Helfer des THW und der Feuerwehr poben den Ernstfall an den Strommasten der Tennet in Kummerfeld. Leichtsinnige Fassadenkletterer stellen zunehmend ein Problem dar.
Kummerfeld. 30 Meter über der Erde hängt Jan Lescow im Stahlgewirr eines Strommastes fest. Ein selbstmörderischer Fassadenkletterer, der plötzlich Angst bekommen hat und wieder herunter will, sich aber nicht mehr traut. „Es gibt aus Russland das Fassadenklettern als Trend, der sich immer mehr verbreitet. Diese Leute klettern ohne Sicherung auf Gebäude, um dort Bilder von sich zu machen. Nicht alle wissen, wie sie wieder herunterkommen sollen. Dumm gelaufen, könnte man sagen“, sagt Markus Knobelsdorf. Doch die Rettung ist in Kummerfeld bereits vor Ort – zum Glück handelt es sich um eine Übung, auch der Kletterer spielt nur eine Rolle.
Knobelsdorf ist Gruppenführer des Höhenrettungsteams von THW und Feuerwehr im Kreis Pinneberg. Er gibt Anweisungen, Seile und Karabinerhaken werden vom Team umgeschnallt, Helme aufgesetzt, Sicherungsleinen befestigt und hundertfach eingeübte Positionen eingenommen. Dann klettert der Uetersener Oberlöschmeister Sven Duus mit einer knapp 25 Kilogramm schweren Ausrüstung die Sprossen des Strommastes vorsichtig hinauf.
Nach einigen Minuten ist auch er in 30 Metern Höhe angekommen, nähert sich dem Fassadenkletterer. Dem wird in luftiger Höhe eine Rettungswindel umgelegt, Seile werden befestigt, Karabinerhaken eingeklinkt. Dann seilt sich Duus vorsichtig ab, Lescow hängt an seinem Gurt und baumelt in der Luft. Das Team am Boden hält die Seile und achtet darauf, dass das Duo ohne Schwingungen und sicher unten ankommt. Wenige Minuten später sind sie am Boden. Knobelsdorf ist zufrieden mit der Leistung des Teams.
„Alles okay, das war recht einfach“, sagt Duus, streckt den Daumen hoch in die Luft. Der Einsatz ist für ihn Routine. Dennoch übt das Höhenrettungsteam regelmäßig Einsätze wie diesen, um im Ernstfall alles richtig zu machen und schnell helfen zu können. Jan Lescow hat die Rolle als Fassadenkletterer auch gefallen. Er hatte vom Strommast einen schönen Ausblick auf die Landschaft.
Die Idee zu der Übung hatte Torben Wohlers. „Als ich die Strommasten gesehen habe, die die Tennet hier baut, dachte ich, das passt, das machen wir“, sagt Wohlers, der ebenfalls Höhenretter und Oberlöschmeister ist. Er kontaktierte das Netzunternehmen und das sagte prompt zu, bei der geheimen Übung, von der die Kollegen von Wehr und THW zunächst nichts wussten, mitzumachen. „Wir haben ja auch etwas davon. Wenn einem unserer Arbeiter dort oben etwas passieren sollte, wissen wir, dass Hilfe da ist“, sagt Markus Lieberknecht von Tennet, der mit seinem Kollegen John Karl Hermann die Übung begleitet hat. „Passiert ist noch nie etwas beim Bau der Strommasten, aber sicher ist sicher.“
Möglichkeiten, die Höhenrettung zu üben, gebe es nicht allzu oft, sagt Wohlers. Daher seien Bauprojekte wie die der Tennet auch begehrt bei Spezialrettungsteams. „Es gibt immer Situationen, wo ein Einsatz notwendig werden könnte, etwa auf einer Windkraftanlage oder einem Baukran. Dafür müssen wir gerüstet sein“, sagt Ausbilder Gerd Kaßner, der 1999 das Team gegründet hat.
Seit 2006 ist die Gruppe als Verein offiziell eingetragen und für Einsätze bis zum Nord-Ostsee-Kanal gerüstet. 15 aktive Mitglieder von Feuerwehr und THW sind in der Gruppe, zehn Anwärter gibt es derzeit. „Die Gruppe ist begehrt bei Rettern, einige muss man in ihrer Euphorie ein wenig bremsen“, sagt Kaßner. Wer in der Gruppe mitmachen will, der muss eine harte Ausbildung absolvieren. 120 Stunden dauert die Ausbildung, 72 Stunden für Fortbildungen kommen pro Jahr hinzu – parallel zu den sonstigen Aufgaben bei THW und Feuerwehr.
Einen Großteil der Spezialausrüstung müssen die Mitglieder selbst finanzieren. Allein eine Seilwinde kostet 150 Euro und mehr. Und spätestens alle zehn Jahre muss das komplette Material von Seilen bis zum Helm ausgetauscht werden, um Ermüdungsbrüchen vorzubeugen. „Weil wir das alles selbst und über einen Förderverein finanzieren, ist unsere Ausrüstung auch ein wenig bunt und uneinheitlich“, sagt Knobelsdorf. Der eine trägt rot, der andere blau, der dritte schwarz. Nicht so wichtig, meint er und grinst. „Die Hauptsache ist doch, dass das Material funktioniert und die Rettung klappt.“