Pinneberg/Elmshorn. Über Herausforderungen, denen sich die Kirche stellen muss, sprachen die Propste Thomas Bergemann und Thomas Drope

Muss die Kirche als Arbeitgeberin attraktiver werden? Wie weit müssen sich Gemeinden Flüchtlingen und auch anderen Religionen öffnen? Können Pastoren flächendeckend ihre Aufgaben noch wahrnehmen? Propst Thomas Bergemann vom Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf und Propst Thomas Drope vom Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein, trafen sich in der Redaktion des Hamburger Abendblatts in Pinneberg zum Gespräch über Herausforderungen, denen sich die Kirche stellen muss.

Hamburger Abendblatt: Immer weniger junge Leute entscheiden sich für ein Theologie-Studium. Gleichzeitig gehen ab 2017 viele Pfarrer der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand. Vor welche Herausforderungen stellt Sie das?

Thomas Bergemann: Es gab einen Einbruch in den 80er-Jahren, seitdem sind die Studentenzahlen auf konstantem Niveau.

Thomas Drope: Das hat sich negativ auf die Fakultätslandschaft ausgewirkt. Wir mussten zentralisieren. Weniger Studenten heißt auch weniger Professoren. Das ist für das Niveau der Ausbildung nicht gut. Die Kirche hat das erkannt und geht das Problem aktiv an. Wir haben spezielle Stellen geschaffen. Zwei Nachwuchs-Beauftragte sollen im Auftrag der Nordkirche das Interesse bei Schülern für das Theologiestudium wecken, auch mit der Perspektive Pastor oder Pastorin zu werden.

Das Studium dauert sieben Jahre plus zwei Jahre Vikariat. Auch wenn die Studentenzahlen steigen, wird es dauern, bis freie Stellen besetzt werden können.

Bergemann : Es wird ein Delta geben zwischen denen, die in den Ruhestand gehen und jenen, die nachrücken. Das wird eine Herausforderung. Zuvor gab es Sorgen, dass wir Stellen aus finanziellen Gründen nicht besetzen können, nun fehlen uns die Köpfe.

Gerade Stellen auf dem Land sind schwer zu besetzen. Müssen hier zusätzliche Anreize geschaffen werden? Wie können diese aussehen?

Bergemann : Die Landeskirche kann schlecht Zwang anwenden, um jemanden aufs Land zu bekommen. Stattdessen haben aber Kirchengemeinden und Kirchenkreise zum Beispiel die Möglichkeit, ihre Pastorate auf den neuesten energiewirtschaftlichen Stand zu bringen, um das Umfeld der Stelle attraktiv zu gestalten.

Drope: Wenn Pastoren in den Probedienst treten, werden sie beauftragt, in bestimmte Regionen zu gehen. Bislang ist das die einzige Steuerungsmöglichkeit, die wir haben. Besonders in Mecklenburg sind einige Gegenden pastoral unterbesetzt. Also werden Berufseinsteiger dorthin beauftragt. Gesamtkirchlich gesehen ist das aber in Ordnung. Es muss eine Verteilung geben. Die Pastoren sind auch bereit, dort wo sie hinkommen, ihren Dienst zu tun.

Was tut die Kirche, um den Pfarrberuf wieder attraktiver zu machen?

Drope : Die Wohnsituation muss geklärt sein, die Pastorate müssen gut in Schuss sein. Kirchengemeinden, die energetisch sanieren, haben einen Vorsprung. Schwierig wird es, wenn die Infrastruktur problematisch ist, es keine Kindergärten, Schulen oder Ärzte gibt. Daran müssen wir noch alle arbeiten.

Bergemann: Wir müssen die Dienstwohnungspflicht lockern. Wenn Gemeinden kein passendes Pastorat haben, sollten sie die Möglichkeit haben, für die Pastoren Wohnungen oder Häuser je nach Familiensituation anzumieten. Das wird durch die Dienstwohnungspflicht in ihrer jetzigen Form erschwert. Die Residenzpflicht, also dass der Pastor auf dem Gebiet der Gemeinde wohnt, halte ich hingegen für sinnvoll.

Wie wollen Sie die flächendeckende Versorgung der Gemeinden sicherstellen?

Bergemann: Allein die Zuweisung der Vikare wird künftig nicht reichen. Das sind für die Landeskirche mehr als 40 pro Jahr – ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts 100 oder 150 Pastoren, die im gleichen Zeitraum in den Ruhestand gehen. Wir müssen weitere Steuerungsmöglichkeiten prüfen. Einen Masterplan habe ich dafür nicht in der Tasche.

Drope: Wir halten daran fest, dass Kirche flächendeckend erreichbar sein soll. Dafür braucht es aber nicht in jedem Dorf einen Pastor. Er kann für drei oder vier Dörfer zuständig sein.

Worin sehen Sie Gründe für das schwindende Interesse?

Drope : Anfang des Jahrtausends wurden Pastoren schlechter bezahlt, Theologenpaare mussten sich auch eine Stelle teilen. Aus finanziellen Gründen wurden weniger Studienabsolventen übernommen. Das hat viele verunsichert und abgeschreckt. Jungen Menschen ist ein sicherer Beruf wichtig, die Karriere ist zweitrangig. Mittlerweile hat sich die finanzielle Situation stabilisiert. Wir können auch in zehn Jahren Stellen anbieten für die, die es wollen. Dafür werden jetzt Rücklagen gebildet.

Muss die Kirche als Arbeitgeberin attraktiver werden?

Bergemann : In bestimmten Punkten ist Kirche schon jetzt ein attraktiver Arbeitgeber, zum Beispiel, was die Besoldung betrifft und die Altersabsicherung durch den Pensionsfonds. Aspekte wie Work-Life-Balance werden wichtiger. Viele Gemeindemitglieder glauben, der Pastor müsste ständig ansprechbar sein, und auch viele Pastoren selbst erheben den Anspruch an sich. Auszeiten wie dreimonatige Sabbaticals ermöglichen einen Ausgleich. Hier müssen wir prüfen, wie wir trotz personeller Engpässe Vertretungssituationen schaffen können.

Drope: Der Pastor muss nicht ständig und überall da sein und alles perfekt machen. Das erwarten wir nicht. Wir sind Menschen, können auch krank werden, an Grenzen stoßen. Das sieht die Evangelische Kirche als Arbeitgeber und Dienstherr genauso.

Durch Zusammenlegungen von Gemeinden sind Pfarrer für immer größere Gemeinden zuständig. Darunter leidet der persönliche Kontakt mit dem Gemeindemitglied, der grundlegend für die Bindung an die Kirche ist. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

Drope : Mit der Zusammenlegung der Gemeinden sind wir nicht so schnell wie die katholische Kirche in den letzten Jahren. An manchen Stellen würde es sich allerdings anbieten, dass die Gemeinden nicht nur kooperieren, sondern auch zusammengehen. Das Tempo ist noch überschaubar. Wenn wir einmal weniger Pastoren haben, dann könnte das allerdings größere Gemeindezuschnitte bedeuten. In der Evangelischen Kirche gibt es das Priestertum aller Getauften: Jeder ist dazu berufen, pastorale Aufgaben wahrzunehmen. In der Propstei Pinneberg gibt es Prädikanten, die Gottesdienste und Trauerfeiern übernehmen. Sie erhalten eine dreijährige Ausbildung. Das ist ein guter Weg und hat etwas Urreformatorisches. Es wurde gerade ein neues Gesetz verabschiedet, das regelt, wie in diesem Fall das Seelsorgegeheimnis gewahrt werden kann.

Ist das damit gemeint, wenn die Landessynode Ortsgemeinden und Kirchenkreise ermutigt „neue Formen kirchlichen Lebens und missionarischen Handelns“ auszuprobieren?

Drope : Im Grunde gab es die Freiheit zum Experimentieren schon vorher. Aber manchmal muss es noch mal ausgesprochen werden. Jede Gemeinde hat ein unterschiedliches Umfeld. Ein starres Korsett passt da nicht. Wir müssen auch unsere Gottesdienstformen anpassen. In die Christuskirche in Pinneberg kommen immer mehr Syrer zum Gottesdienst. Nun überlegen sich die Pastoren dort ein Konzept, wie sie die Flüchtlinge einbinden können. Das ist eine große Herausforderung, und es wird uns verändern. Das finde ich gut.

Bergemann: Problematisch wird es, wenn Menschen sich nur an Altbewährtes klammern. Es ist wichtig, etwas Neues auszuprobieren. Manchmal merken wir, es funktioniert nicht, so what? Landen wir in einer Sackgasse, drehen wir wieder um und korrigieren.

Das klingt etwas orientierungslos...

Bergemann : Inwiefern? Sind Sie noch nie in der Sackgasse gelandet? Erstaunlich. Das gehört doch zum Leben, dass man etwas ausprobiert. Wie sollen Sie sonst feststellen, was funktioniert?

Drope: Wir orientieren uns immer wieder neu, sind im ständigen Dialog. Ein Theologe hat das mal die Kommunikation des Evangeliums genannt, das trifft es genau. Er hat eine Ladenkirche erfunden, um dichter an den Menschen dran zu sein. Wir haben die Aufgabe, was im Evangelium steht, mit dem, was im Leben passiert, konkret in Verbindung zu bringen.

Auf der letzten Landessynode der Nordkirche wurde geraten, sich Menschen anderer Sprachen und Herkunft zu öffnen. Ein wichtiger Punkt wurde ausgeklammert: anderer Religionen. Viele Flüchtlinge sind Muslime. Wie geht die evangelisch-lutherische Kirche damit um?

Drope : Interreligiösität ist ein spannendes Feld. Da sind wir richtig am Lernen. Dialog ist das Stichwort. Oder auch Trialog wie wir ihn in Pinneberg gemeinsam mit der jüdischen und islamischen Gemeinde pflegen. Wir müssen nicht immer die gleiche Position haben. Aber wir können uns austauschen und auch mal zusammen beten. Diese Öffnung ist wichtig, auch den vielen Menschen gegenüber, die bei uns Zuflucht suchen. Wir sind an einem Punkt, wo wir noch nicht wirklich wissen, wo wir am Ende herauskommen werden.

Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Der Zustrom an Flüchtlingen macht vielen Menschen Angst.

Drope : Der Wechsel in der medialen Wahrnehmung geht mir sehr schnell. Bis vor Kurzem waren alle der Meinung, wir schaffen das. Plötzlich lese ich überall, die Stimmung kippt. Die Umfrageergebnisse geben das nicht wieder und meine Beobachtungen auch nicht. Zu uns kommen laufend Ehrenamtliche, die helfen wollen. Die einzigen, die ein Kippen der Stimmung wahrnehmen, sind diejenigen, die darüber schreiben. Ich sehe den Stimmungsumschwung nicht. Ich sehe aber eine Kon-stante und die heißt Pegida.

Sie haben das Gefühl, dass die Stimmung im Land medial gesteuert ist?

Drope: Gesteuert ist ein großes Wort. Es gibt einen Mainstream, bei dem ich mich frage, was soll damit erreicht werden? Die „Bild“-Zeitung schrieb, es seien in diesem Jahr noch 1,5 Millionen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen. Das ist aus der Luft gegriffen. Bis September waren es 710.000. Das ist auch echt viel. Städte wie München oder Hamburg tragen die größte Last. In anderen Gegenden kommen gar keine Flüchtlinge an. Die 1,5 Millionen werden wir nie erreichen. Umgekehrt fand ich die anfängliche Euphorie auch nicht sachlich.

Die CSU als christliche Partei fordert, die in Deutschland die Grenzen dicht zu machen. Was halten Sie davon?

Bergemann : Nichts. Grenzen dicht zu machen ist absurd und selbst wenn es ginge nicht erstrebenswert. Wer allein die „Bild“-Umfragen zur Grundlage nimmt, um einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung ausmachen zu wollen, den finde ich zumindest fahrlässig. Ich teile die Meinung, dass es diesen Stimmungsumschwung in dem in manchen Medien beschriebenen Ausmaß nicht gibt. Das Problem ist, dass wir in Teilen im Osten Gegenden haben, die braun beherrscht sind und wo zunehmend Lokalpolitiker Ämter niederlegen, weil sie sich einem braunen Mob ausgesetzt fühlen. Das ist das Problem. Das müsste jeden Tag eine große Schlagzeile wert sein.

Drope: Für jeden Tag des Jahres gibt es einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft. Das sind Menschen aus der gesellschaftlichen Mitte, die das machen. Angst kann man haben und Sorgen müssen auch artikuliert werden. Aber wenn jemand glaubt, deswegen Gebäude angreifen zu müssen, in denen Menschen schlafen, das ist kriminell. Wenn ich die Bilder von Demonstranten in Dresden sehe, die einen Galgen tragen, dann wird mir schlecht. Und es ist mir nicht klar, warum man polizeilich nicht härter gegen sie durchgreift.

Muss Kirche nicht noch lauter auf Missstände aufmerksam machen?

Bergemann: Es gibt jede Menge kirchlicher Initiativen, katholisch wie evangelisch, die seit Jahren darauf hinweisen. Aber es geht sicherlich noch lauter. Die Möglichkeiten, sich umfassend zu informieren, sind da.

Die Kirchenkreise

Zum Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein gehören die Propsteien Pinneberg, Niendorf-Norderstedt und Altona-Blankenese. Zu ihm gehören Ballungszentren, urbane Großstadtsiedlungen, Kleinstädte und ländliche Dörfer. In den drei Propsteien gibt es 55 Kirchengemeinden, 76 Kirchen und 235.000 Gemeindeglieder. Betreut werden sie von 130 Pastorinnen und Pastoren, die auf 2500 kirchliche Mitarbeiter und etwa 5500 Ehrenamtliche zählen können. Der Kirchenkreis unterhält 85 Kitas.

Der Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf hat etwa 100.000 Gemeindeglieder und verläuft von Elmshorn und Barmstedt im Süden über Glückstadt und Itzehoe bis nach Wilster. Der Kirchenkreis ist der zweitkleinste der Nordkirche. Er verfügt über 38 Kirchengemeinden und 48 Kirchen mit 67 Pastorinnen und Pastoren, etwa 1000 Mitarbeiter sowie viele ehrenamtlich Tätige. Der Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf unterhält 42 Kindertagesstätten.