Pinneberg. Schüler haben Schulz bei seinem ersten Auftritt als SPD-Kanzlerkandidat in die Mangel genommen. Das Gespräch im Wortlaut.

Der neue Hoffnungsträger der SPD musste sich bei seinem ersten Auftritt als Kanzlerkandidat gleich für eine abschätzige Bemerkung entschuldigen. Bei einem Besuch der Theodor-Heuss-Schule in Pinneberg konfrontierte ihn ein Oberstufenschüler mit einem älteren Zitat über das Europaparlament, dem Schulz zuletzt als Präsident vorsaß: „Wir vertreten 500 Millionen Menschen, aber wir haben eine Wahrnehmung wie der Kreistag von Pinneberg.“

Hier einige Fragen der Schüler und die Antworten von Martin Schulz im Wortlaut:

Was qualifiziert Sie dazu, Bundeskanzler zu werden?

Man braucht in der Tat kein Abitur, um Bundeskanzler werden zu können. Was man braucht, ist eine Mehrheit von Menschen, die dir vertrauen. Dabei kommen mir die Erfahrungen aus dem Europaparlament zugute: Die Abgeordneten dort repräsentieren 300 politische Bewegungen. Als deren Präsident lernst du, zuzuhören und zu respektieren. Für die Politik in Deutschland nehme ich eines mit: Im Mittelpunkt von Politik muss das Schicksal von einzelnen Menschen stehen.

Was wollen Sie gegen den weltweiten Rechtsruck in Deutschland tun?

Die Bundesrepublik Deutschland war lange von dieser rechtsextremen Bewegung verschont, diese Zeiten sind vorbei. Ich sage in aller Klarheit: Leute wie dieser Herr Höcke zum Beispiel, der das Mahnmal für die ermordeten Juden in Berlin als „Mahnmal der Schande“ bezeichnet, nennen sich Alternative für Deutschland. Sie sind in meinen Augen eine Schande für die Bundesrepublik, mit denen will ich nichts zu tun haben.

Welche Rolle spielt das Internet im Wahlkampf?

Es ist ein Instrument, in dem das Beste und das Schlechteste möglich ist. Ich lese Sprüche über mich, bei denen ich selbst lachen muss. Aber ich könnte dir genauso gut Dinge zeigen, die alles andere als spaßig sind. Der Vorteil des Internets ist die Unmittelbarkeit, mit der man viel mehr Menschen als früher erreichen kann. Aber das führt zu einem höheren Verantwortungsbewusstsein für beide Seiten; für diejenigen, die Botschaften aussenden und für jene, die sie konsumieren. Wie in der analogen Welt müssen wir auch digital erlernen, Meldungen zu differenzieren und kritisch zu hinterfragen.

Ich weiß nicht, wie viel Sie bei Ihrem Besuch von diesem Schulgebäude gesehen haben. Wie der THS geht es vielen Schulen in Deutschland, sie sind marode und benötigend dringend eine Sanierung. Würden Sie dieses Problem als Kanzler angehen?

Ja. Wir haben Milliardenüberschüsse im Bundeshaushalt. Ich bin der Meinung, dass diese Überschüsse unter anderem dazu genutzt werden müssen, über die Länder den Gemeinden die Gelder zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um ihre Schulen zu sanieren und sie vor allem so auszustatten, dass sie einem modernen Lernstandard entsprechen. Das will ich als Bundeskanzler machen.

In einem Interview als EU-Präsident sagten Sie vor drei Jahren: „Wir vertreten 500 Millionen Menschen, aber wir haben eine Wahrnehmung wie der Kreistag von Pinneberg.“ Wie sollen wir Pinneberger das verstehen?

Ich hatte mal einen Kollegen im Europaparlament, der glaube ich auch mal auf dieser Schule gewesen ist (Christian von Boetticher, Anm. d. Red.), der war auch Kreistagsabgeordneter und hat mal ein Flugblatt ausgegeben, in dem er meinte, im Europaparlament sei es auch nicht anders als im Kreistag von Pinneberg, worüber sich damals erst mal Leute im Europaparlament aufgeregt haben. Irgendwann habe ich dann gesagt: Also Leute, passt mal auf: Wenn der Kreistag von Pinneberg tagt, löst das keine bundesweite Debatte aus. Und wenn das Europaparlament tagt, löst das auch keine bundesweite Debatte aus. Obwohl wir eine der mächtigsten Institutionen sind, haben wir eine öffentliche Wirkung wie der Kreistag von Pinneberg. Das wollte ich damals ändern, und das habe ich auch geschafft. Dann hat mich der Landrat von Pinneberg darauf hingewiesen, dass das nicht besonders nett wäre. Ich habe mich dafür entschuldigt. Die Kommunalpolitiker sind in meinen Augen die wirklichen Helden in der Politik, sie arbeiten nach Feierabend, in ihrer Freizeit, ohne Diäten und müssen sich oft auch noch anfeinden lassen. Ich habe es nie in den Kreistag von Pinneberg geschafft, Asche auf mein Haupt. Aber jetzt bin ich ja wenigstens in der Pinneberger Theodor-Heuss-Schule, um meine Frechheit ein bisschen zu kompensieren. Es war nie negativ gemeint, Pinneberg liegt mir sehr am Herzen, wie ihr heute sehen könnt.