Pinneberg. Überall im Kreis Pinneberg herrscht nach den Pariser Anschlägen Bestürzung. Eine an der Seine aufgewachsene Pinneberger Künstlerin berichtet von dramatischen Stunden

Das Telefon läutet. Mouna Ramcke verlässt kurz den Raum. Aus der Küche sind Wortfetzen zu hören. Es sind französische Silben. „Meine Schwester aus Paris“, sagt die 63-Jährige, als sie in den Wintergarten ihres Hauses zurückkehrt. Seit Freitagabend glühen zwischen Pinneberg und der von Terrorattacken erschütterten Metropole an der Seine die Drähte. Kein Wunder: Ramcke, die seit 1981 mit ihrem Mann Hubert an der Pinnau lebt, weiß viele ihrer Familienmitglieder im 900 Kilometer entfernten Paris. Einer ihrer Neffen wohne wenige Hundert Meter vom Rockclub „Bataclan“ entfernt, in dem islamistische Attentäter vor vier Tagen ein Blutband anrichteten. „Es geht ihm gut“, sagt Ramcke. Das habe sie noch am späten Freitagabend erfahren. „Fassungslos und erschüttert“ habe sie die Geschehnisse vor dem Fernseher verfolgt. Dass der Terror Paris, die Stadt ihrer Kindheit, verändern werde, sei unzweifelhaft. Dass sich deren Bewohner nicht brechen lassen ebenso: „Franzosen sind stolz und trotzig. Sie gehen nicht in die Knie, sie leben die Freiheit.“

Französische Sender berichten zunächst nicht

Mouna Ramcke ist Fußballfan. Natürlich sitzt sie vor dem Fernseher, als das deutsche Nationalteam am Freitagabend in Paris gegen die Équipe Tricolore spielt. Schon beim ersten lauten Knall habe sie gezuckt. Nach der zweiten Detonation sei ihr klar gewesen, das etwas Schreckliches passiert sein musste. Die Stimme des Moderators habe Bände gesprochen. Wie auch die Reaktionen auf der VIP-Tribüne des Stadions, wo Präsident François Hollande seinen Platz räumte. „Ich habe auf französische Sender umgeschaltet, aber es gab dort keinerlei Informationen“, so die 63-Jährige. Nachrichten seien wohl zurückgehalten worden, um eine Panik im Stadion zu verhindern, vermutet die Französin.

Mouna Ramcke hat in Algerien das Licht der Welt erblickt. An ihre früheste Kindheit hat sie jedoch keine Erinnerungen. Zur Heimat wurde für die Künstlerin, die in Pinneberg ein Atelier betreibt, Frankreich. Vor allem Paris, wo sie ihr Abitur machte, bevor sie im Ausland studierte. Die Stadt der Kunst. der Liebe. Und der Freiheit. „Eben das ist der Grund, warum Terroristen diesen Ort wählen. Sie treffen uns alle, weil sie Werte angreifen, die uns verbinden“, sagt Ramcke.

Von Deutschland, dem Land, in dem sie seit 34 Jahren lebt, verspricht sich Ramcke Solidarität. Und die spürt sie auch: „Es berührt mich, Menschen zu sehen, die in Berlin Blumen niederlegen.“ Dass die Deutschen gemeinsam mit den Franzosen in einen Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat ziehen, erwartet sie nicht. „Ich bezweifle, dass Bomben eine Lösung sind.“ Vielmehr müsse es darum gehen, Hintermännern des Terrors den Geldhahn zuzudrehen, von Öl-Deals und Waffenlieferungen in die Region abzusehen. Eines stellt Ramcke unmissverständlich klar: „Es gibt in Frankreich Furcht vor Extremismus, aber keine vor dem Islam.“

Ist ein normales Leben in Paris nach den jüngsten Attacken und dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ vom Januar überhaupt noch möglich? Für ihre Familie ja, wie Mouna Ramcke betont. Überlegungen, Paris den Rücken zu kehren, gebe es nicht. „Die Menschen dort werden weiterhin in Restaurants essen und vor Weihnachten in großen Kaufhäusern einkaufen“, ist sie sicher.

Mouna Ramcke war erst kürzlich in der Stadt ihrer Kindheit. Im Oktober. Die angespannte Sicherheitslage sei offenkundig gewesen: „In der Metro waren viele Uniformen zu sehen.“ Verhindert haben die Beamten das Grauen vom Freitag nicht. Ramcke macht sich nichts vor. „Es wird wieder passieren. Vielleicht auch hier, in Deutschland“, sagt sie. Sorge bereite ihr aktuell der in Paris anstehende Klimagipfel, für den Polizei aus dem ganzen Land zusammengezogen werde. Ordnungskräfte, die dann womöglich in Marseille oder Toulouse fehlten.

Wieder läutet das Telefon. Erneut die Schwester aus Paris. Sie will reden. Über die neuesten Entwicklungen. Am Abend wird Mouna Ramcke wieder vor dem Fernseher sitzen und dem Nachrichtensprecher lauschen. Einem, der Französisch spricht. „Die Acht-Uhr-Nachrichten auf France 2 sind Tradition“, sagt sie. Ein Stück Heimat in diesen Tagen – abseits des Telefons.