Pinneberg. Die Pinneberger Einrichtung feiert ihr 30-jähriges Bestehen an diesem Donnerstag mit einer Postkarten-Aktion im Stadtzentrum.
Alle 60 Stunden stirbt in Deutschland eine Frau an einer Beziehungstat. Eine alarmierende Zahl. Zudem ergab eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, dass 40 Prozent der Frauen in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Zu Recht fürchten solche Frauen also um Leib und Leben. Sie sind es, die in Frauenhäusern vorübergehend Zuflucht finden. Drei davon mit insgesamt 58 Plätzen gibt es im Kreis, das autonome Frauenhaus Pinneberg feiert an diesem Donnerstag sein 30-jähriges Bestehen.
Silke Lechterbeck arbeitet dort seit 15 Jahren. Sie kennt die typischen Geschichten, sie weiß, dass die Erfahrung zeigt: Es wird nichts mehr besser, wenn ein Mann eine Frau erst mal regelmäßig schlägt, zwanghaft kontrolliert oder sogar vergewaltigt. Und dass so etwas „in allen Schichten und bei allen Nationalitäten vorkommt“ und mitnichten schlimmer wurde, seit mehr Menschen eingewandert sind.
Frauen, die es schaffen, aus dieser unhaltbaren Situation zu fliehen, kommen zu ihr und ihren beiden Mitstreiterinnen ins Pinneberger Frauenhaus und erhalten einen der 15 Plätze. Der Standort wird streng geheimgehalten. Wer dort unterkommt, wird gestärkt und zur Selbsthilfe animiert, rechtlich beraten, muss aber auch Aufgaben wie den 24-Stunden-Telefondienst erfüllen. Seit einiger Zeit gibt es aber ein gravierendes Problem: „Wir müssen jetzt häufiger Frauen abweisen“, bedauert Silke Lechterbeck. Grund dafür ist, dass solche Frauen, insbesondere mit Kindern, außerdem Migrantinnen oder sozial Schwächere „seit vielen Jahren erhebliche Probleme haben, zeitnah bezahlbaren Wohnraum“ zu finden“, so Wolf Gehrmann, Pressesprecher im Justizministerium des Landes Schleswig-Holstein. Die Folge: „Frauen können nicht aus dem Frauenhaus ausziehen und belegen Plätze, die eigentlich schutzbedürftigen Frauen vorbehalten sind“, sagt Gehrmann. Und: „Im Jahr 2017 mussten insgesamt 4680 Frauen und Kinder abgewiesen werden.“ Selbst wenn diese Zahl Frauen einschließt, die bei mehreren Häusern Hilfe gesucht haben, ist sie hoch.
Die Belegung der Häuser soll entzerrt werden
Den größten Bedarf sieht das Ministerium derzeit bei der Entlastung und Sanierung der Häuser. 2018/19 stehen dafür rund drei Millionen Euro zur Verfügung. Auch das Wohnungsproblem wurde erkannt: Mit dem relativ neuen Projekt „Frauen_Wohnen“ sollen Frauen, die keinen akuten Schutzbedarf mehr haben, bei der Suche nach Wohnraum „schnell und unkompliziert unterstützt werden“, so Gehrmann. Von 2018 bis 2022 stehen dafür jährlich 800.000 Euro zur Verfügung. Es solle damit „die Frauenhausbelegung entzerrt werden“. Sechs Anlaufstellen gibt es, zwei davon im Kreis: das Diakonische Werk Hamburg-West/Südholstein und das in Rantzau-Münsterdorf.
Hier finden bedrohte Frauen Hilfe
Das Frauenhaus Elmshorn erhält 2018 vom Land 377.890 Euro Unterstützung und hat 28 Plätze, Wedel und Pinneberg bekommen jeweils rund 191.100 beziehungsweise 192.700 Euro bei je 15 Plätzen. Kleinere Beträge kommen über das Hamburger Verwaltungsabkommen hinzu. Konkret wird die Arbeit in Pinneberg mit zweieinhalb Stellen erledigt. Deshalb sagt Silke Lechterbeck: „Wir könnten eine Stelle mehr und auch mehr Geld gebrauchen.“ Geht etwa eine Waschmaschine kaputt, helfen Spenden: 24 weibliche Mitglieder tragen den Verein Frauenhaus Pinneberg und verteilen an diesem Donnerstagvormittag Postkarten vor der Drostei.
Die Frauenhäuser kooperieren mit Polizei und Rechtsmedizin
Jahrelange beharrliche Arbeit, regelmäßige vernetzende Treffen, Austausch aller Beteiligten haben peu à peu zu solchen Einrichtungen und Verbesserungen geführt. Die Zusammenarbeit mit der Polizei, erzählt Silke Lechterbeck, „läuft sehr gut. Das war früher ganz anders, weil solche Fälle privatrechtlich behandelt wurden. Heute werden wir sehr ernst genommen. Die Polizei wurde extra geschult und geht sensibel vor.“ Auch kooperieren die Frauenhäuser mit einer Rechtsmedizinerin, die das Ausmaß von Körperverletzungen festhalten muss. Sie ist in der Lage, die körperlichen Spuren solcher Übergriffe gerichtsverwertbar nachzuweisen. Viele Frauen hätten nämlich noch immer Angst, Anzeige zu erstatten, besonders, wenn der Schläger der Vater ihrer Kinder sei.
Frauen haben in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Rechte erstritten, beginnend mit dem Frauenwahlrecht, das vor 100 Jahren eingeführt wurde. Darauf weist Deborah Azzab-Robinson hin, die in Pinneberg als Gleichstellungsbeauftragte arbeitet. Der in der Verfassung verankerte Gleichheitsgrundsatzes sei noch längst nicht durchgesetzt, er bedeute, dass Frauen ebenso wie Männer ein Recht auf ein selbstbestimmtes, gewaltfreies Leben und die eigene Sexualität hätten, „und genau darin sind Frauen, die ins Frauenhaus flüchten, verletzt worden. Darum unterstütze ich die Frauenhäuser und vermittle den Wert ihrer Arbeit in der Öffentlichkeit und in der Politik.“
Rechtlich, sagt Azzab-Robinson, sei noch längst nicht alles Notwendige durchgesetzt. Immerhin wurde 1997 die Vergewaltigung in der Ehe verboten, und seit 2016 gilt die Regel „Nein heißt Nein“ im Falle des Nachweises sexueller Übergriffe. Um der Gewalt gegen Frauen noch konsequenter begegnen zu können, wünscht sie sich die Frauenquote, „sie wäre ein großer Garant dafür, das Thema nochmal anders anzugehen“.
Silke Lechterbeck indessen freut sich neben der vielen emotionalen und behördlichen Arbeit auch über schöne Momente: Wenn die Frauen, die früher einmal Zuflucht bei ihr gesucht haben, zurückkommen und erzählen, wie sie ihren eigenen Weg gegangen sind, Arbeit und Wohnung gefunden und es geschafft haben, sich dauerhaft aus einer destruktiven Beziehung zu lösen.