Helgoland. Mehr als zwei Jahrhunderte inspirierte das Eiland Maler, die Kunst gegen Bett tauschten. Jetzt gibt es eine sehenswerte Werkschau.
Das ist mal Kunst mit Lokalkolorit. Und zwar aus unterschiedlichen Epochen. Zu sehen ist sie in der Gemäldesammlung des Hotels Rickmers Insulaner auf Helgoland. Sie gibt einen wohl einmaligen Einblick in 200 Jahre Geschichte der Malerei – immer mit Bildern von der Hochseeinsel.
„Von der Zeit der Kontinentalsperre bis zu den Pop-und-Street-Art-Ausstellungen ,Annas Art Affair’ fanden schon große Künstler ihre eigenen Sichtweisen auf die Insel“, sagt der Insel-Hotelier Detlev Rickmers. Ob in der Romantik, der Marinemalerei, im Expressionismus, Kubismus oder Surrealismus, der abstrakten Kunst oder Pop-Art. „Einige historische und gesellschaftliche Umbrüche lassen sich anhand unserer ausgestellten Werke gut nachvollziehen.“ Seine Familie sammelt Bilder zu diesem Thema. Einige ausgewählte Werke sind im Hotel zu sehen.
Helgoland: Klippen der Insel waren in der späten Romantik ein sehr beliebtes Motiv
Mit dem Beginn des Seebades ab 1826 etablierte sich nach dem Motto „Bett gegen Bild“ die kostenlose Unterbringung von Künstlern gegen Überlassung von hier entstandenen Bildern. Auch im „Empress of India“, das Hotel gehörte Familie Rickmers und wurde 1945 zerstört, hingen viele so entstandene Arbeiten, die oft mit persönlichen Kontakten verbunden waren. „Besonders eng war die Verbindung meiner Großeltern und meines Vaters zu Johannes Holst“, sagt Rickmers. Das Gemälde „Stürmische Nordspitze“ hängt heute in seiner Hotel-Galerie.
„In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Klippen Helgolands zu einem der berühmtesten Motive der späten Romantik“, sagt Rickmers. Insbesondere Vertreter der damals weltweit beachteten Düsseldorfer Schule wie Andreas Achenbach, Eduard Schmidt und Rudolf Jordan hätten mit ihren Bildern zur Popularität der Insel beigetragen. „Mit der Darstellung einer Feuers in einer Felsgrotte von Christian Ernst Bernhard Morgenstern zeigen wir eines der berühmtesten Inselmotive aus der Zeit.“ Eduard Schmidts „Schiffbruch vor der Westküste“ und Studien zu den Werken „Lotsenexamen“ und „Sturmläuten auf Helgoland“ von Rudolf Jordan vermittelten einen romantisierten Eindruck vom harten Leben der Insulaner. Bei der schnell wachsenden Kundschaft von wohlhabenden Stadtbürgern äußerst beliebt, so Rickmers, der auch Verleger und Autor ist.
Helgoland: Maler Heinrich Gätke wurde halb freiwillig Insulaner
„Den Maler Heinrich Gätke fesselte der Felsen auf eine ganz eigene Art“, erzählt der Hotelier. Zwischen 1837 und 1841 besuchte Gätke Helgoland und insbesondere eine Helgoländerin, die bald ein Kind von ihm erwartete. „Die Insulaner weigerten sich, den werdenden Vater auf einem Schiff zum Festland einzubooten und so entschied er sich, halb freiwillig, für ein dauerhaftes Leben auf der Insel.“ Später wurde Gätke Schreiber des englischen Gouverneurs und ein berühmter Ornithologe. Seine Arbeit und sein 1890 erschienenes Buch „Die Vogelwarte Helgoland“ führte später zur Gründung der Helgoländer Vogelwarte. „Seine Qualitäten als Maler zeigen sich in einer Ansicht von der Düne und einem Schiffbruch.“
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Werke der Dänen Anton Melbye und Carl Neumann sowie des Professors Carl Saltzmann zählen zur Sammlung. „Saltzmann war ein Schüler Hermann Eschkes, selbst königlicher Professor, dessen früher gemalte ,Insel im Mondschein’ wir ebenfalls zeigen“, so Rickmers. Saltzmann gehörte mit Walter Leidtikow und Hugo Schnars-Alquit zu den Vertretern der Vereinigung der XI, den Berliner Secessionisten, die auf Helgoland malten, so der Kunstkenner. Diese Gruppe habe mit den „Brücke“-Künstlern zur deutschen Avantgarde gehört. Sie gestalteten den durch das Aufkommen der Fotografie angestoßenen Wandel von der realistischen Darstellung zur emotional geprägten Malerei.
Helgoland: Ende des 19. Jahrhunderts boomte die Marinemalerei
Mit dem Abschluss des Helgoland-Sansibar-Vertrages 1890 wurde die britische Kolonie Helgoland Teil des Deutschen Reiches. „Viele Bilder dieser Zeit inszenierten den Stolz auf das nun deutsche Helgoland“, sagt Rickmers. Das Kaiserreich wollte die Insel zum Symbol der Seemacht stilisieren und forcierte den Ausbau zur Seefestung. „Gerade weil wir in den Jahrhunderten zuvor zum Königreich Friesland, zu Dänemark und zu England gehörten und englische Staatsbürger bleiben wollten, startete das Reich eine regelrechte PR-Kampagne“, sagt der Insulaner.
Die Marinemalerei boomte. Künstler wie Willy Stöwer und Hans Bohrdt prägten die Ära. „Die in der Sammlung gezeigte Hafenszene von Bohrdt wirkt, untypisch für ihn, fast impressionistisch und zeigt einen Zeil des neuen Kriegshafens.“
Auch George Grosz kam nach Helgoland
Entbehrungen des Ersten Weltkrieges finden sich in der Darstellung „Fischer von Helgoland“ von Conrad Felixmüller. „Der Expressionist ist bei uns mit zwei Werken vertreten“, sagt der 61-Jährige. Mit George Grosz zähle er zu den berühmtesten Vertretern des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit auf Helgoland. In den frühen 1920er Jahren schuf der Rumäne Arthur Segal seine Inselbilder, die heute in der Berlinischen Galerie und im Metropolitan Museum of Art in New York hängen. Die Arbeiten wirken kubistisch, der Rahmen ist Teil des Werks.
Von Heinrich Kley, Zeichner für den Simplicissimus und die Zeitschrift „Jugend“, nach der der Jugendstil seinen Namen erhielt, existieren teils Cartoon-artige Inselszenen und Postkarten. Der Hamburger Wilhelm Hoffmeister mit seinen surrealistischen Bildern verfolgte einen anderen Stil. „Wir zeigen ein Selbstbildnis, bei dem er auf der Langen Anna steht und einen Autounfall am Klippenrand beobachtet“, sagt Rickmers.
Mit Freiheit und Experimentierfreude war es in den 30er-Jahren vorbei
Mit Freiheit und Experimentierfreude war es in den 30er-Jahren vorbei. Die Kunst wurde instrumentalisiert, die Insel zur Festung und Adler – zu sehen in einigen Helgoland-Bildern – symbolisierten die „Wacht zur See“. Vertreter dieser Zeit sind Michael Kiefer, Claus Bergen und Alf Bachmann. Der Zweite Weltkrieg endete mit der totalen Zerstörung der Insel. Auch wertvolle Gemälde gingen in der Zeit verloren. Mit dem Wiederaufbau von 1952 an setzte sich auch die künstlerische Auseinandersetzung mit der Insel fort. Um den Inselarzt Walter Kropatschek herum etablierte sich ein Künstlertreff. Er beriet später die Familie Knauß, die mit ihrem Kunsthandel alte Werke wieder nach Helgoland holte und neue Künstler für das Thema gewann.
Dazu gehörte auch Ronald Franke, dessen Ansicht vom Südstrand und die „Westküste mit Tetrapoden“ im Insulaner hängen. Auch der für seine Bilder aus der Arbeitswelt bekannte Hans Dieter Tylle und der Marinemaler Jochen Sachse („Wappen von Hamburg“) gehören zur Ausstellung. Die beiden abstrakten Arbeiten von Frank Wiebe zeigen Landschaftsmodelle, die von Eindrücken Helgolands und Legolands geprägt sind. „Gemeint sind einerseits die brüchigen Felsstrukturen und Elemente und andererseits die Reduzierung auf einzelne Bausteine.“
Viele Maler trafen sich auf der Hochseeinsel
Kunst hat im Hotel Insulaner Tradition. Im Jahr 1989 war dort die erste Ausstellung mit Hans-Peter Wirsing. „Von 38 ausgestellten Werken wurden 34 verkauft. Allein Dr. Kropatschek erwarb 14 davon“, sagt Rickmers. Ein großer Erfolg.
Im Jubiläumsjahr 1990, Helgoland war 100 Jahre deutsch, folgte eine zweite Ausstellung, unter anderem mit Treibholzarbeiten des Inselchirurgen und Bildhauers Dr. Gerhard Siegismund, von denen einige noch im Hotel zu sehen sind. Aus Anlass des Jubiläums schuf Hans-Peter Wirsing das großformatige Bild am Eingang des Restaurants, das Mythologie, Mesozoikum, Maritimes, berühmte Menschen, Mächte und Momente vereint. Von Wirsing stammen auch die Fliesenbilder im Wellnessbereich.
1998 traf sich die Gruppe der Norddeutschen Realisten zu einem Plein Air Event auf der Insel. Neben Friedel Andersen gehörte auch Erhard Göttlicher dazu, dessen Arbeiten vor allem vom Blick auf Beton bestimmt sind. Ein weiterer Künstler der Gruppe war Nikolaus Störtenbecker.
Helgoland: Auf Kunst mit Handmalerei folgt aktuell Pop-Art im Bunker
2006 folgte die Ausstellung „Kunst ist eine Insel“ der Künstlergruppe Paradox. Die Aktion umfasste landschaftliche Installationen, Performance, Skulpturen und Malerei. Zu ihr gehörte der in Sibirien geborene Maler Gennady Gorbaty.
„2016 stellten wir im Hotel Rickmers Insulaner die Hamburger Janet Hesse und Dirk Bunte aus“, sagt Rickmers. Gemeinsam schufen sie die Fotoserie „Schatten der Vergangenheit“. „Einen handwerklich ganz eigenen Stil folgt Christopher Lehmpfuhl, der seine kraftvollen Bilder mit den Händen malt“, erläutert Rickmers beim Rundgang durch die Galerie. Jüngster Zuwachs in der Kunstsammlung ist „Anna Bananas“ von MicArt63, der mit weiteren Pop-Art-Künstlern aktuell auch im Bunkertunnel ausstellt.