Kreis Pinneberg. Wissenschaftler: Reflektoren am Straßenrand halten Tiere von Straße fern. Doch Polizei in Stormarn verzeichnet mehr Zusammenstöße.

Von einer Sekunde auf die nächste springt das Tier auf die Straße. Auch mit einer Vollbremsung kann ein Zusammenstoß nicht mehr verhindert werden – mit Beginn der dunklen Jahreszeit kommt es vermehrt zu Unfällen zwischen Autofahrern und Rehen, Rot- und Damwild oder Wildschweinen.

Blaue Halbkreisreflektoren sollen solche Unfälle verhindern helfen. In den vergangenen Jahren wurden sie an viele Leitpfosten an den Straßen des Kreises Pinneberg geschraubt. Das Scheinwerferlicht der Autos reflektiert das blaue Licht in den Wald. Und weil blaues Licht in der Natur nicht vorkommt, schrecken die Tiere davor zurück. Soweit die Theorie.

Doch sorgen die Reflektoren tatsächlich für einen Rückgang der Wildunfälle? „Ja“, sagt Marcus Meißner, Geschäftsführer des Instituts für Wildbiologie Göttingen und Dresden. Das Institut hat in den Jahren 2011 bis 2015 auf 16 Teststrecken in Schleswig-Holstein die Wirksamkeit der blauen Rückstrahler untersucht. Das Ergebnis wird in den nächsten zwei Wochen vorgestellt.

Dennoch verriet Meißner dem Abendblatt, dass auf den Teststecken zwischen Itzehoe und Heiligenhafen die Zahl der Unfälle deutlich zurückgegangen ist. „Es gibt Strecken, auf denen wir einen Rückgang von 41 Prozent verzeichnen, auf anderen sogar von 85 Prozent“, sagt Meißner. Im Durchschnitt ist die Zahl der Wildunfälle im Vergleich zu den Vorjahren somit um 63 Prozent zurückgegangen.

Für die Untersuchung wurde das Institut von einer Projektgruppe beauftragt, zu der unter anderem der ADAC, das schleswig-holsteinische Umweltministerium und der Landesjagdverband gehören.

Oberster Jäger im Land ist Wolfgang Heins aus Lutzhorn. Laut seiner Bilanz sind landesweit inzwischen mehr als 50.000 Reflektoren an Leitpfosten angebracht worden. Kreisweit seien viele Kreisstraßen damit ausgestattet – mit Ausnahme der K 5 in Bönningstedt. Und es gibt weitere Ausnahmen – etwa in geschlossenen Ortschaften. Davon berichtet der Jäger Hermann Maaß-Hell, der bis Frühjahr 2016 den Hegering zwischen Barmstedt und Elmshorn leitete. Gerade in kleineren, nicht durchgängig bebauten Orten gebe es alte Wildpfade,wo es immer wieder zu Unfällen komme. Ein Beispiel sei der Ortsteil Offenau von Bokel.

„Da gibt es jedes Jahr fünf bis sieben Unfälle“, weiß Maaß. Doch innerhalb der geschlossenen Ortschaften gebe es keine Leitpfosten, um die Reflektoren anzubringen. „Wir hatten uns bereit erklärt, selbst die Leitpfosten anzubringen, haben dafür aber keine Genehmigung erhalten“, so Maaß. Und er sagt weiter: „Uns wurden nur Knüppel zwischen die Beine geworfen.“ Dennoch wollen Maaß und Co. weitermachen. 300 fehlende Reflektoren sollen mittelfristig noch verbaut werden.

Auch Andreas Schober, Geschäftsführer des Landesjagdverbandes, ist von der Wirkung der blauen Prismen überzeugt, gibt jedoch zu bedenken, dass diese natürlich nur bei Dunkelheit wirken können. „Damwild zum Beispiel ist eher tagaktiv, somit sind Unfälle mit diesen Tieren weniger rückläufig“, sagt Schober, der auch eine Erklärung dafür hat, warum auf einigen Strecken die Zahl deutlich rückläufig ist, auf anderen weniger: „Je größer der Abstand zwischen Straße und Wald, desto besser wirken die Reflektoren“, sagt Schober.

Denn das blaue Licht könne dann besser in den Wald abgestrahlt werden. Warum es ausgerecht jetzt im Herbst vermehrt zu Wildunfällen kommt, kann der Geschäftsführer des Landesjagdverbands ebenfalls erklären: „Zum einen fällt jetzt die Dämmerung, also der Zeitpunkt, zu dem Rehe oder Rotwild aktiv werden, in die Hauptverkehrszeit.“ Zum anderen werden die Felder abgeerntet, sodass die Tiere auf der Suche nach Nahrung größere Strecken zurücklegen müssten und dabei auch vermehrt Straßen überqueren. Andreas Schober: „Zudem ist bei Rot- und Damwild jetzt Brunftzeit. Die Tiere laufen von einem Wald in den nächsten auf der Suche nach einem Partner.“ Auch im Frühjahr steigt die Zahl der Wildunfälle. Zum einen, weil es während des Berufsverkehrs wieder dämmert und weil dann sogenannte Einstiegskämpfe stattfinden. Junge Rehböcke werden aus Revieren vertrieben und suchen sich ein eigenes Territorium.

Im Jahr 2014 zählte die Polizei im Kreis Pinneberg 217 Wildunfälle. „Im vergangenen Jahr ist diese leicht gesunken“, weiß Polizeisprecher Nico Möller. 2015 wurden demnach 181 Wildunfälle aktenkundig, in diesem Jahr waren es bisher 123. Möller appelliert an alle Autofahrer, die Warnschilder „Wildwechsel“ ernst zu nehmen und mit angepasster Geschwindigkeit zu fahren. Ferner sollten sich Autofahrer nicht in Sicherheit wiegen, wenn blaue Rückstrahler an den Leitpfosten angebracht sind.

Das sagt auch Jäger Hermann Maaß-Hell. „Die Reflektoren wirken ja nur bei Dunkelheit.“ Nach seiner Beobachtung komme es inzwischen tagsüber vermehr zu Wildunfällen. „Häufig sind es Hunde ohne Leine, die Wild aufschrecken und dieses auf die Straße treiben.“ Maaß glaubt, dass auch Wölfe im Kreis aktiv sind und das Wild auf die Straße jagen.