Kreis Pinneberg. Viele Berufe, die lange begehrt waren, drohen zu verschwinden. Doch es gibt das klassische Handwerk noch. Leon Fischer hat fünf Betriebe besucht.

Das Handwerk hat eine lange Tradition im Kreis Pinneberg. Manche Berufe existieren in der Region schon seit Hunderten von Jahren. Manche sind mit der Zeit obsolet geworden, da sie durch technische Entwicklungen nicht mehr benötigt wurden. Dazu gehört zum Beispiel das Bandreißen, das früher stark in Haseldorf und Haselau vertreten war, bis die Weidenbänder, die zum geschmacksneutralen Zusammenhalt von Butterfässern benutzt wurden (Eisenringe hätten einen Eigengeschmack hervorgerufen) in den 1960er-Jahren durch den aufkommenden Kunststoff verdrängt wurden. Andere Berufe wie der des Segelmachers haben sich über die Jahre verändert, haben aber weiterhin ihre Daseinsberechtigung. Auf dieser Seite stellen wir fünf Betriebe vor, die ein klassisches Handwerk betreiben.

Handwerk macht 16,6 Milliarden Euro Umsatz

Das Handwerk ist gerade in Schleswig -Holstein mit seinem im Bundesvergleich geringen Industrieanteil ein nicht zu unterschätzener Wirtschaftsfaktor.

31.466 Handwerksbetriebe mit rund 159.000 Mitarbeitern erwirtschafteten 2015 Schleswig-Holstein einen Umsatz von 16,6 Milliarden Euro.

Trotzdem sind dies meist kleine und mittelständische Betriebe. So haben 57 Prozent der Handwerksfirmen weniger als fünf Beschäftigte.

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Dass es auch in Zukunft solche Betriebe in der Region gibt, ist unter anderem die Aufgabe der Handwerkskammer Lübeck (HWK), die auch für den Kreis Pinneberg zuständig ist. Sie kümmert sich nicht nur um die Vermarktung der gesamten Handwerksbranche, um Kunden, aber vor allem Auszubildende anzuwerben, sondern sorgt auch dafür, dass die Betriebe im Blickfeld von Gesellschaft und Politik sind und bleiben.

Mangel an Lehrlingen ist Problem

Aus diversen
Aus diversen © HA | Leon Fischer

„Ohne Technik geht in vielen Berufen gar nichts mehr“, sagt Anja Schomakers, Sprecherin der HWK. Die größten Probleme der traditionellen Betriebe würden allerdings nicht durch Veränderung des Arbeitsumfeldes oder Marktes hervorgerufen, sondern vor allem an einem akuten Mangel an Lehrlingen liegen. So hat der einzige Seilerbetrieb, den die HWK in ihrem Kammerbezirk verzeichnen kann, keinen einzigen Auszubildenden. Genauso sieht es bei den fünf Glas- und Porzellanmalern und den immerhin zehn Geigenbauern aus.

Mit Elmshorner Segeln wurden schon Weltmeistertitel geholt

Nicht nur hier zwischen den Meeren hat der Segelbau Tradition. Auf der ganzen Welt nähen Menschen seit Jahrhunderten Tuch aus verschiedensten Werkstoffen zusammen, um mit der Kraft des Windes über das Wasser zu fahren. Einer davon ist Jochen-Mathias Schluifer, Inhaber von Bohn-Segel in Elmshorn. Das Unternehmen wurde 1929 gegründet, zur Hochzeit der großen Segler.

Damals wurde noch mit Leinen - und Baumwolltüchern gearbeitet. In den 50er-Jahren wurden diese dann weitgehend durch Kunststoffe ersetzt, die deutlich strapazierfähiger sind. Um diese Zeit kam auch der Yachtsport auf. Die Firma Bohn produzierte auch für diesen Segel. Nach und nach entwickelte sich die Produktion für Sportyachten zum Hauptgeschäft des Unternehmens. Bohn-Segel stellte nach Auskunft des Firmenchefs sogar sieben Jahre lang den Weltmeister in der Segelklasse X99.

Segel sind aber längst nicht alles, was das sechsköpfige Team in den beiden Arbeitshallen herstellt. Die Firma erfüllt alle Aufträge, die im weitesten Sinne mit Segeln oder Planen zu tun haben. So werden in Elmshorn auch Abdeckungen für Boote und sogar Zelte für Mittelalter-Festivals gefertigt.

Für einen Großteil der Aufträge muss individuell Maß genommen werden, erklärt Schluifer. Nur so könne die Qualität der Produkte gewährleistet werden. Und die spricht sich rum. Aus ganz Europa kämen Kunden. Der kurioseste sei ein Schwede gewesen, der sich eine Plane für eine Kanone anfertigen lassen hat.

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Die Uhrmacher, die im Kammerbezirk der HWK mit 55 Betrieben vertreten sind, haben nur einen einzigen Azubi. Dabei werden durch Werbekampagnen mit der bekannten Marke „das Handwerk“ auch traditionelle Berufe bei der Nachwuchssuche unterstützt. Die Lust bei den Kunden auf Handgemachtes mit regionalem Bezug steige derzeit wieder deutlich an, so Schomakers

Holländische Fliesen aus einem Reetdachhaus in Seestermühe

Hinter dem Deich, versteckt in einem der vielen Reetdachhäuser der Elbmarsch, befindet sich eine der letzten traditionell arbeitenden Fliesenmanufakturen Deutschlands. Nur ein kleines Schild am Gartenzaun lässt darauf schließen, dass hinter der alten Scheunentür in Seestermühe noch wie früher von Hand Delfter Fliesen produziert werden.

Obwohl dies eigentlich eine irreführende Bezeichnung ist, wie Claudia van Hees sagt, die Frau, die hier seit 25 Jahren die Fliesenmachertradition am Leben hält. Denn Delft sei nur einer von vielen Manufakturstandorten der berühmten holländischen Fliesen gewesen, wie van Hees erläutert.

Was sie mit den alten Fliesenherstellern aus Delft verbindet, ist die Tatsache, dass sie in ihrer Werkstatt genau wie einst die Hersteller im 17. Jahrhundert alle Fliesen in reiner Handarbeit produziert. Die einzige Maschine, die man in der Manufaktur findet, ist eine Vakuumstrangpresse, die dem angelieferten Ton die Luft entzieht. Luftblasen im Produkt würden dazu führen, dass die Fliese beim Brennen aufplatze, sagte die Expertin.

Nachdem der Ton danach bis in den „lederharten“ Zustand getrocknet ist, wird er zugeschnitten. Die dabei verwendete Vorlage hat auf zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Spitze, damit sie auf dem Ton nicht verrutscht. Die so entstehenden Löcher sind ein unverkennbares Merkmal für handgefertigte Fliesen. Industriell hergestellte haben diese nicht.

Nachdem die Fliese dann glasiert und per Hand bemalt wurde, ist sie nach dem abschließenden Brennprozess fertig zur Auslieferung. Das Angebot kenne nur die Grenzen der Kundenwünsche, sagt van Hees. Alle Glasurtönungen sind möglich. Selbst eine Roséfärbung, die in der Vergangenheit durch Brennfehler entstanden ist. Heute ist sie hingegen gefragt und van Hees ist es nach gelungen, die nötigen Bedingungen im Ofen zu reproduzieren.

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Jede Fliese ist bei Claudia van Hees ein Unikat mit kleinen Besonderheiten
Jede Fliese ist bei Claudia van Hees ein Unikat mit kleinen Besonderheiten © HA | Leon Fischer

Die fünf Betriebe, die wir für diese Seite besucht haben, haben offensichtlich eine Strategie gefunden, erfolgreich mit ihrem alten Handwerk zu wirtschaften. Sie nutzen Nischen, in denen sie auch heute noch Abnehmer in Form von Liebhabern ihres Produkts finden, wie die Fliesenmacherin van Heeg in Seestermühe oder sie sind in einem quasi unsterblichen Gewerbe wie der Herstellung von Musikinstrumenten tätig sind.

Instrumentenbauer setzt auf Handarbeit

Das ist der Fall bei Torsten Köhler, seit 13 Jahren Holzblasinstrumentenbauer in Pinneberg. Bei ihm scheint es gute Gründe zu geben, weshalb Kunden aus ganz Europa das kleine Geschäft ansteuern, um ihr Instrument richten zu lassen. Hier wird noch jeder Arbeitsschritt von Hand gemacht. Das geht vom Fräsen bis zur gezielten Sauerstoffzufuhr durch pusten beim Löten.

Und diese Handarbeit ist nötig, denn nur das bestmögliche Ergebnis sei gut genug, sagt Köhler, der seine musikalische Laufbahn in der Grundschule wie so viele mit der Blockflöte begann, aber bald zur Klarinette wechselte. Das Saxophon, das ihm heute über 90 Prozent seiner Aufträge einbringt, hat er als Jugendlicher kennengelernt. Nachdem er seinen Meister gemacht hatte, gründete er noch im selben Jahr sein Geschäft in Pinneberg.

Pinneberger Firma verarbeitet seit über 60 Jahren Pelze

Der Beruf des Kürschners oder Pelz- und Lederverarbeiters war bis ins letzte Jahrhundert ein weit verbreitetes Handwerk. So musste sich Geert Krusch, der nun das Pelze- und Lederatelier Krusch in Pinneberg führt, drei Jahre im Voraus an der entsprechenden Berufsschule einschreiben, um einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Heutzutage ist er einer der letzten Kürschner in ganz Schleswig-Holstein.

Die einzige verbleibende Berufsschule befindet sich in Bayern. Schon allein diese Tatsache macht seine Produkte exklusiv. Krusch war nach eigenen Angaben der jüngste Meisterabsolvent in seinem Beruf und hat drei Goldmedaillen für hervorragende modische Leistungen erhalten. Seine Produkte bestehen aus Echtpelz und -leder und entstehen komplett in Handarbeit. Er verwende dabei in der Regel Material von Tieren, die bei der Jagd oder Schlachtung getötet wurden.

Seine Eltern gründeten das Geschäft 1953 in Berlin. Durch den Mauerbau musste das Unternehmen allerdings 1974 umziehen. Es zog die Familie nach Schenefeld, bevor es endgültig nach Pinneberg ging, wo sich das Atelier nun seit mehr als 40 Jahren befindet. Die Kürschnerei von Krusch bietet Kunden alles von Änderungen geliebter Erbstücke bis zur komplett neuen Pelzjacke. Dabei geht der Lederverarbeiter nach der Mode. So seien früher eher dicke Mäntel mit so viel Pelz wie möglich getragen worden, wohingegen heute der Trend eher zur leichten Pelzjacke gehe.

„Die Kunden wollen’s leicht und geschmeidig“, sagt Krusch. Alte Mäntel seien oft steif, da die Pelzschichten aufgepresst wurden. Das bedeutet, dass das Material mit Klebepunkten aufgebügelt wurde. Doch durch den großen Aufwand fielen die Preise entsprechend hoch aus. Heutzutage wollten die Kunden diese nicht mehr zahlen. Stattdessen werde im Netz bestellt. Doch „Änderungen können nicht im Internet gekauft werden“, sagt Krüsch, die gebe es nur bei ihm.

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Buchbinderin Silke Menzel schneidet ihr Material zurecht
Buchbinderin Silke Menzel schneidet ihr Material zurecht © HA | Leon Fischer

Seitdem betreibt er das Instrumentenbauerhandwerk, das eine Tradition bis zurück ins 18. Jahrhundert hat. Der Beruf entstand zu der Zeit, in der Instrumente durch neue Mechaniken so kompliziert wurden, dass die jeweiligen Musiker sie nicht mehr ohne weiteres selbst reparieren konnten. Das lag auch daran, dass die sogenannten Holzblasinstrumente nicht mehr zum größten Teil aus Holz waren. Heutzutage ist das Kriterium, das den Großteil der Holzblasinstrumente ausmacht nur noch das Mundstück, in dem der Ton meist durch die Schwingung einer Aufschlagzunge aus Holz erzeugt wird. Auch wird inzwischen der größte Teil der Holzblasinstrumente nicht mehr per Hand gebaut. Die Nachfrage ist einfach zu groß geworden. Repariert wird allerdings in der Regel alles noch in genauster Handarbeit. Und dabei ist höchste Präzision gefragt, wenn zum Beispiel eine Delle in einer Öffnung wiederhergestellt werden muss. Auch muss jede Klappe eines Saxophons perfekt sitzen und alle Klappen müssen aufeinander abgestimmt sein, um die Tonqualität zu garantieren.

Barmstedterin bindet Bücher auch im digitalen Zeitalter

Egal ob Familienbibel, Fotoalbum oder neuer Einband für das Lieblingsbuch: Silke Menzel macht alles in ihrer Werkstatt. Und das seit zwölf Jahren fast ausschließlich per Hand. Die einzigen zwei Maschinen, die die Barmstedterin zum Buchbinden verwendet, sind ihre Prägepresse, die benutzt wird, um die Namen der Bücher auf den Einband zu drucken und eine Papierbohrmaschine, die genau das tut, was ihr Name verspricht: Sie bohrt sich durch noch so dicke Papierstapel.

Zu Menzels Kunden gehören zum großen Teil Bibliotheken, die stark benutzte Bücher reparieren lassen sowie Kanzleien und Steuerberatungsbüros, die ihre Kundendaten in Büchern archivieren möchten. Dies sei trotz des technologischen Fortschritts und der Möglichkeit der digitalen Archivierung auch heute noch gefragt, so Menzel.

Darüber hinaus arbeite sie auch für Privatkunden, die zum Beispiel Familienstammbücher repariert haben möchten. Alles was Menzel braucht, sind die Seiten, den Einband macht sie, in jeder Farbe und aus dem Material, das gewünscht wird.

Die Seiten können mit dem Einband entweder durch Klebebindung oder aber mit Fadenheftung befestigt werden. Dabei werden in die einzelnen Hefte, aus denen ein Buch besteht, Löcher gemacht und dann Fäden hindurchgezogen. Diese halten das Buch zusammen. Diese Methode sei die traditionellere und auch die robustere. Da diese allerdings sehr viel Kleinstarbeit erfordere, werde heute meist nur noch verklebt.

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Torsten Köhler baut auch Instrumente um, um zum Beispiel Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen das Spielen zu ermöglichen. So hat er ein Saxophon umgestaltet, das von seinem Besitzer nicht mehr verwendet werden konnte, da dieser bei einem Unfall seinen kleinen Finger verloren hat. Köhler hat es geschafft, mit einem alten Handwerk seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Wie es die anderen vier Unternehmen aus dem Kreis bewerkstelligen lesen Sie auf dieser Seite.