Kreis Pinneberg. Wir nennen sie C. Eine Frau, die weiß, warum Kunden lange auf ihre Briefe warten müssen. Schuld trägt auch ein Computerprogramm.
C sitzt in einem Schnellrestaurant und nippt am heißen Kaffee. Sie trägt Joggingkleidung. Heute ist ihr freier Tag. C. ist Zustellerin bei der Deutschen Post. Eigentlich ist das C nicht der Anfangsbuchstabe ihres echten Vornamens, es könnte genauso gut jeder andere des Alphabets sein. Die Anonymität zu wahren ist C., deren Identität dem Abendblatt allerdings bekannt ist, sehr wichtig. Während viele Menschen beklagen, dass sie nur noch selten und sehr unregelmäßig Briefe bekommen (wir berichteten), will C. über die Arbeitsbedingungen im Zeichen des Posthorns sprechen. Sie sagt: „Die Probleme der Post bei der Zustellung sind hausgemacht.“ So etwas sieht und hört ihr Arbeitgeber sicherlich so gar nicht gern.
C. ist schon lange Zustellerin im Kreis Pinneberg. Früher sei es für sie ein Traumjob gewesen, sagt sie. „Mittlerweile ist es ein Alptraum.“ Mal fährt sie mit dem Auto, mal mit dem Fahrrad. Sie ist sogenannte „Springerin“. Das bedeutet, dass sie keinen festen Zustellbezirk hat, sondern dort eingesetzt wird, wo gerade Personalnot herrscht. Egal ob fester Bezirk oder nicht: Sie seien zu groß. „Das ist einfach nicht mehr zu schaffen“, sagt C.
„Wir sind die Fußmatten für die Kunden“
Ein Computerprogramm namens Ibis, das bemisst, wie viele Sendungen ein Zusteller an einem Tag zustellen muss, sei Schuld an der ständigen Vergrößerung der Bezirke. C. sagt: „Zu 99 Prozent liegt das Programm in der Bemessung falsch.“
Der hohe Krankenstand bei der Post, mit dem das Unternehmen die massiven Verzögerungen bei der Zustellung im Kreis Pinneberg in den vergangenen Wochen begründet hat, ist für sie insofern kein Zufall. Die meisten krankheitsbedingten Ausfälle resultierten aus der psychischen und physischen Überlastung der Zusteller, meint C.
Doch es sei nicht nur die Größe der Bezirke, die den Zustellern zu schaffen mache, sondern auch die stetig wachsende Menge der Sendungen. „Durch den Onlinehandel nimmt die Anzahl der Pakete ständig zu.“ Auch Infopost wie zum Beispiel Kataloge müssten die Zusteller in großer Stückzahl austragen.
Die Überlastung der Zusteller bekommen dann die Menschen zu spüren, die auf wichtige Briefe warten, sie aber nicht erhalten. Die jeden Morgen zum Briefkasten gehen, nur um festzustellen, dass er auch an diesem Tag leer ist. Die allmählich wütend werden. Natürlich könne sie den Frust der Menschen nachvollziehen, sagt C. Aber sie findet es unfair, dass die Zusteller den Frust abbekommen. Sie sagt: „Wir sind die Fußmatten für die Kunden.“
Wer lange krank sei, dem drohe die Kündigung
Wenn sich ein Kunde beschwert, müsse sie ihn an die Hotline verweisen, sagt C. Für schriftliche oder mündliche Erklärungen bleibe während der ohnehin nicht mehr zu schaffenden Arbeit überhaupt keine Zeit. „Aus dem Call-Center werden die Beschwerden dann zu uns weitergeleitet“, sagt C. „Wir müssen das Ganze dann ausbaden.“
Und selbst wenn sie Zeit fände, mal kurz mit einem Menschen am Gartenzaun zu sprechen: „Die wahren Ursachen für die Probleme bei der Zustellung dürfen wir den Kunden gar nicht mitteilen, müssen dann zum Beispiel auf einen hohen Krankenstand im Allgemeinen verweisen. Ja, wir müssen die Kunden anlügen“.
C. spricht schnell und ohne Punkt und Komma. Sie wirkt aufgewühlt. Der hohe Krankenstand sorge für eine hohe Fluktuation bei den Zustellern, ständig suche das Unternehmen neue Mitarbeiter, denn wer über einen längeren Zeitraum krank sei, dem drohe die Kündigung, sagt C. Neue Zusteller benötigten jedoch wiederum Zeit, bis sie die Arbeitsabläufe und die Routen in den Bezirken verinnerlicht hätten. Das ziehe zwangsläufig Verzögerungen bei der Zustellung nach sich. Und viele der neuen Kollegen kündigten schon nach wenigen Monaten wieder. Zu hoch sei die Belastung. „Der Job ist knallhart geworden“, sagt C. Zudem werde jeder Zusteller, der neu bei der Post anfängt, nur mit einem Zeitarbeitsvertrag über zwei Jahre ausgestattet.
Ver.di fordert Einstellung nach Probezeit
Gegen diese Bedingungen kämpft die Gewerkschaft Ver.di schon lange an. Frauke Hammerich von der Ver.di-Betriebsgruppe Brief in Kiel fordert von der Post die Abschaffung befristeter Arbeitsverhältnisse sowie die „unbefristete Einstellung neuer Mitarbeiter mit einer dreimonatigen Probezeit. Das wäre für beide Seiten eine vernünftige Lösung“.
Thomas Ebeling, Ver.di-Gewerkschaftssekretär, fordert zudem für die Zusteller angemessene Tourenlängen. „Wenn die maximale Arbeitszeit von zehn Stunden voll ausgereizt wird, führt das natürlich zum Zustellungsabbruch.“ Neben der physischen litten die Zusteller oft auch unter hoher psychischer Belastung, sämtliche Sendungen während ihrer Tour auszuliefern.
Für C. und ihre Kollegen wird dies in den kommenden Wochen und Monaten kaum zu schaffen sein. Während der „Weihnachtszeit“, die aus Sicht der Post Anfang November beginnt und Ende Januar endet, steigt die Anzahl der Pakete und Briefe um ein Vielfaches. Was an einem regulären Wochentag schon nicht in der regulären durchschnittlichen Arbeitszeit von acht Stunden und 45 Minuten zu schaffen ist, wird während der Weihnachtszeit praktisch unmöglich. Überstunden seien dann die Regel. Immerhin werden sie den Zustellern inzwischen wieder zugestanden, sagt C. Zuvor sollten sie unter allen Umständen vermieden werden.
In der Weihnachtszeit sollen Entlaster helfen
Für die Weihnachtszeit habe die Post 159 sogenannte Entlaster für den Kreis Pinneberg versprochen, sagt C. So werden zusätzliche Arbeitskräfte genannt, die die Zusteller unterstützen. Dass diese wirklich kommen, glaubt C. nicht. „Die Post plant oft mit Personal, das überhaupt nicht vorhanden ist.“ Vonseiten der Post heißt es, dass die Entlaster natürlich eingesetzt werden. Die Zahl 159 könne man indes nicht bestätigen. C. hingegen fordert, dass die Post endlich anfangen müsse, nur mit den Ressourcen zu planen, die auch wirklich vorhanden seien.
Ver.di-Gewerkschaftssekretär Thomas Ebeling schlägt in dieselbe Kerbe: „Die Post plant stets mit einem Krankenstand von fünf bis sechs Prozent, tatsächlich sind es aber zehn bis elf Prozent.“ Ein Wert, den Postpressesprecher Martin Grundler weder bestätigt noch dementiert. Der Gewerkschafter Ebeling sagt, Fehlplanungen fielen letztendlich wieder auf die tatsächlich vorhandenen Zusteller zurück und bedeuteten für sie ein noch höheres Arbeitspensum.
Für C. stellt sich oft die Frage: „Was kann ein Mensch leisten?“ Von der Post fordert sie ein Umdenken. „Die Arbeit des Zustellers muss wieder attraktiver werden.“ Sie weiß, dass sich viele Menschen die Arbeit bei der Post ziemlich entspannt vorstellen. C. sitzt im Schnellrestaurant und nippt am lauwarmen Kaffee. Sie seufzt. Und wiederholt: „Mittlerweile ist es ein Alptraum.“