Helgoland. Millionen Gäste kennen die Kähne der Insel. Doch das Ausbooten hat ausgedient. Ein Kulturgut vor dem Aus? Nicht ganz.

Spanten, Planken, Bodenbretter, Duchten (die Sitzbänke) mussten ausgewechselt werden. Der Motor wurde überholt. Stevenrohr, Antriebswelle und Propeller sind neu. Viel Arbeit, jede Menge handwerkliches Geschick und jahrelange Erfahrung stecken in dem zehn Meter langen, drei Meter breiten und acht Tonnen schweren Börteboot, das bei Rainer Hatecke auf der Werft in Freiburg an der Elbe liegt.

Noch heißt es ein wenig seelenlos „No. 4“. Erst beim Stapellauf wird der neue Name verkündet. Doch ehe es Richtung Wedeler Hafen gehen kann, wo es dauerhaft festmachen soll, muss das Boot zwei Tage im Wasser liegen, um zu quellen und so wasserdicht zu werden. Anschließend geht es auf der Elbe auf Testfahrt. Eine Hamburgerin und ein Wedeler haben das Börteboot von Privat gekauft, um es zu erhalten. Sie lassen es nun in der Hatecke-Werft überholen. Präsentiert werden soll es dann auf dem Wedeler Hafenfest im Juni.

Helgoländer Börteboote kommen von Hatecke-Werft

„Fast 80 Prozent aller Börteboote wurden hier gebaut“, sagt Rainer Hatecke, der auch Vorsitzender des Vereins zum Erhalt Helgoländer Börteboote ist. „Börteboote gehören zu Helgoland wie die Gondeln zu Venedig“, sagt der erfahrene Schiffsbauer. Weitere 14 Börteboote werden derzeit von ihm und seinem Team überholt, vier davon müssen komplett restauriert werden.

Das Börteboot „No. 4“ wird in der Bootswerft Hatecke in Freiburg an der Elbe komplett überholt, ehe es Richtung Wedeler Hafen geht.
Das Börteboot „No. 4“ wird in der Bootswerft Hatecke in Freiburg an der Elbe komplett überholt, ehe es Richtung Wedeler Hafen geht. © Dieter Napiwotzki

Rainer Hatecke hat die Werft 1995 übernommen und führt sie in fünfter Generation. In den Anfangsjahren wurden vor allem hölzerne Traditionsschiffe repariert und Teakdecks verlegt. Später bestimmten der Umbau von Tuckerbooten, der Neubau von Ewerbooten und Angelkähnen sowie der Bau von hölzernen Masten und Spieren das Werftleben.

Helgolands Börteboote wurden in der Hatecke-Werft gebaut

Im Jahr 2010 wurde erstmals seit 1971 wieder ein Helgoländer Börteboot auf der Werft gebaut. „Der Eigentümer konnte von der Lieferung des Holzes bis zur Bootstaufe jeden Baufortschritt an seinem Börterboot im Detail miterleben“, sagt Hatecke. Für beide war es ein tolles Erlebnis, als das Börteboot nach seiner Taufe im Freiburger Hafen von einem Helgoländer Börterboot zu seiner ersten Fahrt auf der Elbe begleitet wurde.

Seither wurden zig Börteboote in der Hatecke-Werft gefertigt und überholt. In den Wintermonaten führt die Werft Ausbesserungsarbeiten an den meisten Booten durch. Dann wird alte Farbe abgebrannt und neue aufgetragen. Auch die bis zu 180 PS starken Dieselmotoren – Herzstück des Bootes – müssen regelmäßig gewartet werden. Das bedeutet Ventile einstellen, Filter wechseln, Keilriemen prüfen.

Mit dem Börteboot auf hoher See: Dennis Allers hat den Extremschwimmer André Wiersig begleitet.
Mit dem Börteboot auf hoher See: Dennis Allers hat den Extremschwimmer André Wiersig begleitet. © Helgoland Tourismus-Service | Dennis Daletzki

Traditionell wurden auf Helgoland die Passagiere in den Börtebooten von den Schiffen zu der Landungsbrücke ausgebootet. Bis zu 50 Passagiere finden während der kurzen Überfahrt vom Seebäderschiff zur Insel Platz. Mehr als 45 Millionen Menschen wurden ohne größere Zwischenfälle sicher zum Ziel gebracht. Auch zum Hummer- und Knieperfang und Fischen werden die Boote eingesetzt. Die Börteboote, die sich bis vor Kurzem noch im Börteeinsatz befanden, sind meist um die 40 bis 50 Jahre alt. Auch auf maritimen Veranstaltungen wird die Kultur von Börte und Booten erlebbar.

Warum das Ausbooten mit einem Schlag aufhören musste

Doch die Tradition des Ausbootens droht auszusterben. Der Katamaran der FS Helgoline, der während der Saison die Insel anläuft, und das Seebäderschiff MS „Helgoland“ der Reederei Cassen Eils machen schon längst im Südhafen fest, was eine Überfahrt mit den Börtebooten überflüssig macht. Auch andere Schiffe wollen lieber direkt anlegen.

„Als noch 800.000 Gäste im Jahr auf die Insel kamen, fuhren noch ein halbes Duzend Börteboote raus, um die Passiere abzuholen“, sagt Tourismusdirektor Stephan Hauke. Mit Corona brach der Tourismus ein und das Übersetzen in voll besetzten Booten wurde aus Angst vor Ansteckung mit dem Virus gänzlich eingestellt. Seitdem legen die Schiffe nur noch im Südhafen an.

Rainer Hatecke steht auf seiner Werft in Freiburg/Elbe vor einem Börteboot.
Rainer Hatecke steht auf seiner Werft in Freiburg/Elbe vor einem Börteboot. © Privat

Angst vor Ansteckung: Börteboote liegen nun im Hafen

„Das Ausbooten ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Hauke. Was bei ruhiger See und Sonne ein tolles Erlebnis ist, sei bei schlechtem Wetter nicht mehr zumutbar. „Die Passagiere kauern dann unter einer Plane und kommen mit klatschnassem Rücken an.“ Allerdings: Wer einen Börteboot-Shuttle wünscht, kann diesen direkt an Bord buchen und sich vom Südhafen zur Düne oder zu den Landungsbrücken übersetzen lassen. „Das Angebot wird sehr gut angenommen“, sagt Hauke. Zudem werden verstärkt touristische Ausflüge mit Börtebooten angeboten. „Die Börteboote gehören einfach zu Helgoland und sind nicht wegzudenken.“

Das sehen auch die Mitglieder des Vereins zum Erhalt der Helgoländer Börteboote so. Sie kämpfen für die Rettung der Klassiker. „Den Vereinsmitgliedern liegt es am Herzen, die traditionellen Boote am Leben zu erhalten und die Flotte ständig zu erweitern“, sagt Hatecke. Auch wenn die Zukunft des Ausbootens fraglich sei, die Börteboote werde es ewig geben, davon ist er überzeugt.

Touristen werden auf Helgoland mit einem Börteboot an Land gebracht.
Touristen werden auf Helgoland mit einem Börteboot an Land gebracht. © dpa | Georg Ismar

Da sich Reisegewohnheiten geändert hätten, seien immer weniger Börteboote im täglichen Einsatz für die Besucher der Insel. Um diese große Tradition und das damit verbundene klassische Handwerk des Holzbootsbaus zu bewahren, haben private Eigner von Börtebooten, Helgoländer Bootsbesitzer und Enthusiasten im Jahr 2014 den Verein gegründet, mit dem Ziel, die Helgoländer Börteboote zu erhalten.

Auf der Werft entstand das erste E-Börteboot

Eine spektakuläre Aktion rückte die Börteboote 2018 in den Fokus der Öffentlichkeit und sorgte für ordentlich Schlagzeilen. Vereinsmitglieder starteten am 29. September mit zehn Börtebooten von Hamburg in Richtung Berlin. Die Reise führte über Geesthacht, Wolfsburg und Burg bei Magdeburg. Insgesamt war der Konvoi vier Tage bis Berlin unterwegs. Hintergrund für diese aufwendige Fahrt: das einmalige Transportsystem von Helgoland und die besondere Handwerkskunst beim Bau der Boote sollten unter den Schutz der UNESCO gestellt werden.

Stephan Hauke, neuer Tourismusdirektor von Helgoland
Stephan Hauke, neuer Tourismusdirektor von Helgoland © Elisabeh Jessen

„Den entsprechenden Antrag hatten wir bereits 2017 mit sechs Booten direkt am Landeshaus in Kiel dem damaligen Ministerpräsidenten Torsten Albig persönlich übergeben“, erinnert sich Hatecke. Auf der Kultusministerkonferenz 2018 in Berlin sollte dann über die Projekte entschieden werden, die der Bund bei dem zuständigen Gremium der UNESCO vorlegen wollte. Pünktlich zur Entscheidung am 3. Oktober 2018 waren Boote und Mannschaften vor Ort und machten vor dem Bundestag halt, um ihrem Willen Nachdruck zu verleihen.

Wieder zurück auf der Insel hatten die Börteboote eine Strecke von 1000 Kilometern zurückgelegt. Es hat sich gelohnt. Mit dem Eintrag in die Liste der immateriellen Kulturgüter Ende 2018 wurden die jahrhundertealte Baukunst und die Kulturtechnik gewürdigt.

Auf der Hatecke Werft – sie blickt auf mehr als 160 Jahre traditionellen Holzbootsbau zurück – werden die Börteboote aber nicht nur erhalten, sondern auch zeitgemäß umgerüstet. Hier wurde das erste historische Börteboot, die „Pirat“, mit einem umweltfreundlichen Elektromotor ausgestattet. Das elektrisch angetriebene Börteboot ist ein wichtiger Baustein in Richtung Null-Emissions-Insel, findet Hatecke. Allerdings gibt es einen Haken: Die „E-Pirat“ ist auf Kurzstrecke ausgelegt. „Es gibt in den Häfen kaum Möglichkeiten, Strom zu tanken“, sagt Hatecke. Bis vor den Berliner Bundestag hätte er es damit wohl nicht geschafft.

Börte heißt soviel wie „Ich bin jetzt dran“

Schon im 18. Jahrhundert lebten die Helgoländer Seeleute zum großen Teil vom Lotsendienst auf Elbe, Weser und Eider oder vom Seenotdienst. Als Helgoland 1714 dänisch wurde, wurden die Lotsenfahrten in Reihenfolge ausgelost – diese Regelung wurde Börte genannt. Das Wort wurde wahrscheinlich aus der Flussschifffahrt übernommen: Reihenschifffahrt nannte man Beurtschifffahrt. Es bedeutete „an der Reihe zu sein.“ Auf Helgoländisch: „Ik ben uun´e beert“, also „ich bin jetzt dran“.

Ab 1826, der Gründung des Seebades, wurde der Begriff beim Ausbooten übernommen. Das Wort Börte wird auch heute noch bei den Seelotsen benutzt. Die Börte ist ein Teil der Gemeinde und Arbeitgeber. Sie betreibt die Dünenfähre und die gemeindeeigenen Börteboote.

Hier sind die Traditionsboote der Hochseeinsel im Einsatz

Das Wedeler Hafenfest von Freitag, 10. Juni, bis Sonntag, 12. Juni, bietet neben einem vielfältigem Programm, zahlreichen Ständen von Wedeler Vereinen, Karussells und Spielmöglichkeiten auf der Wiese am Willkomm Höft und am Schulauer Hafen auch Touren auf der Elbe. Diese Flussfahrt ist auch mit einem der Helgoländer Börteboote möglich, die Wedel anlässlich des Hafenfestes besuchen.

Der Verein zum Erhalt Helgoländer Börteboote wird am Donnerstag, 9. Juni, mit seinen Börtebooten auf der Matjeswochen in Glücksstadt zu sehen sein. Weitere Termine: 12. Juli Inselfest auf Helgoland, 15. bis 17. Juli Kutterregatta in Büsum, 10. August Börtebootregatta auf Helgoland, 17. bis 21. August „Lütte Sail“ in Bremerhaven, September (Termin steht noch nicht fest) Elbfest in Hamburg, 29. September bis 3. Oktober Deutscher Schifffahrtstag in Bremen und Bremerhaven.

Auf Helgoland direkt starten von April bis Oktober täglich an den Landungsbrücken Inselrundfahrten mit einem Börteboot der Gemeinde. Entsprechende Aushänge dazu finden sich direkt an der Dünenfähre.

Ornithologische Rundfahrten mit einem Börteboot können ab sofort für Juni gebucht werden. Tickets – Erwachsene zahlen 33 Euro, Kinder zwischen 6 und 16 Jahren 23 Euro – verkauft die Tourist-Information (04725/80 88 08). Wer Insel und Düne auf einer Fotosafari umrunden möchte, kann eine Rundfahrt mit Gerold Lösekann (0171/480 19 08) absprechen. Traditionelle Rundfahrten mit einem der klassischen Boote sind über Börteboot Sellebrunn jederzeit zu buchen: Anmeldung telefonisch 0162/719 74 31.