Helgoland. Geographisch gesehen ergibt das wohl nur wenig Sinn. Ein Blick in die Historie enthüllt die Hintergründe der erstaunlichen Verbindung.

Wer Helgoland noch nie besucht hat, dem dürfte gleich beim ersten Landgang eine Besonderheit ins Auge fallen. An den inseltypischen kleinen Elektrokarren, die direkt am Kai mit Koffern und Taschen der Urlauber beladen werden, prangt unübersehbar ein Kfz-Kennzeichen, beginnend mit „PI“. Premium-Insel vielleicht? Ein genauer Blick aufs amtliche Siegel sorgt für Aufklärung. „Kreis Pinneberg“ ist dort zu lesen. Also „PI“ für Pinneberg. Liegt das nicht weit entfernt auf dem Festland? Merkwürdig.

Wer dann noch beim ersten Rundgang übers Oberland den Weg zum höchsten Punkt Helgolands findet – immerhin 61,3 Meter über dem Meer – und dort auf ein Gipfelkreuz mit der Inschrift „Pinneberg“ (allerdings ohne amtliches Siegel) stößt, entdeckt eine weitere Spur zu der gleichnamigen Kommune im Westen Hamburgs.

Das Kfz-Kennzeichen mit dem „PI“ an den inseltypischen Elektrokarren weist auf die Zugehörigkeit Helgolands zum Kreis Pinneberg hin.
Das Kfz-Kennzeichen mit dem „PI“ an den inseltypischen Elektrokarren weist auf die Zugehörigkeit Helgolands zum Kreis Pinneberg hin. © Marika Richters | Marika Richters

Helgoland: Wie die Insel Teil des Kreises Pinneberg wurde

Ein Blick in die Historie schließlich enthüllt die Hintergründe dieser erstaunlichen Verbindung zwischen Helgoland und Pinneberg, die in ihrem Ursprung weder geschichtlich, kulturell noch geologisch nachzuvollziehen ist. Vielmehr war es ein preußischer Hoheitsakt, der diese Allianz besiegelte. Per Verkündung einer Verordnung, die am 1. Oktober 1932 in Kraft trat, wurde Helgoland dem Kreis Pinneberg angegliedert. Es war also beileibe keine „Liebesheirat“ vor 90 Jahren. Der Anschluss der Insel erfolgte vielmehr, um die aufsässigen Helgoländer endlich unter Kontrolle zu bringen. Denn die ließen sich nicht gern etwas sagen, hatten ihren eigenen Kopf und ihre eigenen Regeln...

Aber warum nun ausgerechnet Pinneberg, den weit über 100 Kilometer von Helgoland entfernten Hamburger Randkreis? In einer informativen und launigen Rede vor dem Pinneberger Kreistag, der anlässlich des 50. Jahrestages der Zugehörigkeit zu einer Sitzung auf Helgoland zusammengekommen war, beleuchtete der damals amtierende Landrat Winfried Hebisch diese seltsame Verbindung.

Helgoland: Preußen suchten verkehrsgünstig gelegenen Kreis

Hebisch: „Die einfachste und wohl sehr verblüffende Antwort auf die Frage, warum die Verbindung zu Pinneberg geschaffen wurde: Wegen der Vorortbahn nach Hamburg.“ Gesucht wurde von der preußischen Landesregierung damals ein verkehrsgünstig gelegener Kreis, um Helgoland vom Festland aus schnell zu erreichen. Den Zuschlag erhielt Pinneberg, da zum einen der Seebäderdienst die Verbindung nach Hamburg schuf und der Pinneberger Landrat und seine Beamten mittels Eisenbahn und dann per Schiff vom Hamburger Hafen aus die unbequemen Insulaner problemlos erreichen „und so der staatlichen Ordnung Geltung verschaffen konnte“, so Hebisch.

Die Nordseeinsel Helgoland gehört seit 90 Jahren zum Kreis Pinneberg.
Die Nordseeinsel Helgoland gehört seit 90 Jahren zum Kreis Pinneberg. © dpa | Marcus Brandt

„Eine starke Hand“ schien damals in der Tat nötig, vermutete der damalige Landrat. Helgoland habe in den 1920er-Jahren eine sehr unruhige Periode erlebt, weil seine Bewohner gegen preußische und reichsgesetzliche Regelungen „mit handfesten Methoden und Interventionen vorgingen“. War das vormals englische Helgoland 1891 nach der Rückgabe ans Deutsche Reich noch dem schleswig-holsteinischen Kreis Süderdithmarschen zugewiesen worden, hob die preußische Landesregierung diese Verbindung 1922 wieder auf.

Zunächst wurde ein eigener Kreis Helgoland gegründet

Es wurde zunächst ein eigener Kreis Helgoland gegründet, dem nur eine Gemeinde angehörte: Helgoland. Damit wollte man Ordnung schaffen und „separatistischen Bestrebungen“ auf der Insel begegnen. Das führte allerdings in der Folge zu einem ständigen Streit und Gerichtsprozessen zwischen dem Helgoländer Landrat und der Gemeindevertretung, es ging offenbar drunter und drüber auf dem roten Felsen. Die Preußen wollten das den Friesen nicht länger durchgehen lassen, und daher wurde der Kreis Helgoland 1932 wieder aufgelöst – und letztlich dem Kreis Pinneberg zugeschlagen.

Für die Insel sei es dann, so Hebisch, dank der „ordnenden Hand des Landrates von Pinneberg“ bergauf gegangen. Helgoland sei immer dann gut verwaltet worden, wenn die Verwaltung von einem geeigneten Beamten zusammen mit Einheimischen geführt wurde, und zwar unter unmittelbarer Aufsicht einer Zentralinstanz. In den 1930er-Jahren hätten sich die Wogen dank der guten wirtschaftlichen Entwicklung geglättet, die Kommunalaufsicht wurde zur „Routineangelegenheit“.

„Besonders in schwierigen Zeiten wurde der Kreis zur zweiten Heimat“

Doch den guten folgten bald die dunklen Jahre. Mit dem Zweiten Weltkrieg, der Zerstörung und Vertreibung der Insulaner kam die nächste Bewährungsprobe, der Kreis Pinneberg kümmerte sich um die heimatlos gewordenen Helgoländer, richtete ein eigenes Helgoland-Büro ein und unterstützte massiv bei Freigabe und Wiederaufbau.

Bürgermeister Jörg Singer: „Mit dem Kreis Pinneberg sind wir Helgoländer als Außenposten in der Nordsee über die Jahrzehnte stark verwachsen.“
Bürgermeister Jörg Singer: „Mit dem Kreis Pinneberg sind wir Helgoländer als Außenposten in der Nordsee über die Jahrzehnte stark verwachsen.“ © Bertold Fabricius | Bertold Fabricius

Die engen Verbindungen würdigt auch Helgolands amtierender Bürgermeister Jörg Singer: „Mit dem Kreis Pinneberg sind wir Helgoländer als Außenposten in der Nordsee über die Jahrzehnte stark verwachsen – besonders in schwierigen Zeiten wurde der Kreis zur zweiten Heimat und wir konnten uns stets und ganz besonders bei der friedlichen Wiedereroberung der Insel in 1952 und beim Wiederaufbau starken Landräten und der Unterstützung des Kreises bis heute sicher sein.“

Helgoland und der Kreis Pinneberg haben eine gute Beziehung

Im Laufe der Jahre verfestigten sich die Beziehungen weiterhin. So gehört ein Vertreter der Insel regelmäßig dem Pinneberger Kreistag an, derzeit nimmt Peter Friedrich Botter diese Aufgabe als Mitglied der SPD-Fraktion wahr. Und da der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) aufgrund der friesischen Wurzeln der Helgoländer auf der Insel verankert ist, kann die Partei bei Landtagswahlen regelmäßig einen Kandidaten oder eine Kandidatin ins Rennen schicken, und zwar für den Wahlkreis Pinneberg-Nord, an den die Insel Helgoland angedockt ist.

Helgolands Bürgermeister Jörg Singer (v.l.), Landrätin Heesch, Edeltraut Heim, Leiterin Elbmarschenhaus, Rainer Adomat, Leiter Heimatverband für den Kreis Pinneberg.
Helgolands Bürgermeister Jörg Singer (v.l.), Landrätin Heesch, Edeltraut Heim, Leiterin Elbmarschenhaus, Rainer Adomat, Leiter Heimatverband für den Kreis Pinneberg. © Anne Dewitz | Anne Dewitz

Pinnebergs amtierende Landrätin Elfi Heesch wies bei der Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Helgoländer Geschichte(n)“ im März dieses Jahres im Elbmarschenhaus in Haseldorf nicht nur auf die wechselvolle Geschichte und beeindruckende Wiederaufbauleistung Helgolands, sondern auch auf die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kreis und Gemeinde hin, die vor 15 Jahren in einem Regionalen Entwicklungskonzept ihren Niederschlag gefunden habe. Mindestens 80 Prozent dieses Entwicklungskonzeptes seien umgesetzt, so die Landrätin, etwa die Schaffung von Wohnraum auf der Insel, die Stärkung der sozialen Infrastruktur sowie die nachhaltige und qualitätsorientierte Entwicklung touristischer Infrastruktur.

Auch die Potenziale der Helgoländer Häfen würden gezielt eingesetzt. So sei parallel zur Gründung der Hafenprojektgesellschaft eine Form der Wirtschaftsförderung entstanden, die beispielhaft sei.

„Wir sind stolz darauf, dass Helgoland zum Kreis Pinneberg gehört“

Heesch: „Auch hier hat der Kreis Pinneberg eine bedeutende Rolle gespielt und spielt sie weiterhin.“ Und die Helgoländer hätten immer wieder neue Wege gefunden und neue Chancen ergriffen.

Als ein aktuelles Beispiel führte die Landrätin das Thema Energiewende mit Hinweis auf das Helgoländer Projekt AquaVentus an, bei dem mit Offshore-Wind grüner Wasserstoff gewonnen werden soll.

Heesch: „Wir als Kreis Pinneberg sind stolz darauf, dass Helgoland zu uns gehört.“