Helgoland. Die damals größte nicht-nukleare Sprengung weltweit zerstörte die Hochseeinsel vor 75 Jahren fast. Die Geschichte des Schicksalstags.
Vor genau 75 Jahren, am 18. April 1947, jagten die Briten auf Helgoland 6700 Tonnen Sprengstoff in die Luft, um Militäranlagen der Nazis zu vernichten. Die als „Big Bang“ bezeichnete, bislang größte nicht-nukleare Sprengung sorgte auf der bereits evakuierten Insel für weitere massive Zerstörungen – doch Helgoland hielt stand.
Der 18. April ist für die Helgoländer in mehrfacher Hinsicht ein Schicksalstag. Genau zwei Jahre zuvor, am 18. April 1945, warfen 1000 britische Flugzeuge etwa 7000 Bomben über dem roten Felsen ab und hinterließen eine unbewohnbare Mondlandschaft. Alle, die in den Bunkern überlebt hatten, mussten ihre Heimatinsel verlassen.
Nordsee: Helgoland – „Big Bang“ jährt sich zum 75. Mal
Und nicht zu vergessen: Etwa 20 Helgoländer wurden noch am frühen Morgen des 18. April 1945 von der Gestapo verhaftet. Sie hatten versucht, Helgoland vor der völligen Zerstörung zu bewahren und Kontakt mit den Engländern aufgenommen. Die Widerstandskämpfer wurden verraten, fünf von ihnen hingerichtet.
Das spektakulärste Ereignis war der „Big Bang“, der sich nun zum 75. Mal jährt. Das Ziel der gigantischen Sprengung: Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten die Besatzer wichtige Munition und Militäranlagen auf Helgoland vernichten.
Helgoland – dumpfes Grollen, eine vier Kilometer hohe Rauchwolke
Auf der Homepage der Gemeinde Helgoland heißt es dazu: „Rund 4000 Torpedoköpfe, fast 9000 Wasserbomben und über 91.000 Granaten verschiedensten Kalibers, insgesamt 6700 Tonnen Sprengstoff, waren im U-Boot-Bunker sowie im Tunnellabyrinth an der Südspitze des Felsens und bei den Küstenbatterien gestapelt; pünktlich um 13 Uhr wurde die riesige Explosion von Bord des Kabellegers ,Lasso’ ausgelöst.“
Aus dem Felsgestein der gesprengten Südspitze entstand so das Mittelland, der U-Boot-Bunker im Südhafen wurde völlig zerstört. „Ein dumpfes Grollen, eine bis zu vier Kilometer hohe Rauch- und Aschewolke über Helgoland, die bis nach Cuxhaven zu sehen ist – so erlebten Augenzeugen diesen Tag“, heißt es weiter.
Hochseeinsel sollte „militärisch unbrauchbar“ werden
Dass die Briten die komplette Zerstörung Helgolands bei der Sprengung billigend in Kauf nahmen, verneinte mehr als 60 Jahre nach der Sprengung ein Engländer, der an verantwortlicher Stelle dabei war. Brian Butler, der zu einer Abordnung des britischen Militärs gehörte, die 1947 auf der Insel die Vorbereitungen der großen Sprengung beaufsichtigte, besuchte 2008 Helgoland als Zeitzeuge für einen Bericht des NDR. Butler bestätigte dabei, dass die Aufgabe darin bestand, die Insel „militärisch unbrauchbar“ zu machen – also nicht, wie immer wieder geäußert wurde, dass die Insel dem Meeresboden gleich gemacht werden sollte.
Er wies darauf hin, dass bestimmte Teile der Befestigungsanlagen von den Sprengungen verschont blieben. So sei der Zivilschutzbunker nicht davon betroffen gewesen, und auch die Kellerbereiche des Flakturmes – dem heutigen Leuchtturm – blieben unbehelligt. Denn der Turm sollte als Landmarke für die alliierten Bomber dienen, die Helgoland noch bis 1951 als Übungsziel nutzten.
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Am 18. April 1945 fielen 7000 Bomben auf Helgoland
Am Tag des „Big Bang“ hatte schon zwei Jahre lang kein Helgoländer mehr die Heimatinsel betreten. An den letzten großen Angriff am 18. April 1945 erinnert sich ein Insulaner noch recht genau – obwohl er damals erst sechs Jahre alt war.
Auf einem Zeitzeugentreffen im Appener Bürgerhaus erzählte Jochen Hottendorf (82) von den dramatischen Stunden dieses Tages: Wieder einmal Sirenenalarm, es ging in den Bunker an der Bremer Straße. „Nur eine kleine Tasche mit persönlichen Sachen war erlaubt.“ Genau erinnert er sich, dass sie, während die Bombeneinschläge den Felsen erschütterten, immer wieder wieder auf die Sitzbank im schmalen Bunker steigen mussten, wenn verletzte Zivilisten oder Soldaten durchgetragen wurden.
Als die Menschen endlich wieder an die frische Luft durften, war der Schock groß. „Alles war kaputt, überall brannte es.“ Zwei Tage später dann die Evakuierung mit dem Schiff Richtung Elbe, in Schulau noch einmal Beschuss durch Tiefflieger, dann landete die Familie in Holm.
Eine weitere Tragödie hatte sich noch am Morgen des 18. April vor dem verheerenden Bombardement abgespielt: Eine Gruppe von Widerstandskämpfern war aufgrund von Verrat verhaftet worden. Auf der Homepage des Museums Helgoland ist die Erinnerung an die mutigen Männer mit dem Helgoländer Erich Friedrichs und dem aus Süddeutschland stammenden Dachdeckermeister Georg Braun an der Spitze festgehalten.
Sie schafften es, auf der kleinen, total vom Militär kontrollierten kleinen Insel „eine Widerstandsgruppe zu bilden, die am Ende des Zweiten Weltkrieges, als dieser schon verloren war, versuchte, Helgoland vor der völligen Zerstörung zu retten“. Während eine Gruppe um Braun Pläne für eine kampflose Übergabe der Insel an die Alliierten ausarbeitete, hatten Friedrichs und einige seiner Leute bereits Funkkontakt zu den Engländern. Doch kurz vor der Ausführung verrieten zwei Mitglieder der Gruppe die Pläne.
Widerstandskämpfer auf der Insel wurden an Nazis verraten
So wurden etwa zwanzig Männer am frühen Morgen des 18. April auf Helgoland verhaftet und vierzehn von ihnen nach Cuxhaven transportiert. Nach einem Schnellverfahren ließen die Nazis fünf von ihnen, Georg E. Braun, Karl Fnouka, Erich P. J. Friedrichs, Kurt A. Pester und Martin O. Wachtel, drei Tage später hinrichten. Ihnen zu Ehren wurden 2010 fünf „Stolpersteine“ auf Helgolands Straßen verlegt – am Schicksalsdatum 18. April.
Als junge Frau besetzte sie Helgoland
Es ist vielen unbekannt, dass sich außer den Studenten René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld weitere mutige junge Menschen auf den Weg nach Helgoland machten, um gegen die Bombenabwürfe der Briten zu demonstrieren.
Eine war jüngst im Appener Bürgerhaus zu Gast bei der Veranstaltung „Zeitzeug*innen berichten – Berichte aus schweren und hoffnungsvollen Zeiten“: Marianne Wilke. Die Wedelerin (93) ist noch immer aktiv in der Friedensbewegung und zählte zu den 13 jungen Leuten im Alter von 16 bis 25 , die im März 1951 – wie Leudesdorff und von Hatzfeld im Jahr zuvor – Helgoland symbolisch besetzten. Sie gehörte zur Guttempler-Jugend, in der sie und Gleichgesinnte sich für den Frieden einsetzten. Sie hörten von der Aktion der beiden Studenten und waren elektrisiert. „Endlich macht mal jemand was.“
Die Gruppe fand einen Fischer, der sie zur gesperrten Insel übersetzte und zog in den Flakturm ein, das einzige Gebäude, das noch stand. „Oben haben wir die Fahnen von Helgoland, Deutschland und die der Friedensbewegung gehisst.“ Nach wenigen Tagen kam Polizei, die Tür zum Turm wurde aufgeschweißt und alle Besetzer verhaftet. Sie kamen vor ein britisches Gericht, jeder bekam zwölf Monate Gefängnis – die Mädchen zur Bewährung. „Darüber waren wir empört, wir waren doch keine Anhängsel.“ Geschockt habe sie, so Wilke, dass ihre Aktion später in manch öffentlicher Rede verurteilt wurde.
Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Aktion damals von kommunistischer, also der „falschen Seite“, unterstützt wurde. Ausführlich hat sich Christina Writh von der Uni Hamburg damit in ihrer Magisterarbeit „Die Tagebücher einer Helgoland-Besetzerin des Jahres 1951 – Ein Leben zwischen zwei politischen Systemen“, nachzulesen im Internet, beschäftigt.