Pinneberg. Warum Fußballfans aus dem Kreis Pinneberg am Freitag trotz des Terrors von Paris und dessen Folgen zum HSV gehen werden.

Es ist kurz nach 19 Uhr am Dienstagabend. Die Nachrichten überschlagen sich. Angebliche Terrorgefahr in Hannover, das Länderspiel Deutschland gegen Holland wird abgesagt. Am Freitagabend soll in Hamburg das erste Bundesligaspiel nach dem Terror von Paris steigen. Rund 70 Stunden nach Hannover. Tausende Anhänger werden sich auf den Weg machen, um ihren Club gegen Dortmund zu unterstützen.

Auch im Hamburger Umland fiebern viele Menschen mit dem HSV. Einer von ihnen ist Uwe Hönke. Der ist zugleich Sportfunktionär, veranstaltet als Geschäftsführer des VfL Pinneberg selbst Großveranstaltungen. Hönke mahnt dringend, nicht in Panik zu verfallen und den Sport auch künftig als Mittel zum gesellschaftlichen Ausgleich zu nutzen. „Es gibt kein besseres Medium, um Menschen unterschiedlicher Religionen zusammenzuführen.“ Seinen Appell teilen andere, die in der Fußballszene des Kreises aktiv sind. Der Tenor lautet: Lasst Euch nicht beirren, geht ins Stadion!

Das Geschehen in Hannover – für Hönke kaum überraschend: „Ein Irrglaube, dass uns das nicht erreicht, wir haben bislang nur Glück gehabt“, sagt der HSV-Anhänger. „Das löst natürlich ein mulmiges Gefühl aus, aber wir dürfen uns nicht komplett paralysieren lassen“, so der VfL-Geschäftsführer, der in Kürze Hunderte Menschen zu einer Turnveranstaltung in eine Sporthalle bitten wird. Es sei wichtig, stets hochsensibel zu reagieren. Keinesfalls aber sei es richtig, Veranstaltungen fernzubleiben – oder aus Angst abzusagen. Er werde weiterhin ins Stadion gehen, Konzerte besuchen. „Und den Pinneberger Weihnachtsmarkt“, so Hönke. Neben ihm sitzt Deniz Salakoslu, 38, Ex-Judoka beim VfL. Und glühender Fan des Rautenclubs. Ob er am Freitag ins Stadion geht? „Natürlich“, antwortet Salakoslu. Von seinen Kumpels bleibe niemand fern. Hönke: „Das wäre auch das falsche Zeichen.“

Von seinem Arbeitsplatz in Bahrenfeld wird sich am Freitag Marcel Reinke, 29, zu Fuß in den Volkspark begeben, sich dort mit Freunden treffen. „So wie immer.“ Dann allerdings hofft der Koordinator der Fußball-Herrenteams des TSV Uetersen auf besonders gründliche Einlasskontrollen. „Das würde mir ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.“ Dem HSV-Spiel gegen Dortmund fernzubleiben, das kommt dem Dauerkarteninhaber nicht in den Sinn. „Ich habe einmal tief durchgeatmet. Dann stand für mich fest, dass wir uns nicht vergraben und alle öffentlichen Veranstaltungen meiden dürfen. “

Arno Braeger, 64, wundert sich ohnehin, dass die Bundesliga-Clubs die Zahl ihrer Sicherheitskräfte nicht längst deutlich aufgestockt haben. „Mir wird ganz anders, wenn ich sehe, wie leicht es immer noch ist, Pyrotechnik in die Stadien zu schmuggeln“, sagt der Teamchef des SC Pinneberg. „Anstatt hohe Strafen zu zahlen, sollten die Clubs das Geld lieber in ihre Ordnungsdienste investieren.“ Thomas Bliemeister, Trainer der SV Halstenbek-Rellingen und der HSV-Altliga, stellt kein verändertes Verhalten fest. „Von 28 Spielern im Altliga-Kader haben zwölf ihre Ehrenkarten abgerufen. Das ist die übliche Quote.“ Er sorge sich inzwischen eher, wenn seine Kinder Konzerte besuchten. „Ab jetzt lauert die Gefahr überall.“ Andreas Wilken, 47, verdrängt jegliches mulmige Gefühl. „Dem Terror beuge ich mich nicht.“ Wenn der Fußball-Abteilungsleiter von Blau-Weiß 96, früher Berufssoldat im Auslandseinsatz, seine HSV-Dauerkarte gegen Dortmund nicht in Anspruch nimmt, dann nur deshalb, weil die Schenefelder Landesligakicker gleichzeitig ein Punktspiel gegen den FC Elmshorn austragen.

Dass Islamismus auch vor der eigenen Haustür zum Problem werden kann, wissen die Menschen im Kreis Pinneberg spätestens seit 2011, als in der Stadt Pinneberg mit Denis Cuspert alias „Deso Dogg“ eine zentrale Figur der Szene in einer Hinterhofmoschee auftrat. Ein Mann, der später in Syrien als Kämpfer des islamischen Staats mit abgeschlagenen Köpfen posierte. Zwar wurde die Moschee nach diesem Auftritt von den Behörden geschlossen. Ein damals 18-jähriger Pinneberger, der die Einrichtung besucht hat, musste sich jedoch vor Gericht verantworten, nachdem er den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde in Pinneberg bedroht hatte. Einige der damaligen Moscheebesucher sind noch heute im Stadtbild präsent. Polizeichef Matthias Wieske weiß das. Er lässt durchblicken, dass die Gruppe beobachtet wird. „Der Staatsschutz ist häufig vor Ort“, so Wieske.