Kreis Pinneberg. Gewerkschaft der Polizei bemängelt sinkenden Respekt vor Ordnungshütern und fordert moralische Unterstützung von Politikern.
Eine alltägliche Szene: Polizeibeamte werden mitten in der Nacht wegen Ruhestörung in ein Pinneberger Mietshaus gerufen. Genervte Nachbarn haben zuvor Alarm geschlagen. Die Beamten klingeln an der Tür einer Wohnung, der Mieter hat über die Stränge geschlagen – und stehen kurz darauf vor einem Betrunkenen, der sogleich ansetzt, die Ordnungshüter anzupöbeln. Wenn es ganz dumm läuft, fliegen sogar die Fäuste. Die Kriminalstatistik der Polizeidirektion Bad Segeberg hat es kürzlich erneut belegt: Das Phänomen einer zunehmenden Aggressivität und Gewalt gegen Polizisten ist nach wie vor gegenwärtig. Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Grund genug, jetzt mit einem Appell an die Öffentlichkeit zu treten.
„Die Gesellschaft und vor allem die Politik müssen dafür sorgen, dass die Polizisten angesichts der enormen Belastungen, die sie zu schultern haben, mehr Respekt und moralische Unterstützung erfahren“, sagt der GdP-Regionalgruppenvorsitzende Sebastian Kratzert aus Elmshorn. Mehr als 50 teilweise schwer verletzte Beamte im Bereich Bad Segeberg und Pinneberg im vergangenen Jahr sprächen eine deutliche Sprache. „Die Entwicklung macht uns ernsthaft Sorgen“, so Kratzert. Aus Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen wisse er, wie schlecht es Betroffenen nach Übergriffen nicht nur körperlich, sondern auch seelisch geht. Es blieben Narben zurück. „Wir machen doch nur unseren Job und versuchen, das für den Bürger möglichst gut zu tun“, lauteten die Rückmeldungen der betroffenen Kollegen, berichtet Kratzert.
Wer die Polizeiwache in der Kreisstadt Pinneberg betritt, der wird sofort mit der Thematik konfrontiert. Gleich am Eingang hängt ein Plakat, das Zeugnis ablegt von einer Kampagne, mit der die Gewerkschaft gegen Gewalt mobil machen will. Ralf Kapelke ist seit September 2015 stellvertretender Revierleiter in der Kreisstadt, er war zuvor in Norderstedt im Einsatz. Er kann die Worte des Gewerkschaftssprechers nur bestätigen: „Vor allem bei jungen Menschen fehlt es zunehmend an Respekt vor den Beamten.“ Da sei dann schnell mal von „Scheißbullen“ die Rede. Woran das liegt? „Das ist schwer zu sagen, womöglich spielen überzogene Darstellungen in den Medien eine Rolle“, antwortet der 52-Jährige.
Der Polizeihauptkommissar aus Pinneberg würde sich wünschen, dass bei Übergriffen das mögliche Strafmaß auch mal ausgeschöpft wird, um Zeichen zu setzen. „Gewalt gegen Polizisten ist kein Kavaliersdelikt“, sagt er. Die Beamten in der Kreisstadt seien angehalten, schon verbale Entgleisungen zur Anzeige zu bringen und kein Auge zuzudrücken. „Es darf nicht sein, dass so etwas ungeahndet bleibt“, so Kapelke.
Landesweit hat es nach Angaben von Gewerkschaftssprecher Kratzert im Jahr 2015 insgesamt 1082 Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte gegeben. Für Schleswig-Holstein bedeute dies durchschnittlich drei Delikte pro Tag. Das Ausmaß der Aggressionen habe im polizeilichen Alltag zugenommen und führe oft zu einer längeren Dienstunfähigkeit verletzter Polizisten, weiß Kratzert zu berichten. Ein Indikator dafür, dass die Intensität der Angriffe zugenommen habe, sei auch die gestiegene Zahl von Strafanzeigen, die im vergangenen Jahr von Polizisten wegen Körperverletzung erstattet worden seien. 371 Vorfälle und damit fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr seien zur Anzeige gekommen. In keinem anderen Beruf gebe es ein vergleichbar hohes Gefährdungspotenzial für Leib und Leben, so der Gewerkschafter.
Die 60 Beamten, die im Pinneberger Revier ihren Dienst verrichten, werden – so gut es geht – auf brenzlige Situationen vorbereitet. „Die Kollegen müssen alle sechs Monate zum Einsatztraining“, sagt Ralf Kapelke, der vor vielen Jahren selbst schon mal fast zum Opfer einer Gewalttat geworden wäre, als ein Betrunkener ihn mit Steinen bewarf. „Wir lernen, uns selbst schützen.“ Es gelte, am Einsatzort selbstbewusst und geschlossen aufzutreten. Ständige Wachsamkeit sei unerlässlich. Beim Betreten einer Wohnung etwa sei die Umgebung auf potenziell als Waffe zu gebrauchende Gegenstände zu überprüfen. Wenn es doch mal zu einem Übergriff komme, werde betroffenen Beamten die Unterstützung der in Eutin sitzenden Polizeipsychologen angeboten. „Zunächst aber versuchen wir das mit Gesprächen vor Ort zu regeln.“
Auf die Frage, ob die zunehmende Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturkreisen die Polizeibeamten vor neue Probleme stelle, hat Kapelke eine klare Antwort parat: „Nein, mal abgesehen von den üblichen Sprachschwierigkeiten.“ Von Flüchtlingen, die Ordnungshüter nicht respektierten oder gar tätlich würden, sei ihm in Pinneberg nichts bekannt.