Hamburg/Pinneberg. Der SPD-Kanzlerkandidat erklärt den Genossen die Genossen. In Pinneberg muss Martin Schulz zu einem alten Spruch Stellung nehmen.

Der erste Auftritt des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz in Hamburg erfolgt da, wo er am wenigsten zu erwarten war: Das Gasthaus Offen ist ein bürgerlich-gediegenes Traditionslokal, das im Winter für seine Grünkohlspezialitäten bekannt ist. Und überhaupt: Der äußerste Norden Hamburgs ist nicht gerade eine Hochburg der hanseatischen Sozialdemokratie. Aber das alles stört den neuen Hoffnungsträger der Partei nicht, die schon an sich selbst zweifelte. Forsch betritt Schulz um 20.15 Uhr den Gastraum, und die rund 100 Gäste, die meisten Parteifreunde, applaudieren begeistert. Einige, zumeist ältere Genossen stehen auf.

Eigentlich ist das Treffen ein Abend zur Begrüßung der Neumitglieder, rund 20 Männer und Frauen aus dem Alstertal und den Walddörfern sind auch da und warten auf ihr Parteibuch. Doch mit Schulz wird aus der beschaulichen Zusammenkunft ein Medienereignis. Die Blitze der Kameras zucken, das Fernsehen ist da, und ­Mikro­fone recken sich ihm entgegen.

Martin Schulz mit Brandt, Schmidt, Schröder

Schulz erfüllt alle Fotowünsche geduldig und lässt sich erst einmal beschenken. Maximilian Schommartz, stellvertretender Vorsitzender des SPD-Dis­trikts Oberalster, des Gastgebers gewissermaßen, überreicht Schulz ein Foto, das alle vier SPD-Bundeskanzler zeigt. Vier? Ja, Martin Schulz ist als möglicher Kanzler schon neben Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder zu sehen. So optimistisch und selbstbewusst sind die Sozialdemokraten im Augenblick auch an der Basis.

„Eins will ich gleich mal klarstellen: Ich bin ein Anhänger des 1. FC Köln“, sagt Schulz zu Beginn seiner Rede, um dann aber hinzuzufügen: „Ich gönne dem HSV den Erfolg im Pokal.“ Das kommt natürlich gut an.

Schulz erklärt den Genossen die Genossen

Dann wendet sich der Parteivorsitzende in spe direkt an die Neumitglieder und wirkt plötzlich sehr nachdenklich. Er erklärt den neuen Genossen, dass dieser Begriff aus dem Althochdeutschen stammt und „Helfer in der Not“ bedeutet. „Einigkeit macht stark“, gibt er ihnen mit auf den Weg.

Es folgt ein kleiner Abriss der SPD-Geschichte, der tatsächlich bei der Abschaffung der Kinderarbeit beginnt. „Das alles musste erkämpft werden. Einer steht für den anderen ein“ sagt Schulz. Dafür gibt es ebenso kräftigen Beifall wie für sein Lob der Hamburger SPD-Politik der Beitragsfreiheit von der Kita bis zur Universität.

Langsam kommt Schulz in den Wahlkampfmodus und spult sein Herzensthema soziale Gerechtigkeit ab. Und es fällt der Satz, den Schulz wohl bis zum 24. September noch 100-mal sagen wird: „Wer hart arbeitet für sein Geld, darf nicht schlechter gestellt werden als derjenige, der sein Geld arbeiten lässt.“ Der Mann aus Würselen scheint sich an der Parteibasis wohlzufühlen, wo Kommunalpolitik gemacht wird: Er war selbst elf Jahre lang Bürgermeister der Kleinstadt bei Aachen. „Manche sagen, ich sei ein Provinz-Bürgermeister gewesen, aber ich schäme mich nicht. Ich kenne jedes Problem.“ Dann verspricht er noch, im Wahlkampf wiederzukommen in den Bundestagswahlkreis, in dem Helmut Schmidt gelebt hat. „Wir sind es Helmut schuldig, den Wahlkreis direkt zu gewinnen“, ruft Schulz unter Beifall.

SPD-Neu-Mitglieder: "Es muss etwas passieren"

Die Wahlkreiskandidatin Dorothee Martin freut’s. Und die Neumitglieder? Nicht alle sind wegen Schulz eingetreten. Der Verleger Thomas Völcker aus Bergstedt schon. „Ich habe mir gesagt, es muss etwas passieren gegen die AfD. Martin Schulz kann denen die Stirn bieten, er kann gegenhalten“, sagt der Bergstedter. „Aber ein bisschen war es auch die Aufbruchstimmung in der SPD, die mich mitgerissen hat.“ An diesem kalten Februarabend hat der Kanzlerkandidat Schulz diese Aufbruchstimmung bei seinen Parteifreunden jedenfalls verbreitet.

Am Dienstag hatte Schulz’ Arbeitstag nördlich der Hamburger Stadtgrenze begonnen. Am Theodor-Heuss-Gymnasium in Pinneberg stellte sich der Politiker den Fragen von Schülern. Ein launiger Auftritt des 61-Jährigen, der seinem Parteikollegen, dem Ministerpräsidenten Torsten Albig, gleich bei mehreren Terminen im Wahlkampf zur Seite springt. Letzten Umfragen zufolge muss Albig um seinen Job als Regierungschef Schleswig-Holsteins zittern. Da greift die Nord-SPD nur zu gern auf ihren Hoffnungsträger Schulz zurück, der die Umfragewerte für die Bundespartei gerade in nahezu schwindelerregende Höhen treibt.

Martin Schulz spricht mit Schülern in Pinneberg

Vor dem jungen Publikum in Pinneberg funktionierte Schulz. Er gab sich locker, suchte das Gespräch. Nahm sich Zeit für Anekdoten aus dem Elternhaus, in dem mit der Mutter eine überzeugte Christdemokratin das Sagen hatte. Auch eine Aussage relativieren musste der 61-Jährige. Als EU-Abgeordneter hatte Schulz einmal über das Europaparlament gesagt: „Wir vertreten 500 Millionen Menschen, aber wir haben eine Wahrnehmung wie der Kreistag von Pinneberg.“ Er habe niemanden verletzen wollen, sagte Schulz nun. Ihm sei es lediglich darum gegangen, auf die mangelnde Beachtung des Europäischen Parlaments hinzuweisen.