Pinneberg. Mit dem Uhrmachermeister aus Pinneberg starten wir unseren Adventskalender. Er ist im Kreis einer der Letzten seiner Zunft.
Winzige Zahnräder, Lupen, filigrane Werkzeuge wie etwa Pinzetten, Schraubendreher und Feilen unterschiedlicher Größen liegen auf seiner Werkbank. Mit ruhiger Hand setzt Henning Bünger ein Rädchen ins Uhrwerk. Im rechten Auge klemmt die Lupe. Er weiß genau, wo welches Ersatzteil liegt. Jeder Handgriff sitzt. Hier kommt nichts weg. Das wäre auch nicht gut. „Wir kriegen nicht mehr alle Ersatzteile“, sagt der Uhrmachermeister aus Pinneberg. In seinem Geschäft ticken die Uhren im beruhigendem Gleichklang. Sie hängen an der Wand, stehen in Regalen, liegen auf Tischen. Im Kontrast dazu lärmt draußen die moderne Welt. Ein Laubbläser dröhnt, der Verkehr der vierspurigen Straße brettert vorbei. Dagegen scheint in Büngers Geschäft die Zeit still zu stehen – im übertragenen Sinne. Denn die Uhren, die nicht mehr ticken, erweckt er zu neuem Leben. Uhrmacherbetriebe wie der von Bünger findet man nur noch selten.
Als 30-Jähriger hatte er nach der Lehre zum Radio- und Fernsehmechaniker und der Zeit bei der Bundeswehr noch eine zweite Ausbildung zum Uhrmacher in Hamburg absolviert. „Ich wollte das Geschäft meiner Eltern weiterführen“, sagt der heute 55-Jährige. Die hatten 1962 das kleine Juweliergeschäft in Pinneberg am Damm eröffnet, Schmuck und Uhren verkauft und repariert. „Es sieht heute noch aus wie damals“, sagt er. Nur Bestecke hat er nicht mehr im Sortiment. Dafür fehlt der Platz. Auch der Verkauf von Schmuck lief schon mal besser. „Zum Glück, habe ich ein Handwerk gelernt“, so Bünger, dessen Frau im Laden mitarbeitet. Drei Kinder haben sie, alle schon erwachsen. Der älteste Sohn hat auch Uhrmacher gelernt. „Ob er das Geschäft mal weiterführen möchte, weiß ich nicht.“
Bünger holt einen alten Christbaumständer mit integrierter Spieluhr aus einer Ecke. Sie hat etwa 100 Jahre auf dem Buckel. Die Heiligen Drei Könige darauf sind nur noch zu zweit. Und auch die Eselsfigur scheint nicht zur Originalbesetzung zu gehören. Henning Bünger dreht den großen Schlüssel um und bringt die Spieluhr zum Laufen. Als sie zu ihm gebracht wurde, war sie kaputt. Nun dreht sie sich wieder und spielt ihre Melodie. So etwas bekommt Bünger nicht mehr allzu oft zu sehen. „Vielleicht ein Mal im Jahr.“
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Zu seinem Handwerk gehört es, ein kaputtes Uhrenglas auszutauschen, ein verschmutztes Uhrwerk zu reinigen oder auch mal eine Krone zu ersetzen. Zum Tagesgeschäft gehört auch das Wechseln von Batterien oder das Prüfen auf Wasserdichte. Mechanische Uhrwerke bestehen mitunter aus 100 Einzelteilen. Da braucht es Genauigkeit, Geduld und Präzision. „Feingefühl und technischen Verstand“, ergänzt Bünger. Die Materialien verkraften nur einen bestimmten Druck.
Ob er nicht förmlich merken würde, wie die Zeit vergeht. Setzt das nicht unter Druck? „Die besten Jahre habe ich hinter mir. Machen wir uns doch nichts vor“, sagt der 55-Jährige nüchtern. Über die Vergänglichkeit des Lebens würde er trotzdem nicht ständig grübeln müssen. Dazu bleibt auch gar keine Zeit, denn die Aufträge stapeln sich. Und sowieso, seine Kunden sind Menschen, die das Alte zu schätzen wissen und es bewahren wollen, so wie er. Die meisten sind Stammkunden. „Ich lebe Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt er. Mitbewerber, die wie er selbst reparieren, hat er nicht. „Wer eine alte Uhr nicht wegwerfen möchte, der kommt zu mir.“ Reparieren ist auch ein Gegenentwurf zur modernen Wegwerfgesellschaft.
Es begab sich...
Das älteste Uhr, die er wieder zum Laufen gebracht hat, war eine Schweizer Pendule aus dem Jahr 1584. Er selbst hat eine Standuhr Baujahr 1924 zuhause stehen. „Sie schlägt zur Viertel Stunde einen wunderbar abgestimmten Gong“, schwärmt Bünger. Ein Kunde hat sie ihm geschenkt, weil sich in der Familie kein Abnehmer fand. „Leider gibt es kaum einen Markt für alte Uhren.“ Mit ihnen ginge auch ein Stück Lebensqualität und Wertschätzung der Handwerkskunst verloren. Das sei wie Schallplatten hören. Vinyl klinge anders. „Die Zeit fordert von uns einfach zu viel“, sagt der Uhrmacher und wirkt dabei ein wenig nostalgisch.