Elmshorn. Judith Willers erhält die Diagnose im Alter von 15 Jahren. Wer ihr hilft und welcher ehemalige HSV-Trainer Schirmherr ist.
Erst muss sie das Leistungsturnen aufgeben. Die Schmerzen in Rücken, Handgelenken und Knien sind unerträglich geworden. Da ist Judith Willers 13 Jahre alt. Ein Jahr später kann sie nicht mehr zum Reiten gehen. Der einzige Sport, der bleibt, ist Physiotherapie. Sie ist 15, als die Ärzte endlich den Grund für ihre Schmerzen finden: Sie hat rheumatoide Arthritis, eine langwierige rheumatische Entzündung der Gelenke.
Judiths Ärztemarathon: Die Suche nach der Schmerzursache
Im ersten Moment freut sich Judith, die in Lauenburg (Kreis Herzogtum Lauenburg) lebt, dass sie endlich eine Diagnose hat. Ein Ärztemarathon über mehrere Jahre liegt bereits hinter ihr. „Ich habe mich selten ernst genommen gefühlt“, sagt die 18-Jährige. Sie wird auf Lebensmittelunverträglichkeiten getestet, verzichtet auf Zucker, Milch, Weizen, Zitrusfrüchte. Nichts hilft. Immer wieder vermuten Ärzte, sie sei umgeknickt, wenn ihr Fußgelenk geschwollen ist, auch wenn sie beteuert, das sei sie nicht.
„Die Freude über die gesicherte Diagnose hielt einen Tag“, sagt sie. „Dann wurde mir klar, was sie bedeutet.“ Auf die Diagnose folge häufig eine Phase der Trauer und der Verzweiflung, sagt Kerstin Bennecke, Vorsitzende und Gründerin des Vereins RheumaKinder in Elmshorn. „Man fragt sich, warum die Krankheit nicht früher erkannt wurde.“ Als Mutter zweier an Rheuma erkrankter Kinder weiß sie, wovon sie spricht.
Unter Ex-HSV-Trainer Titz hilft RheumaKinder Betroffenen
Im Juni 2016 gründet die Elmshornerin die RheumaKinder. Schirmherr ist seit 2018 Ex-HSV-Trainer Christian Titz, dessen Sohn ebenfalls unter Rheuma leidet. Mittlerweile zählt der Verein 86 Mitglieder. Hilferufe kommen aus ganz Deutschland. „Wir bieten individuelle Betreuung an, begleiten bei Schulgängen und Arztbesuchen oder besorgen Therapieroller. Oder ermöglichen Familien einen Urlaub. Oder trösten am Telefon.“
Mit ihrer Arbeit möchten Bennecke und ihre Mitstreiter über die Krankheit aufklären. „Rheuma bei Kindern ist nicht leicht zu erkennen“, sagt die Vereinsvorsitzende. Insbesondere bei Kleinkindern sei der Unterschied zwischen Babyspeck und geschwollenen Gelenken nicht sofort sichtbar. Zudem gilt Rheuma als Alte-Leute-Krankheit. „Rheuma kann bei Kindern nicht über die Blutwerte festgestellt werden, sondern mithilfe von MRT-Bildern und Ultraschall“, sagt sie.
Über die Ursache weiß man trotz intensiver Forschungen wenig. Der rheumatische Schmerz bei Kindern wird manchmal mit Wachstumsschmerzen abgetan. „Die hören in der Regel aber mit drei Jahren auf“, sagt Bennecke. Wenn Kleinkinder nicht laufen mögen und viel verlangen, getragen zu werden, ein Bein eventuell steifer ist als das andere oder es bereits zu einer Fehlstellung der Füße gekommen ist, sollten Eltern aufmerken. Auch Schuppenflechten und empfindliche Haut können Hinweise sein.
Aufklärungsarbeit, Ferienfreizeit und Erholungsstätte
Der Verein hat weitreichende Pläne. „Wir möchten verstärkt Vorträge an Kitas anbieten, um zu sensibilisieren“, sagt Bennecke. Außerdem sollen Wochenenden organisiert werden, an denen sich Eltern von Rheumakindern austauschen können. Für die Kinder soll es eine erste Ferienfreizeit geben.
Das größte Projekt: „Wir möchten eine Erholungsstätte für die Betroffenen schaffen. Wir verifizieren derzeit verschiedene Grundstücke, auf denen wir bauen könnten.“ Es soll ein Rückzugsort für Eltern und Geschwister sein, die im Alltag manchmal auf der Strecke bleiben. „Wann wir unsere Pläne umsetzen können, hängt von der Spendenbereitschaft der Menschen ab. Aber ich hoffe, wir schaffen die Eröffnung in drei oder vier Jahren.“
Wie RheumaKinder Judiths Leben erleichtert
Judiths Alltag ist bestimmt von Arztbesuchen und chronischen Schmerzen. Auch ihre schulischen Leistungen leiden darunter. Hat sie einen Rheumaschub, kommt sie nicht aus dem Bett. Ihre Gelenke sind steif, und sie hat starke Schmerzen. Besonders empfindlich reagiert sie auf kaltes und feuchtes Wetter. Dann wird das Öffnen einer Wasserflasche oder eines Hosenknopfes zur großen Herausforderung.
„Es ist schwer auszuhalten, sein Kind so leiden zu sehen“, sagt Judiths Mutter Eva-Maria Willers. Lange recherchiert sie und fährt mit Judith von einem Arzt zum nächsten, ohne dass jemand helfen kann. Dann stößt sie auf RheumaKinder, nimmt Kontakt auf. „Frau Bennecke hat mir zwei Stunden lang am Telefon zugehört, Fragen beantwortet und mich getröstet“, sagt die 56-Jährige. „Ich wüsste nicht, wo wir ohne den Verein wären.“
Hoffnungen in die Zukunft und das neue Medikament
Auch wenn Judith oft Unterricht verpasst, möchte sie in anderthalb Jahren das Abitur machen. Sie arbeitet mit einem speziellen Laptop mit Spracherkennung. Weil sie keinen Stift lange halten kann, diktiert sie. „Ich schreibe nur Notizen in mein Hausaufgabenheft von Hand.“ Mehr schafft sie nicht, sonst strahlen die Schmerzen in den Finger- und Handgelenken in den Arm, von da in den ganzen Körper aus.
Leistungssport wird Judith wohl nie wieder machen können. Ein großer Einschnitt in ihrem Leben. Die Aktivität und die Freude, die sie beim Training und bei Wettkämpfen empfand, fehlen ihr. „Ich war Läuferin, aber die Erschütterung ist für meine Knie zu schmerzhaft.“ Schwimmen wäre gelenkschonend, doch wegen ihrer Neurodermitis verträgt sie kein Chlor.
Dennoch hat Judith wieder Hoffnung. „Das neue Medikament scheint gut zu wirken“, sagt die 18-Jährige. Um das mit Sicherheit sagen zu können, muss sie es mindestens drei Monate lang nehmen. In der Vergangenheit reagierte sie auf einige Medikamente heftig mit Erbrechen und Haarausfall. „Das Einzige, das unter dem Rheuma nicht gelitten hat, sind meine sozialen Kontakte“, sagt Judith. Ihre Freunde sitzen regelmäßig an ihrem Bett. „Wenn wir ein Brettspiel spielen, setzen sie die Figuren für mich.“ Sie weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.