Pinneberg. Armenak Wartanow lebt in der Obdachlosen-Unterkunft an der Müssentwiete und fürchtet um sein Leben. Stadt Pinneberg handelt nun.

Der Weg ist verschlammt. Von der Wiese, die den blauen Wohncontainer umgibt, ist nach dem Regen und Schneeschauern vergangener Wochen nicht viel übrig. Armenak Wartanow stapft durch den Matsch, an schrottreifen Fahrrädern vorbei. Er kramt einen Schlüssel hervor. Dann öffnet er die Tür zu seinem Zuhause. Wartanow blickt auf knapp acht Quadratmeter. Auf sein Leben. Seit 2011 wohnt der 1997 aus der Ukraine zugewanderte Mann in der städtischen Obdachlosenunterkunft an der Müssentwiete, fernab der Pinneberger City. Zuletzt sei das Leben in dem Metallkasten die Hölle gewesen, so der 58-Jährige. Wartanow berichtet von Gewaltexzessen. Eine nebenan untergebrachte Frau attackiere ihn regelmäßig. Er fürchte um sein Leben. Stadt und Polizei bestätigen Zwischenfälle.

Eingeschlagene Scheiben zeugen von Gewalt

Die Notunterkunft an der Müssentwiete ist uralt. Schon seit Herbst 1999 werden dort Obdachlose untergebracht. Der Zustand ist desaströs, was offenkundig nicht zuletzt Bewohnern zuzuschreiben ist. Bei Wartanow etwa stapelt sich der Müll in den Ecken. Vor allem aber pfeift der Wind durch die „Wohnung“. Eingeschlagene Scheiben zeugen von Gewalt. Die Klobrille ist abgerissen, daneben liegt ein Ziegelstein.

Eine psychisch kranke Nachbarin raste regelmäßig aus, berichtet Wartanow. „Eines Nachts flogen Steine durch die Scheiben in mein Zimmer, während ich schlief“, sagt der 58-Jährige. Er habe voller Furcht im Inneren des Containers gesessen. „Ich dachte, die legt auch noch Feuer.“

Die Container stehen schon seit 1999 an der Müssentwiete
Die Container stehen schon seit 1999 an der Müssentwiete © HA | Andreas Daebeler

Im Pinneberger Rathaus ist bekannt, dass es an der Müssentwiete in den vergangenen Wochen zu Übergriffen gekommen ist. „Wir stehen in Kontakt mit der Polizei“, sagt Sprecherin Maren Uschkurat. Es werde an einer Lösung gearbeitet. „Herr Wartanow wurde vorerst in einer anderen Unterkunft untergebracht. Hier aus Platzgründen aber nur im Notzimmer. Wir sind derzeit auf der Suche nach einer anderweitigen adäquaten Unterkunft.“

Die schäbigen Container an der Müssentwiete stehen nur wenige Hundert Meter von einem nagelneuen Holzhaus für Wohnungslose entfernt. Dort haben Flüchtlinge eine Heimat gefunden, auf Sicht könnten auch Obdachlose dort unterkommen – so die ursprüngliche Planung. Warum im Jahr 2018 immer noch Menschen in abgewirtschafteten Containern untergebracht werden, wenn wenige Meter entfernt ein Haus gebaut wurde? Uschkurat hat Antwort: „Menschen, die in Containern untergebracht werden, haben sich leider in der Vergangenheit so verhalten, dass eine andere Unterkunft nicht in Frage kommt. Wir sind froh, auch solche Unterbringungsmöglichkeiten zu haben.“ Kümmert sich die Stadtverwaltung um die Containerstandorte? „Hausmeister fahren regelmäßig die Unterkünfte ab und schauen nach dem Rechten“, sagt Uschkurat.

Dass es für Kommunen nicht immer leicht ist, Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, angemessen unterzubringen – sicher ein schlüssiges Argument. Aber muss die Stadt nicht auch in solchen Fällen ihrer Fürsorgepflicht nachkommen und ein Gewaltopfer wie Armenak Wartanow vor Übergriffen anderer Obdachloser schützen? „Wir müssen Obdach zur Verfügung stellen. Bei schwierigen Fällen ist eine Umsetzung in schlichtere Unterkünfte ein Druckmittel“, skizziert Uschkurat die Situation. Erst das letzte Mittel sei die Räumung der zur Verfügung gestellten Unterkunft. Das sei jedoch rechtlich kaum umzusetzen, weil „eine Räumung auf die Straße erfolgen würde und die Person somit wieder obdachlos ist“.

Polizei schaltet zur Not den Amtsarzt ein

Eine kleine Küchenzeile im Inneren des Containers
Eine kleine Küchenzeile im Inneren des Containers © HA | Andreas Daebeler

Matthias Wieske ist Revierleiter bei der Pinneberger Polizei. Er bestätigt, dass es im Umfeld der Unterkunft an der Müssentwiete zu – nicht selten alkoholbedingten – Zwischenfällen gekommen ist. „Wir sind an der Müssentwiete immer mal wieder vor Ort und schreiben auch Strafanzeigen“, so Wieske. Werde eine Gefährdungslage erkannt, würden die Beamten entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das könne so weit gehen, dass Gewalttäter mit auf die Wache genommen werden. Zur Not werde der Amtsarzt informiert, der dann über eine eventuelle Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung entscheide. „Aber zuerst setzen wir in solchen Fällen auf Einsicht und Freiwilligkeit“, sagt Pinnebergs Polizeichef.

Offenkundig kann das Gewaltopfer Wartanow auf ein Ende der Leidenszeit hoffen. Die Tage im uralten Container könnten für ihn bald gezählt sein. „Nach derzeitigem Sachstand haben wir eine Wohnung für ihn in Aussicht“, bestätigt Rathaussprecherin Maren Uschkurat.

Derzeit lebt der 58-Jährige übergangsweise am Hindenburgdamm – auch dort stehen seit vielen Jahren Container, die Obdachlosen Schutz vor Wind und Kälte bieten.