Stress und Leistungsdruck belasten Familien. In einer neuen Gruppe des Frauentreffs Elmshorn gibt eine Psychologin Tipps zur gewaltfreien Kommunikation. Die Strategie umfasst vier Schritte.
Elmshorn. Die Vierjährige hat einen Anhänger aus dem Schmuckkästchen ihrer Mutter genommen, ohne zu fragen. Als die Mutter nach dem Schmuckstück fragt, streitet das Mädchen ab, es zu haben. „Erst bestiehlst du mich und dann lügst du auch noch“, so könnte die Mutter reagieren. Die Situation würde im Streit und vermutlich mit Tränen enden. Sie fragt ihre Tochter jedoch, ob ihr der Anhänger denn so gut gefallen hätte, dass sie ihn einfach haben musste. Das Mädchen sieht ihre Mutter erleichtert an und nickt. Behalten darf sie ihn zwar nicht, aber wenn sie fragt, leiht die Mutter ihn ihr aus.
Mit dem Beispiel veranschaulicht Psychologin Nicola Repnow das Prinzip der gewaltfreien Kommunikation. „Alle Mütter wünschen sich einen friedvollen Umgang mit ihren Kindern“, sagt die Elmshornerin. Stress im Alltag oder Lebenskrisen verhindern aber häufig ein harmonisches Familienleben. „Dann hilft es, wenn die Frauen auf eine Strategie zurückgreifen können, mit der sie schwierige Situationen in der Erziehung meistern.“ Dieses Handwerkszeug möchte Repnow in einer psychologisch angeleiteten Müttergruppe im Frauentreff Elmshorn vermitteln.
„In vertrauensvoller Runde können Mütter hier Erfahrungen austauschen und offen über Probleme reden“, sagt Lisa Schnelten vom Frauentreff Elmshorn. Die Beratungsstelle vom Verein „Frauen helfen Frauen in Not“ wurde 1988 eröffnet und vereint Beratung, Notruf für Vergewaltigungsopfer, Schwangerschaftsberatung, Mutter-und-Kind-Stiftung sowie einen Treffpunkt für Frauen unter einem Dach.
In der neuen Müttergruppe lernen Teilnehmerinnen unter anderem Methoden aus der gewaltfreien Kommunikation kennen, die auf vier Schritten beruht. „Zunächst sollte man die Situation nur beobachten, ohne zu bewerten“, sagt Repnow. Dann gilt es, Gefühle und Bedürfnisse zu erkennen und eine Bitte zu formulieren. Vorwürfe führen in die Sackgasse. Statt „Immer kommst du spät“ besser neutral formulieren: „Wir waren um zehn Uhr verabredet. Jetzt ist es 10.30 Uhr.“ Das Bedürfnis, das hinter der Wut über das Zuspätkommen stehen könnte: Der Wartende möchte seine Zeit sinnvoll nutzen. Die Bitte, die er formuliert: „Es ärgert mich, wenn ich warten muss. Sei bitte pünktlich.“
Ich-Botschaften bringen mehr als Du-hast-Formulierungen, die den Gegenüber in eine Abwehrhaltung zwingen. „Die Verantwortung für unsere Gefühle liegt bei uns“, sagt Repnow. Schon Empathie habe eine heilende Wirkung und lasse sich trainieren. Gemeint sei nicht nur das Mitgefühl für andere, sondern auch für sich selbst. Viele Frauen stellten zu hohe Ansprüche an sich. Sie sollten sich davon verabschieden, perfekt sein zu wollen. „Ich möchte die Frauen stärken, den Druck rausnehmen und mit ihnen auch auf die Seiten schauen, die gut laufen“, sagt Repnow.
Besonders Alleinerziehende hätten es schwer – und das seien immerhin gut 80 Prozent aller Klientinnen des Frauentreffs, so Schnelten. Sie würden nicht von der Familie aufgefangen. Dabei sei gerade in den ersten drei Jahren nach der Geburt ein soziales Netzwerk wichtig. Auch in Partnerschaften seien Mütter oft auf sich allein gestellt – auch weil Männer beruflich stark eingespannt und Unternehmen vielfach familien-unfreundlich seien. „Die Familienrolle hat sich verändert“, sagt die Expertin.
Die Terminplanung ist eng, der Stress groß, Betreuungsplätze Mangelware. Familien sind oft finanziell schlechter gestellt als Kinderlose; Alleinerziehende leben häufig an der Armutsgrenze. Beengte Wohnverhältnisse fördern Konfliktpotenzial. „Unsere Gesellschaft bietet Kindern wenig Raum“, sagt Repnow. Sie bräuchten Zeit und liebevolle Pflege. Doch die Leistungsgesellschaft verlange, dass sie funktionieren. „Ein krankes Kind muss schnell genesen, weil seine Mutter befürchtet, ihren Arbeitgeber zu verärgern.“
Auf der anderen Seite scheinen Kinder dem Leistungsdruck immer weniger gerecht werden zu können. Viele zeigen Verhaltensauffälligkeiten. So schrieb das schleswig-holsteinische Ärzteblatt bereits in der Ausgabe vom September 2011, dass jedes zweite Kind eine Auffälligkeit in den Bereichen Sehen, Sprechen, Hören, Motorik oder Lernfähigkeit aufweist. Und während Ende der 80er-Jahre bei rund 20 Prozent der Kinder bei Schulantritt eine Störung der Sprachentwicklung registriert wurde, waren es 2010 bereits 34 Prozent. Aus dem Druck resultieren Aggressionen, Ängste, Essstörungen, Süchte und Verhaltensauffälligkeiten, die auf das Familienleben einwirken.
Auf gesellschaftliche Phänomene können Mütter nur beschränkt einwirken. Im Kleinen lasse sich aber dagegensteuern, da sind sich Schnelten und Repnow einig. Ein Ausflug ins Grüne, den Medienkonsum beschränken, Instinkten stärker vertrauen, aber auch achtsam mit den eigenen Bedürfnissen umgehen sowie schauen, wie es zur Eskalation kommt und wie die Weichen anders gestellt werden können. Wie das aussehen könnte, verdeutlicht das anfängliche Beispiel – übrigens kein fiktiver Fall, sondern ein Beispiel aus Repnows Alltag. Sie ist Mutter zweier Kinder im Alter von 6 und 10 Jahren.
Für die psychologisch angeleitete Müttergruppe sind zehn Treffen vom 22. September bis zum 8. Dezember, von 8.30 bis 10.30 Uhr im Frauentreff Elmshorn, Kirchenstraße 7, geplant. Anmeldung: 04121/6628.