Groß Offenseth-Aspern. Gigantische Deponie im Kreis Pinneberg beschäftigt die Behörden. Ehemalige Betreiber-GmbH ist insolvent. Jetzt handelt das Land.
Ein gewaltiges Gummi-Gebirge im Kreis Pinneberg beschäftigt die Behörden in Schleswig-Holstein seit Jahren. Gut 8000 Tonnen Altreifen lagern auf einem etwa einen Hektar großen Grundstück in der 450-Seelen-Gemeinde Groß Offenseth-Aspern. Als riesengroßer schwarzer Fleck sind sie sogar auf Satellitenbildern zu erkennen. Die Altlast ist nicht nur umweltschädlich, sondern auch brandgefährlich: Sollte ein Feuer ausbrechen, hätte die Feuerwehr kaum eine Chance, zu löschen. Nun bahnt sich eine Lösung an.
Das zuständige Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) will in einem ersten Schritt Brandgassen schaffen, wie Behördensprecher Martin Schmidt ankündigt. Geschätzte Kosten: 1,4 Millionen Euro. Die Arbeiten sind nun ausgeschrieben worden. Im Text der Ausschreibung heißt es: „Im Kreis Pinneberg lagern auf einer Freifläche in der Nachbarschaft zu Gebäuden seit etwa 20 Jahren eine große Menge Altreifen und andere Gummiabfälle. Die ehemalige Betreiber-GmbH ist insolvent. Brandgassen sind nicht vorhanden. Die Brandlast ist erheblich, sodass zumindest eine Teilräumung erfolgen muss.“
Komplettentsorgung soll 2,7 Millionen Euro kosten
Auch eine Komplettentsorgung sei möglich und werde weiterhin angestrebt, so Schmidt. Ein Gutachten veranschlage die Kosten für die Entsorgung der nach Angaben des Grundstückseigentümers etwa eine Million Altreifen auf 2,7 Millionen Euro.
Jürgen Tober, der in der Pinneberger Kreisverwaltung für das Ordnungswesen verantwortlich ist, sagt: „Damit ist ein echter Fortschritt erzielt worden.“ Die Kuh vom Eis brachte ein Gespräch zwischen dem ehemaligen Pinneberger Landrat Oliver Stolz und Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne). Das Land habe zum ersten Mal anerkannt, dass es hier allein zuständig sei und eingreifen müsse, und zwar „zur Gefahrenabwehr von Umwelt, Mensch und Tier“. Denn die Gefahr sei groß, sagt Tober. „Wenn das mal brennt, müssen wir Barmstedt evakuieren.“
Eigentümer will Räumung durch türkische Firma
LLUR-Sprecher Schmidt betont dennoch: „Die Maßnahme erfolgt im Rahmen der Ersatzvornahme. Wir werden in jedem Fall versuchen, die verauslagten Mittel vom Eigentümer zurückzuerhalten.“ Der erklärte gegenüber dem Abendblatt, dass er im Gegenzug dem Land das 10.000 Quadratmeter große Grundstück für einen Euro übertragen würde. Es habe einen Marktwert von rund einer Million Euro, sei aber noch mit einer Grundschuld von einer halben Million Euro belegt. „Die Grundschuld wird noch getilgt. Ich werde es dem Land lastenfrei übergeben“, sagt der Eigentümer, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Er zweifelt allerdings die gutachterlich ermittelten hohen Entsorgungskosten an. Ihm liege das Angebot eines türkischen Unternehmers aus Hamburg vor, der die Altreifen für rund 70 Euro die Tonne, also etwa 560.000 Euro, entsorgen wolle, einschließlich Abtransport und Speditionskosten per Lkw nach
Brunsbüttel und weiter mit dem Schiff in die Türkei. Dort solle das Material als Brennstoff in der Zementindustrie eingesetzt werden, so der Altreifeneigentümer. Nur verlange der Hafen in Brunsbüttel eine Sicherheitsleistung von 100 Euro je Tonne, damit nicht plötzlich Brunsbüttel zum Altreifenlager werde. „Das wäre die beste Lösung“, meint der Groß Offensether zur Türkei-Connection. Nur: Er müsste dafür gehörig in Vorleistung gehen.
Zunächst kommen die Brandgassen
Im Gegenzug würde er dem Entsorger das Grundstück ebenfalls für einen Euro überlassen. „Ich werde das Grundstück sowieso los, egal ob es das Land oder der türkische Unternehmer bekommt. Damit habe ich mich abgefunden.“
Wohl auch deshalb strebt die Landesbehörde nun zunächst die Schaffung von Brandgassen an. „Das Land sieht die Herstellung von Brandabschnitten als erforderliche Maßnahme zur Gefahrenabwehr an und führt daher diese Ausschreibung durch und wird Auftraggeber sein, wenn sich geeignete Anbieter finden“, teilt LLUR-Sprecher Schmidt dazu mit.
Seit Jahren drängen Kreisverwaltung und Kreispolitik Eigentümer und Landesbehörde, diese enorme Gefahrenquelle endlich zu beseitigen. Zuletzt forderte der Kreistag vor fast zwei Jahren, das Altreifenlager notfalls per Zwangsmaßnahme zu räumen. „Für uns besteht hier ein hohes Risiko für Mensch und Umwelt“, sagt der Umweltausschussvorsitzende Thomas Grabau. „Sollten die Reifen in Brand geraten, werden hochgiftige Stoffe freigesetzt, die in Boden und Wasser gelangen und das angrenzende Naturschutzgebiet kontaminieren“, warnte der Grünen-Politiker.
Eigentümer sieht sich unverschuldet in der Situation
Der Eigentümer sieht sich unverschuldet in dieser Situation. Rund 20 Jahre lang habe er jedes Jahr etwa 10.000 Tonnen Altreifen an die Zementindus-
trie geliefert. Bis auf einmal im Jahr 2004 infolge der BSE-Krise Tiermehl als günstigerer Ersatzbrennstoff auftauchte und ihm so den Absatzmarkt kaputtmachte. „Ich bin also ein BSE-Krisenopfer“, sagt er. Holcim-Sprecher Jens Marquardt bestätigt auf Nachfrage, dass im Zementwerk Lägerdorf bei Itzehoe, wohin der Groß Offensether seine Altreifen geliefert haben will, „seit mehr als zehn Jahren keine Altreifen mehr eingesetzt“ werden.
Das Land will die Altreifen verbrennen lassen, teilt LLUR-Sprecher Schmidt mit. „Sie müssen stofflich oder thermisch verwertet werden. Bei dem hohen Alter der Reifen ist eine stoffliche Verwertung unwahrscheinlich.“