Quickborn. Dass die Handwerkskammer seine Ausbildung anerkennt, wird für Harutyun Hunanyan zum Verhängnis: Er muss Deutschland verlassen.

Er spricht gut Deutsch, er ist in Quickborn bestens integriert, er arbeitet seit dem Sommer in Hamburg als Zahntechniker in einem Beruf, in dem hierzulande Fachkräftemangel herrscht. Trotzdem soll Harutyun Hunanyan (25), der 2015 mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Gevorg aus Armenien geflüchtet ist, jetzt in sein Heimatland abgeschoben werden. Besser gesagt: nicht trotzdem. Sondern deshalb.

Die Ausländerbehörde des Kreises Pinneberg hat Hunanyan aufgefordert, bis zum kommenden Montag das Land zu verlassen. Sein Bruder dagegen darf bleiben, weil er nicht arbeitet, sondern in Quickborn eine Ausbildung zum Zimmermann absolviert.

„Dieser Fall zeigt, wie grotesk unser Ausländerrecht ist“, sagt Hunanyans Anwalt Stefan Taschjian, der zurzeit mit allen rechtlichen Mitteln versucht, die drohende Abschiebung seines Mandanten aus Quickborn noch zu verhindern. „Hier soll ein junger Mann ausgewiesen werden, obwohl es unserem Land volkswirtschaftlich schadet“, sagt der Jurist. Zahntechniker würden auf dem Arbeitsmarkt dringend gesucht. Aber das spiele für die Ausländerbehörde keine Rolle.

Ganz anders verhalte es sich nach dem deutschen Ausländerrecht bei Auszubildenden wie Hunanyans Bruder Gevorg, erklärt Anwalt Taschjian die gültige Rechtslage. Der werde selbst als abgelehnter Asylbewerber geduldet, weil er hier in Deutschland einen Beruf erlerne. Anschließend könne er sogar eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekommen, sofern ihn sein ausbildender Betrieb als Geselle übernehme, erläutert der Anwalt.

Er hat die Zahntechnikerlehre 2013 und 2014 absolviert

Insofern werde Harutyun Hunanyan nun zum Verhängnis, dass seine Zahntechniker-Ausbildung aus Armenien von der Handwerkskammer Lübeck bereits anerkannt worden ist und er deshalb als vollwertige Fachkraft in einem Hamburger Unternehmen Anstellung gefunden hat.

Für die Anerkennung der Ausbildung hat der ehemalige Manager eines großen Gabelstapler-Herstellers, Winfried Deckers, gesorgt. Der Quickborner Rentner suchte nach dem plötzlichen Tod seiner Frau nach einer neuen Aufgabe und verschrieb sich der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe. „Meine Frau hat sich ehrenamtlich in der Kirchenarbeit und als Jugendschöffin engagiert“, sagt Deckers. „Sie hat mich in sozialer Kompetenz ausgebildet.“

Da er wegen seiner langjährigen Aufenthalte im europäischen Ausland und in Brasilien fließend Spanisch, Englisch, Französisch und Portugiesisch spricht, beteiligte sich Deckers zunächst an den Sprachkursen.

Inzwischen hat er 30 Asylbewerber aus Quickborn, Pinneberg und Hasloh unter seine Fittiche genommen, um ihnen Ausbildungsstätten und feste Jobs zu vermitteln – was ihm bei einem Viertel der Betroffenen bereits geglückt sei.

Anerkennung der Ausbildung hat 1000 Euro gekostet

So auch bei den Brüdern Hunanyan, wobei ihm nun bei dem Älteren „der Fehler“ unterlaufen sei, dass dessen Zahntechniker-Ausbildung 2013 und 2014 im armenischen Ashtatrak von der Handwerkskammer Lübeck als „gleichwertig“ anerkannt worden sei. „Dass das diese Folgen haben kann, habe ich vorher nicht gewusst, sonst hätte ich das nicht gemacht“, sagt Deckers, der den Armenier so sehr in sein Herz geschlossen hat, dass er ihn sogar in seinem großen Haus aufgenommen hat. „Alle haben uns geraten, seine Ausbildung aus Armenien hier anerkennen zu lassen.“ Das sei offenbar ein Fehler gewesen. Immerhin 1000 Euro habe die Anerkennung den jungen Asylbewerber gekostet.

Die Rechtslage

In Paragraf 60 a des Aufenthaltsgesetzes zur Integration von Ausländern heißt es: „Eine Duldung wegen dringender persönlicher Gründe im Sinne von Satz 3 ist zu erteilen, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat“.

Die „Duldung erlischt, wenn die Ausbildung nicht mehr betrieben oder abgebrochen wird.“ Dann muss der Arbeitgeber dies umgehend der Ausländerbehörde mitteilen.

Auch qualifizierte Ausbildungen in Berufsfachschulen und Fachschulen fallen unter diese Regelung. Kürzere Helferausbildungen oder Einstiegsqualifizierungen führen nicht zu einer Duldung.

1/3

Dessen Arbeitgeber ist begeistert von ihm: „Alle, die mit Harutyun Hunanyan arbeiten, sind sehr zufrieden mit ihm, ob fachlich oder menschlich“, sagt Christian Lang von der Dental Material Gesellschaft, die in Hamburg 350 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir alle würden ihn liebend gern behalten. Wir hätten Harutyun Hunanyan auch eingestellt, wenn er beispielsweise aus Heidelberg gekommen wäre.“

Harutyun Hunanyan möchte auch gern in Deutschland bleiben. Nicht nur wegen seines Bruders und der tollen Arbeit in Hamburg, die ihm sehr viel Spaß mache. Es drohe ihm auch in Armenien eine Gefängnisstrafe, weil er sich dort „mit der korrupten Polizei“ angelegt habe und deshalb flüchten musste.

Die Kreisbehörde bestätigt den Fall, will sich aber zu dem laufenden Verfahren nicht konkret äußern. Kreissprecher Oliver Carstens bestätigt aber die Rechtslage, wie sie bereits Rechtsanwalt Taschjian erläutert hat, dass nämlich die laufende Berufsausbildung eines Asylbewerbers einen „Sonderfall“ seiner Duldung darstellen kann (siehe Infokasten), eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung dagegen nicht.