Moorrege. Flüssiggas gilt als Retter aus russischer Abhängigkeit. Leitung durch den Kreis geplant. Viele Landwirte fürchten die Folgen.

„Keiner soll frieren. Auch ich möchte nicht frieren“, sagt Landwirt Hans-Peter Stegert. Aber eine LNG-Pipeline, die auf seinem Ackerland entlangläuft, möchte er einfach nicht haben. Wegen des Ukraine-Kriegs und der Suche nach einem Ausweg aus der Abhängigkeit vom russischen Gas setzt die Bundesregierung auch auf LNG (Liquefied Natural Gas), um einen Gasmangel abzufedern. Vom Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel – die schwimmende Variante soll bereits zum Jahreswechsel entstehen – sollen die Rohre gut 55 Kilometer durch den Kreis Pinneberg führen bis zur Verteilerstation Hetlingen. Betroffen sind die Gemeinden Raa-Besenbek, Seester, Seestermühe, Groß-Nordende, Moorrege, Haselau, Haseldorf, Heist und Hetlingen.

Flüssiggas-Pipeline durch den Kreis Pinneberg sorgt für Kritik

Dem Betreiber Gasunie seien laut Stegert seit 2019 immer wieder Alternativrouten vorgeschlagen worden, die weitaus weniger sensible Naturbereiche betreffen würden – vergeblich. Und nun haben die Gegner des Mammutprojektes wegen des LNG-Beschleunigungsgesetzes der Bundesregierung noch schlechtere Karten. Es gab eine Frist von einer Woche, Einwendungen gegen den Pipelinebau zu verfassen. Es galt, etwa 700 Dateien zu durchforsten und zu verstehen. Sonst ist ein Zeitraum von zwei Monaten üblich. Unter anderem hat die Arge Umweltschutz Haseldorfer Marsch ein Protestschreiben an das Amt für Planfeststellungsverfahren Energie der Landesregierung geschickt. Auch Stegert hat Unterlagen abgegeben – und will den Bau noch verhindern.

Der Grund: Es wird im Moorgebiet gebaut. Durch die Wasserentnahme beim Bau trocknen die Moore aus, so Stegert – diese sind gute Speicher von umweltschädlichen Gasen wie Kohlenstoffdioxid. Die Moorschichten, die „30 bis 40 Zentimeter“ unter dem Ackerboden liegen, würden zerstört werden. Es käme zu erheblichen Bodenabsackungen, weil die Tragfähigkeit der einzelnen Bodenschichten abnähme. Und das sei problematisch für Mensch und Maschine. „Wenn dann der Boden zum Beispiel um einen Meter absackt, ist auf diesen Flächen Landwirtschaft nicht mehr möglich. Auch bei den bereits bestehenden Gasleitungen im Kreis können Bauern und Baumschulen seit 30 Jahren Flächen teilweise nicht nutzen“, ärgert sich Stegert.

Kritiker Stegert: Flüssiggas-Pipeline ginge einmal um den Hof

Auf seinem Hof Früchtenicht, den er von seinem Onkel übernommen hatte, betreibt er seit 1995 ökologische Landwirtschaft. Mit Bioland-Siegel. Für unter anderem die Futtermittel-Produktion oder für Bäckereien baut er Klee, Weizen, Dinkel, Hafer, Bohnen, Erbsen an. Zudem hat er eine Schweinemast mit 80 Tieren und zusätzlich 25 Mutterschafe. „Die Pipeline würde einmal um meinen Hof gehen“, sagt Stegert, der seit mehr als 30 Jahren im Bereich Steuern für den landwirtschaftlichen Buchführungsverband tätig ist.

Wer Landwirtschaft betreibt, „muss Lust auf Arbeit haben.“ Gut 27 Hektar Land würden von der Gastrasse dreimal geschnitten werden. „Einmal sind es im Bereich der Pinnau zwei Hektar mittendurch, einmal zweieinhalb Hektar, wo die Pipeline vorn und hinten mein Gebiet streift und noch einmal 3,4 Hektar, bei dem ich mit etwa einem Drittel Verlust der Fläche rechne“, so der 62-jährige Diplom-Agraringenieur. Den Titel habe er – fürs Protokoll – an einer Fachhochschule erworben. Sagte er und grinst.

Flüssiggas: Trockenperioden oder Hochwasser bei Planung nicht bedacht

Den Humor hat er nicht verloren: „Ich bin ja nur ein dummer Bauer“, sagt er. Und dann hat er noch nicht einmal die dicksten Kartoffeln. Doch Stegert kennt sich mit Zahlen aus: „Ich habe mir die Auswertung von Gasunie über die 82 Probebohrungen im Kreis Pinneberg angeschaut und ausgewertet. Der Durchschnittswert bei den Moorschichten beträgt 1,7 Meter. Die dickste Schicht, die vom Bau in Kurzenmoor betroffen ist, beträgt gut 4,6 Meter.“

Auch in Zeiten des Klimawandels werde einfach nicht dazugelernt. Wenn die ausgetrockneten Moore dann Gase freigeben, wisse auch niemand, wie die Bodenstrukturen und Umgebungen darauf reagierten. Zudem soll während der Bauphase der Grundwasserspiegel erheblich gesenkt werden. In trockenen Phasen ebenfalls ein heikles Thema.

Umweltschützer und Landwirte kritisieren geplante Flüssiggas-Pipeline

Stegert hat 1976 auch die Sturmflut miterlebt und die Bundeswehr-Soldaten in ihren Booten durch das komplett überschwemmte Gebiet gelotst. „In den Ecken, wo das Wasser am höchsten stand, sollen nun die LNG-Rohre verlegt werden“, sagt er achselzuckend. In Zeiten, in denen Starkregenereignisse zunehmen werden, könnte es durchaus problematisch werden, wenn parallel darunter flüssiges Erdgas durch Rohre rauscht.

Ab Herbst/Winter 2023 soll es einen unmittelbaren Anschluss an das Gasfernleitungsnetz am Einspeisepunkt Hetlingen/Haseldorf geben. 55 Kilometer von Brunsbüttel nach Hetlingen. Die Rohre haben einen Durchmesser von 80 Zentimetern und sind in einem Meter Bodentiefe verlegt. Gebaut wird die Leitung in Teilstücken von 200 Meter-Rohren. Diese Stücke werden dann zusammengeschweißt. Der Arbeitskorridor beträgt gut 35 Meter. Neben den Landwirten sind es vor allem Umweltschützer, die eine Schädigung der Natur in der Haseldorfer Marsch befürchten.

Wer schneller unterschreibt, bekommt höhere Entschädigungszahlung

Die LNG-Technologie wird oft im Bereich der energetischen Übergangslösungen angesiedelt, bevor es dann von Wasserstoff abgelöst werden soll – LNG hat dafür für bei einem veranschlagten Betrieb bis zum Jahr 2043 reichlich Zeit als solche zu gelten. „LNG soll bis 2043 laufen, 2045 will Deutschland klimaneutral werden. Mal sehen, wie das funktionieren soll“, sagt Stegert ironisch.

20 Jahre habe man im Bereich Klima komplett geschlafen und die Zeichen der Zeit nie rechtzeitig erkannt. Gasunie habe ihm auch ein Angebot gemacht, seine Korridore nahezu bedingungslos nutzen zu dürfen und jederzeit Zugang zu haben. „1,20 Euro pro Quadratmeter. Einmalig. Das wären so in etwa 660.000 Euro insgesamt für alle von der Pipeline betroffenen Landwirte“, sagt der Moorreger.

Je schneller er unterschreibt, desto höher wären etwaige Zuschläge. Innerhalb von zehn Wochen Bedenkzeit kämen noch jeweils 20 Cent pro Quadratmeter dazu. Zum Vergleich: Die Bundesregierung investiert in das Projekt allein für die schwimmenden LNG-Terminals drei Milliarden Euro. Kosten, die im Energiesektor und vielleicht auch über die Gas-Umlage dann möglichst schnell wieder eingenommen werden sollen.

Flüssiggas-Pipeline: Bauer fürchtet auch die Enteignung

Schon Ralf Hübner, Vorsitzender der Arge Umweltschutz Haseldorfer Marsch, sprach von einer aktuell entstandenen „Goldgräberstimmung“ und fordert Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien, um nicht von einer Abhängigkeit in die nächste zu rutschen. Stegert wünscht sich für seine Kinder und Enkelkinder eine bessere Zukunft in einer gesünderen Umwelt. In der nicht mehr auf fossile Energieträger gesetzt wird. Allzu gut sehe es dafür aber nicht aus: „Wegen des LNG-Beschleunigungsgesetzes kann ich theoretisch wohl sogar enteignet werden.“