Pinneberg. Karl-Heinz Boyke kämpft als Lobbyist der Bildenden Künstler dafür, dass das Land Kunst am Bau wieder finanziell fördert.

Nach einem Aufruf der Stadt Pinneberg, Kunst kostenlos zur Verfügung zu stellen, um die Stadt zu verschönern, regt sich unter hiesigen Künstlern Empörung. „Kunst darf kein Pool der Ausbeutung sein“, sagt Karl-Heinz Boyke, Vorstandsmitglied des Berufsverbandes der Bildenden Künstler (BBK) in Schleswig-Holstein. Im Interview mit dem Abendblatt erklärt er, warum Kunst für die Gesellschaft so wichtig ist und finanziert werden muss.

Sie sind seit 2014 ehrenamtlich im Vorstand des BBK Schleswig-Holstein tätig und dort zuständig für die Kunst im öffentlichen Raum. Warum ist Kunst im öffentlichen Raum wichtig?

Karl-Heinz Boyke: Kunst ist sehr wichtig, auch wenn sie vielerorts nicht sofort verstanden wird. Dies gilt für traditionelle Werke, als auch für die aktuelle konzeptionelle Kunst. Sie spiegelt die gesellschaftliche Entwicklung wieder. Kulturgut zu erhalten, ist eine wichtige Aufgabe unserer Gesellschaft. Kunst im öffentlichen Raum bereichert das Stadtleben, aber auch die ländliche Region. Kunst ist nicht nur Dekoration, sie steht für Erfindung und Innovation. Sie beeinflusst viele gestalterische Bereiche wie Architektur, Werbung, Mode, Film, aber auch Wissenschaft, Wirtschaft und das soziale Leben. Gesellschaft braucht kreative Schübe.

Wie sieht Ihre Arbeit beim BBK aus?

Zu meinen Aufgaben gehört es, Städte, Gemeinden und öffentliche Bauträger in künstlerischen Dingen zu beraten. Kunstprojekte, Wettbewerbe und Ausschreibungen begleite ich auch. An Projekten lief zunächst so gut wie gar nichts, denn das Land hat sich seit Jahren aus der Finanzierung der früheren „Kunst am Bau“, jetzt „Kunst im öffentlichen Raum“ zurückgezogen. Jetzt versuche ich bei Politikern ein Bewusstsein zu schaffen, dass die Kunst im öffentlichen Raum eine wesentliche öffentliche Aufgabe ist, die die Gesellschaft bereichert und die finanziell gefördert werden muss. Es ist Lobbyarbeit, langsam werde ich scheinbar zum Politiker. Zunächst musste ich mich in politische Strukturen einarbeiten, um sie zu verstehen. Wenn man aber Menschen für sich gewinnen kann und kleine Erfolge erlebt, macht es auch Spaß.

Was muss sich aus Ihrer Sicht politisch ändern?

Es ist ja nicht so, dass sich nur Ignoranten in der Politik befänden. In den Programmen der Parteien und in öffentlichen Statements bekennt man sich durchaus zum hohen Stellenwert der Kunst und der Kultur. Auch auf die Ausbildungsstätten im Land ist man stolz. Doch die Kunsthochschulen entlassen jedes Jahr viele Abgänger als Künstler in den Markt. Vielleicht vier Prozent der Absolventen können später in dem Bereich dauerhaft arbeiten und sogar davon leben. Die Hochschulen sind Durchlauferhitzer fürs Jobcenter, wenn der Staat qualifizierten Künstlern keine Chancen eröffnet. Künstler sollten sich beweisen dürfen, dafür müssen aber Aufgabenfelder geschaffen und finanziert werden. Seit sechs oder sieben Jahren fließen nur noch Kleckerbeträge in die Projekte der Bildenden Kunst in Schleswig-Holstein. Schöne Worte und kulturpolitische Wertschätzungen in Parteiprogrammen reichen hier nicht aus. Es müssen Finanzierungswege beschlossen werden, damit auch die Entwicklung der Kunst in der Gesellschaft wieder sichtbar wird.

Warum ist es so schwierig, für Kunst im öffentlichen Raum Gelder zu bekommen?

Der Erlass zur finanziellen Förderung von Kunst am Bau von 1994 ist zu einem Muster ohne Wert geworden. Die Politik fühlt sich nicht mehr an ihn gebunden, im Wesentlichen wegen der angeblichen knappen Kassen. Finanz- und Innenministerium weigern sich seit Jahren, diese Regelung wieder anzuerkennen. Man spricht aber auch von einem irritierenden Erlass, da es in ihm heißt: Es werde die Anwendung der Regelung empfohlen. Doch zum Ende werden Sanktionen angedroht, bei Nichteinhaltung. Wer stülpt sich aber freiwillig das enge Korsett der Sanktionen über, wenn man es nicht muss? Die Folge ist, dass sich viele Bauträger, auch bei der Zuwendung von öffentlichen Geldern, bei der Finanzierung von Kunst zurückhalten. Drei Ministerien müssten den Erlass anpassen und ihn dann auch anerkennen. Es ist eine der Aufgaben des BBKs, auf die Politik einzuwirken, Projekte für die Künstler im größeren Umfang zu finanzieren.

Und haben Sie Erfolg?

Wir haben in Kiel einen kleinen Etappensieg errungen. Die Stadt Kiel hat per Ratsbeschluss festgelegt, dass ab 2018 bei Investitionen im Hoch- und Tiefbau in der Landeshauptstadt Kiel Mittel im Umfang von 0,3 Prozent der Bruttobaukosten in einen Projekt-Fonds für „Kunst im öffentlichen Raum“ eingezahlt werden. Aus dem Fonds wird Kunst im öffentlichen Raum, also temporäre oder dauerhafte künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum und Kunst am Bau, finanziert. So kommen im Jahr etwa 100.000 Euro zusammen. Bei der Auswahl der Projekte und deren Umsetzung wird der BBK in einer Fachkommission mitwirken.

Ein Impuls auch für andere Städte?

Dieser Durchbruch gibt uns beim BBK-Schleswig-Holstein schon einen freudigen Adrenalinschub. Wir werden versuchen, mehr Städte von diesem Konzept zu überzeugen. Auch für Pinneberg wäre es eine Option, auf diesem Weg das Stadtbild mit Kunst zu bereichern. Es gibt hier sogar einen Ratsbeschluss, Kunst öffentlich zu installieren, nur sollen die Künstler ihre Werke dafür ohne Bezahlung hergeben. Das kann ja wohl nicht richtig sein.

Gab es mal bessere Zeiten für Künstler?

Auf jeden Fall. Von den 60ern bis in die 90er Jahre hinein, gab es fette Jahre für Künstler in Schleswig-Holstein. Der Künstler Walter Arno aus Seeth-Ekholt hätte damals seine riesige Werkstatt und sein umfangreiches Werk ohne das Kunst-am-Bau-Programm niemals so aufbauen können. Im Augenblick ist die Situation für Künstler geradezu dramatisch, es gibt für sie kaum Betätigungsfelder. Die Entwicklung ist fatal. Uns geht das Potenzial vieler kreativer junger Menschen verloren, denn nicht selten wird ein Künstler gezwungen, einen anderen Beruf auszuüben. Das hat eine Gesellschaft, die sich Kulturgesellschaft nennt, nicht verdient. Unser Kapital ist aber der kreative Prozess. Deutschland lebt von Erfindungen und nicht mehr vom Kohleabbau.