Wedel. Großes Wohngebiet soll in der Stadt Wedel auf 53 Hektar entstehen. Wählergemeinschaft ist dagegen. Das sind die Kritikpunkte.

Im Gartenteich von Anja Beyer (59) am Steinberg macht es manchmal „platsch“, wenn die Kröten es sich im Wasser gemütlich machen. Über die angrenzende Baumschule in Wedel wandern die Amphibien auch zu diesem Gewässer, um dort zu laichen. Sie und auch ihr Sohn David (20) machen sich nun Sorgen, dass es diese und andere Geräusche aus der Naturwelt künftig nicht mehr geben wird.

David hat in seiner Schulzeit beim Johann-Rist-Gymnasium zudem ein Bienenprojekt ins Leben gerufen, im eigenen Garten stehen vier Insektenhotels. In Wedel, etwa am Mühlenteich, gibt es weitere.

Wedel Nord: Baufläche entspricht etwa 75 Fußballfeldern

Direkt hinter ihrem Gartenzaun soll das riesige Baugebiet Wedel Nord entstehen, eine Fläche von fast 75 Fußballfeldern – 53 Hektar, die bisher größtenteils landwirtschaftlich genutzt werden – werden dann in zwei Bauabschnitten mit Wohnhäusern bebaut. Etwa 1000 Einheiten sollen entstehen. Involviert in das Großprojekt sind die Unternehmen Semmelhaack aus Elmshorn und Rehder aus Wedel. Geschätzt 3000 bis 4000 Neubürger werden dann nach und nach dort wohnen.

Aktuell werden in dem Bereich Vermessungsarbeiten im Auftrag der Stadt Wedel durchgeführt. Noch fehlt ein Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan. Im Sommer oder Herbst 2023 könnte der endgültige Bebauungsplan vom Rat der Stadt, der bei der Kommunalwahl Mitte Mai neu gewählt wird, verabschiedet werden. Fakt ist, dass Wedel dringend mehr Wohnraum benötigt.

Wedel Nord: Ausbau des ÖPNV ist wichtig

Aus Sicht der Kritiker ist es aber ebenfalls ein Fakt, dass Wedel – in Stoßzeiten durch den Verkehr auf den Hauptverkehrsadern ohnehin am Limit – sich durch weiteren Zuzug noch viel mehr Autos in die Stadt holt, die dann mehr stehen als rollen.

Das ist der städtebauliche Rahmenplan für Wedel Nord mit dem ersten Bauabschnitt zwischen Steinberg, Bündtwiete und Voßhörntwiete. In westlicher Richtung soll der zweite Abschnitt folgen.
Das ist der städtebauliche Rahmenplan für Wedel Nord mit dem ersten Bauabschnitt zwischen Steinberg, Bündtwiete und Voßhörntwiete. In westlicher Richtung soll der zweite Abschnitt folgen. © Stadt Wedel | Stadt Wedel

Eine Mobilitätswende kann nur über einen gelungenen Ausbau des ÖPNV gelingen. „Es können aber ja auch nicht alle immer nur Rad fahren“, sagt Marianne Bertsch (65).

Dies sei eine Utopie. Die Wedelerin ist zwar keine Wedel-Nord-Anwohnerin, doch sie ist an der B 431 zu Hause und somit eine viel befahrene Straßen gewohnt.

Schlüssiges Verkehrskonzept fehlt

Ein schlüssiges Verkehrskonzept für Wedel Nord gebe es aktuell nicht. Zum Baugebiet führen die Straßen Pinneberger Straße, Autal, Steinberg und die B 431, die allesamt bereits jetzt gut ausgelastet seien. Eine Entlastungsstraße für das Wohngebiet ist bislang noch kein Teil der Planung.

Auf politischer Ebene ist bisher einzig die Wählergemeinschaft gegen das Megaprojekt. Sie warnt vor einem Verkehrskollaps, mahnt die schlechte wirtschaftliche Lage des städtischen Haushalts an und warnt davor, dass nach Hafen und Business Park das nächste langfristige, kostspielige und belastende Großprojekt angeschoben werde.

Weitere Folgekosten für die Stadt nicht absehbar

Weitere Folgekosten durch die dann mehr denn je zwingende Erneuerung der gesamten Infrastruktur in der Stadt seien nicht abschätzbar. Beispielsweise auch mögliche Verpflichtungen bei der Strom- oder Wärmeversorgung des Areals in aktuellen Krisenzeiten. Und es gibt weitere Bedenken. „Nach diesem extrem trockenen Sommer sollte auch der letzte die Probleme durch den Klimawandel begriffen haben“, sagt Angela Drewes (58), planungspolitische Sprecherin der Wählergemeinschaft WSI (Wedeler Soziale Initiative). Es müssten Überlegungen angestellt werden, ob ein Stopp dieses Vorhabens nicht sinnstiftender sei.

Dürre und Starkregenereignisse nehmen zu, bei so viel versiegelter Fläche werde sich das Wasser einen Weg an der Oberfläche suchen, weil es nicht versickern kann. Das würde zu Überschwemmungen und vollgelaufenen Kellern führen. Es sollten eher Möglichkeiten gesucht werden, den Bestand an Wohnmöglichkeiten in der Rolandstadt zu erweitern.

Wedel müsse ein gesundes, langsameres Wachstum verfolgen

Bertsch fordert, auf der Fläche lieber Bäume wie etwa Pappeln anzupflanzen, die gut Feuchtigkeit in der Erde speichern ließen. „Wir alle müssen regionaler und nachhaltiger denken. Es könnten doch dort auch Photovoltaik-Anlagen stehen“, sagt sie.

Die drei Gegnerinnen sind sich einig, dass Wedel lieber gesund und langsam wachsen sollte, statt die Infrastruktur mittelfristig mit diesem riesigen Abschnitt, der in Richtung Holm bis zur Aschops­twiete führt, derart zu belasten. Es werden weitere Kitas, Schulen und Sporthallen benötigt. Der Bestand an Straßen und Radwegen in Wedel müsse primär in einen guten Zustand gebracht werden.

Wedel Nord: Ziel ist es, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen

Ein großes Ziel der Wedeler Politik ist die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. 30 Prozent der Nettowohnfläche bei Neubauprojekten in der Stadt sollen als sozial förderbarer Wohnraum deklariert werden. Bislang ist für das Baugebiet Wedel noch nicht exakt ausformuliert worden, wie viel geförderte Wohneinheiten es in Wedel Nord explizit geben wird. Die Rede ist von einem Mix aus Mehrfamilienhäusern, Mietwohnungen, Sozialwohnungen, Einzel- und Reihenhäusern – zur Miete oder als Eigentum.

Die Beyers befürchten den Verlust des Natur-Mixes. Für Feldhasen, Rehe und Fledermäuse würde Platz fehlen. Aktuell wird nur mit vier Grünachsen geplant. „Ohne Bienen gibt es auch kein Obst mehr, weil sie zum Bestäuben fehlen. Es kann doch nicht das Bestreben in Zeiten des Klimawandels sein, eine riesige Wiese, Lebensraum von vielen Pflanzen, Tieren und Insekten zu opfern“, sagt Beyer.