Kreis Pinneberg. Landesstudie belegt, dass Warneinrichtungen an Straßen wirken. Auch Kreisjägerschaft beobachtet Rückgang der Unfallzahlen mit Tieren.

Das Rehwild in Schleswig-Holstein scheint sich anders zu verhalten als im Rest der Republik. Diese – wohl abwegige – Aussage könnte man aus einer neuen Untersuchung schließen, die der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft jetzt vorgelegt hat. Danach haben die blauen Reflektoren, die in großer Zahl meist von örtlichen Jägern an die Leitpfosten von Straßen mit viel Wildwechsel angebracht worden sind, keinerlei Auswirkung auf das Unfallgeschehen.

Dem steht jedoch eine groß angelegte Studie aus Schleswig-Holstein entgegen, an dem sich unter anderen das Umweltministerium in Kiel, der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr, der Landesjagdverband und der ADAC beteiligt haben. Danach ist an 28 untersuchten Straßen, darunter auch die B 4 im Kreis Pinneberg, im Zeitraum 2011 bis 2015 die Zahl der Wildtier-Unfälle bei den mit blauen Reflektoren ausgestatteten Straßenpfählen um durchschnittlich 63 Prozent zurückgegangen.

Diese Angaben decken sich mit den Angaben des Jagdverbandes, erklärt Hans-Albrecht Hewicker, ehemaliger Naturschutzbeauftragter des Kreises Pinneberg, Obmann für Wildtiererfassung der Kreisjägerschaft und Vorsitzender des Arbeitskreises für Schalenwild des Landesjagdverbandes. So sei es heute für ein Rehwild weitaus unwahrscheinlicher von einem Auto getötet zu werden als noch vor 30 Jahren. 1990 war nach seinen Angaben für jede dritte Todesursache eines Wildtieres in Schleswig-Holstein (32,6 Prozent) ein Verkehrsunfall ursächlich. 2015 war es nur noch bei jedem fünften toten Reh (19,7 Prozent) der Fall. Der Anteil der Unfälle an den Todesfolgen ist also um fast 40 Prozent gesunken. „Die blauen Reflektoren haben nach unserer Beobachtung eindeutig zu dieser Entwicklung beigetragen“, ist Hewicker überzeugt.

Fernlicht hilft, Wild rechtzeitig zu erkennen

Als erstes sollten Autofahrer die Schilder Wildwechsel an den Straßen ernst nehmen und langsamer fahren und aufmerksam sein, rät Hans-Albrecht Hewicker. Wenn ein Tier über die Straße laufe, folgten oft weitere.

Bei Dunkelheit unbedingt das Fernlicht anlassen, weil der Autofahrer dann das Wild schon aus der Ferne an den leuchtenden Augen der Tier erkennen könnte. Erst wenn das Tier unmittelbar vor dem Fahrzeug auf der Straße stehe, abblenden, vorher nicht (!), warnt Hewicker.

Wenn sich die Autofahrer daran hielten, würde die Zahl der Wildunfälle noch viel weiter sinken, als es bisher die Reflektoren könnten. Aber leider würde in den Fahrschulen immer noch der falsche Rat gegeben, grundsätzlich an Wildtierstrecken abzublenden, ärgert sich der Experte.

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Diese Auffassung vertritt auch der Kreisjägermeister Wolfgang Heins, der zugleich Präsident des Landesjagdverbandes Schleswig-Holstein ist, und macht dies an dieser Statistik fest: Im Jahr 2005 gab es landesweit 15.841 Wildunfälle mit Rothirsch, Reh oder Wildschwein. Bis 2015 verringerte sich diese Zahl um ein Viertel auf 11.790 Unfälle. „Diesen enormen Rückgang kann sich die Jägerschaft des Landes auf die Fahnen schreiben“, sagt Heins und nennt dafür zwei Gründe: „Wir haben landesweit an unfallträchtigen Straßen Reflektoren an den Leitpfosten montiert und konsequent an Unfallschwerpunkten Rehwild bejagt.“

Wie aber kann die Unfallforschung des Versicherungsverbandes nun zu ganz anderen Schlüssen kommen? Nach dessen Studie gab es 2334 Wildtierunfälle mit verletzten Personen 2017 in ganz Deutschland, was einem Anteil von 2,5 Prozent aller Unfälle mit Personenschäden entspricht, die außerorts passiert sind. 150 Straßenabschnitte in vier Landkreisen (Göttingen, Höxter, Kassel und Land-Dill) in drei Bundesländern wurden jeweils zwei Jahre lang untersucht und dabei knapp 2000 polizeilich erfasste Wildtierunfälle registriert. Dabei sei ein Rückgang der Unfallzahlen aufgrund der blauen Reflektoren „weder erkennbar noch statistisch nachweisbar“ gewesen, lautet das Fazit dieser aktuellen Studie.

Doch für Hewicker ergeben sich durchaus Zweifel daran. Zum einen beruhe diese Untersuchung auf polizeilichen Unfallzahlen, die aber nicht wie die Jäger zu allen Wildtierunfällen gerufen würden und somit nicht alle Unfälle mit Wild erfassten. Und zum zweiten sei Bergland bei dieser Frage längst nicht so aussagekräftig wie das flache Land in Schleswig-Holstein. So sei die untersuchte Strecke bei Göttingen, die er kenne, von einem Berghang gekennzeichnet, bei dem es auf der einen Seite steil nach oben, auf der anderen steil nach unten gehe. „Dann wirken die Reflektoren natürlich nicht, weil der Lichtstrahl die Tiere gar nicht erfasst.“

Darum vertraut Hewicker in dieser Frage der hier erstellten und erwähnten Studie und den Beobachtungen der Jägerschaft, die einen eindeutig positiven Effekt dieser blauen Reflektoren als Unfallsenker annehmen ließen.

„Erfinder“ des Einsatzes von Reflektoren

Der Kreis Pinneberg sei ohnehin „der Erfinder“ des Einsatzes von Reflektoren gegen Wildtierunfälle, berichtet Hewicker. So habe der ehemalige Vorsitzende der Kreisjägerschaft und ihr Ehrenvorsitzender, Hans Hackländer, bereits in den 1970er-Jahren damit experimentiert. Er setzte stark reflektierende Teile von Stoßstangen eines bestimmten Autotyps an die Leitpfosten unfallträchtiger Straßen, die seiner Meinung nach die Zahl der Wildtierunfälle reduzierten. Daraus entwickelte sich dann später das Montieren von zunächst roten und später blauen Reflektoren, da Blau, wenn es bei Dunkelheit vom Scheinwerferlicht eines Autos angestrahlt wird, für Rehwild als Warnsignal wahrgenommen wird und es so in vielen Fällen vom Überqueren der Straße abhält. Im Kreis Pinneberg sind mittlerweile an neun der 18 Kreisstraßen diese Reflektoren von den Jägern angebracht worden.