August

„Wir wurden damals mit dem Begriff Spontanversagen konfrontiert“, erinnert sich Sabine Wudtke, Vize-Präsidentin des Landgerichts Itzehoe, zu dessen Bezirk das Amtsgericht gehört. Die 60 Mitarbeiter des Westflügels mussten ihre Arbeitsplätze sofort verlassen und alles zurücklassen – ihre Computer, aber auch die für die Arbeit benötigten Papierakten. Schließlich bestand die Möglichkeit, dass die vom Betonkrebs stark angegriffenen Stützen von einer Sekunde auf die andere ihren Dienst versagen und das Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenfällt.

Der Roboter „Telemax
Der Roboter „Telemax" setzt sich in Bewegung, um Akten aus dem gesperrten Gebäudeteil zu holen. © Marie Birmanns | Marie Birmanns

Diese Gefahr wird nun mit dem Abriss des Westflügels gebannt. „Der Westflügel wird als akut einsturzgefährdet eingestuft. Die Arbeiten für einen Abriss werden kurzfristig beauftragt“, erläutert Barbara Müller, Sprecherin der Gebäudemanagement Schleswig-Holstein (GMSH), die sich um die landeseigenen Immobilien kümmert. Für die Umsetzung seien die Monate August und September fest eingeplant.

Der Ostflügel des Gerichts, in dem noch 70 Mitarbeiter arbeiten und aktuell auch die Gerichtsverhandlungen stattfanden, bleibt zunächst stehen. Laut der ersten Bewertung galt dieser Gebäudeteil als sanierbar. Allerdings fehlen nach wie vor ein notwendiges Sanierungskonzept und die Ergebnisse einer Untersuchung, ob ein kompletter Neubau nicht wirtschaftlicher wäre als ein Abriss und Neubau des Westflügels und eine Sanierung der Osthälfte.

Amtsgericht Pinneberg: Teilsanierung oder Neubau?

„Die erforderlichen Grundlagen für eine Bewertung stehen wegen der aufwendigen Analysen der Bestandsfundamente noch aus. Mit einer Bewertung der Schäden und einer Vorstellung möglicher Sanierungskonzepte wird im Sommer 2022 gerechnet“, so Müller weiter. Diese Daten seien notwendig, bevor eine endgültige Entscheidung über Teilsanierung oder kompletter Neubau getroffen werden könne.

Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer (v.l.) und die Vizepräsidentin Sabine Wudtke.
Gerichtssprecherin Frederike Milhoffer (v.l.) und die Vizepräsidentin Sabine Wudtke. © Arne Kolarczyk | Arne Kolarczyk

Die Meinung der Mitarbeiter ist klar. „Wir wünschen uns einen kompletten Neubau“, sagt dazu die Landgerichtsvize-Präsidentin Wudtke. Die Entscheidungsgewalt in dieser Frage liegt jedoch nicht beim Gericht, sondern letztlich bei dem Justiz- und Finanzministerium. Seit dem Bekanntwerden der schwerwiegenden Baumängel arbeitet das Amtsgericht in permanentem Krisenmodus. Die meisten der knapp 40.000 Papierakten nebst Urkunden, Registerdateien und Leitzordnern konnten mit Hilfe der beiden Entschärfungsroboter „Telemax“ und „Teodor“ zwischen August 2021 und Ende Januar 2022 geborgen werden. Das hat eine sechsstellige Summe verschlungen. Bei 200 noch fehlenden Akten konnten selbst die beiden Roboter nicht helfen. Diese sollen – wenn es möglich sein sollte – beim Abriss des Gebäudes geborgen werden.

Unterstützung bei der Wiederherstellung der bei der Bergung häufig beschädigten Akten kam auch von den Mitarbeitern anderer Gerichte des Landes. Die durch die elektronischen Kollegen herausbeförderten Akten sind zum Teil in den Ostflügel des Gerichtsgebäudes gekommen. Weitere Akten sind in zentralen Archivflächen in Flintbek und Boostedt eingelagert worden.

Amtsgericht Pinneberg: Mitarbeiter aus dem Ostflügel ziehen um

Ein kleiner Teil konnte in die Interimsunterbringung in Quickborn gebracht werden, wo seit Oktober 50 Mitarbeiter aus den Bereichen Register, Grundbuch, Nachlass und Insolvenz untergebracht sind. Die noch im Ostflügel in Pinneberg verbliebenen 75 Mitarbeiter müssen Mitte Juni ihre Sachen packen. Sie ziehen laut dem bisherigen Zeitplan zwischen dem 22. Juni und 1. Juli nach Schenefeld um. Arbeitsort ist dann das Bürogebäude am Osterbrooksweg 42-44, in dem sich früher der Firmensitz von Interschalt befand, die 2016 von dem finnischen Konzern Cargotec gekauft wurden und heute Teil der MacGregor-Gruppe sind.

Dort werden die Abteilungen für Zivil-, Straf- und auch Familiensachen ihren Platz finden – und parallel die Gerichtsverfahren stattfinden, für die in Pinneberg bisher acht Säle zur Verfügung standen. Dieser Umzug ist notwendig, um das Gebäude in der Kreisstadt leer zu räumen und ab August die Abrissarbeiten starten zu können. In der Zeit des Umzugs läuft das Amtsgericht im Notbetrieb, auch in der Zeit danach kommt es höchstwahrscheinlich zu Einschränkungen.

„Es bleibt zu hoffen, dass die weiteren Prüfungen ergeben, dass auch der Ostflügel wirtschaftlich nicht zu halten und ebenfalls abzureißen ist“, sagt die Landgerichts-Vizepräsidentin. Dann besteht laut Wudtke „die Chance, dass das nunmehr auf lange Zeit auf zwei Standorte verteilte Gericht in einigen Jahren am alten Standort in einem modernen und den aktuellen Anforderungen entsprechenden Neubau wieder vereint wird.“

Amtsgericht Pinneberg wurde erst 2015 aufwendig saniert

Wann frühestens mit einer Rückkehr der 125 Mitarbeiter an ihren angestammten Arbeitsplatz zu rechnen ist, kann noch niemand mit Sicherheit sagen. „Dies hängt von der Sanierbarkeit des Ostflügels ab“, sagt GMSH-Sprecherin Müller. Und sie sagt weiter: „Grundsätzlich ist ein Wiedereinzug vor 2026 nicht umsetzbar. Falls sich herausstellen sollte, dass die erforderlichen Maßnahmen umfangreicher werden, kann sich dieser Termin auch noch einmal ändern.“

Das 1975 erbaute Amtsgericht war erst in den Jahren 2015 und 2016 mit großem Aufwand für mehr als vier Millionen Euro saniert worden. Gearbeitet wurde unter anderem an der Fassade, es erfolgte ein Austausch der meisten Fenster und ein Umbau der im Ostflügel gelegenen Gerichtssäle. Damals fanden die Verhandlungen interimsweise im ehemaligen Akad-Gebäude an der Rathauspassage statt.

Während der damaligen Sanierung fielen die Probleme mit den Fundamenten auf. Einen sofortigen Handlungsbedarf sah man nicht, hatte für dieses Jahr eine Sanierung der Betonstützen anberaumt. Als dann Anfang 2021 die vorbereitenden Untersuchungen dafür erfolgten, wurde der Ernst der Lage klar und die sofortige Räumung des Gebäudeteils angeordnet.