Ermittlungen gegen den Ex-Geschäftsführer Schlick laufen weiter. Die Privatisierung war lange geplant. Noch sind 1000 Akten ungesichtet.
Kreis Pinneberg. Genau zwei Jahre ist es her, dass der Kreistag im Hau-Ruck-Verfahren das mit 2500 Mitarbeitern größte Unternehmen des Kreises Pinneberg zu drei Vierteln verkauft hat. Seitdem hat die Sana AG aus München das Sagen im Krankenhausbetrieb Regio-Kliniken. So umstritten der Verkauf politisch war - ein Bürgerentscheid dagegen scheiterte nur knapp - so sind die Hintergründe bis heute weitgehend im Dunkeln geblieben.
Zwar geht der Landesrechnungshof Kiel in seinem mehr als 90 Seiten umfassenden Prüfbericht inzwischen davon aus, dass der damalige und kurz vor der Privatisierung geschasste Geschäftsführer Alexander Schlick Aufsichtsrat und Politik hinters Licht führte und mit einer beispiellosen Einkaufstour den Klinikbetrieb des Kreises beinahe in die Pleite führte. Auch das Ermittlungsverfahren wegen Bestechung und Bestechlichkeit gegen Schlick läuft noch, bestätigt die Staatsanwaltschaft Kiel. "Das wird auch noch mindestens vier Monate dauern", sagte eine Sprecherin. "Wir müssen noch die Beweismittel von 1000 beschlagnahmten Akten sichten."
Doch dass die Privatisierung der Kliniken von langer Hand geplant und gezielt betrieben wurde, war bislang Spekulation. In einem zweiteiligen Dossier zeichnet das Abendblatt die dramatische Entwicklung der Jahre 2003 bis 2009 noch einmal nach. So wurde über eine Privatisierung der seinerzeit noch vier Krankenhäuser schon Mitte 2003 in der Kreisverwaltung offen diskutiert. "Mir rannten Investoren die Bude ein", erinnert sich der damalige Landrat Berend Harms. Er führte bereits Sondierungsgespräche mit bestimmt acht Interessenten und favorisierte ein gGmbH-Modell, das dem Kreis die 51-Prozent-Mehrheit gelassen hätte. Doch bevor es zu weiteren Entscheidungen kam, lief seine Amtszeit ab. Sein Nachfolger Wolfgang Grimme wusste das, so Harms. "Das war kein Geheimnis. Darüber wurde offen geredet."
So war es kein Wunder, dass Diplomkaufmann Grimme gleich in seiner ersten Arbeitswoche ein 150 000 Euro teures externes Gutachten in Auftrag gab, das die Kreiskliniken durchleuchten sollte. Und die Regio-Kliniken blieben sein Schicksal bis zum Ende seiner Amtszeit, als er Ende 2009 über eine 2007 vorgenommene Verlängerung des Arbeitsvertrages von Geschäftsführer Schlick stolperte. Diese hatte Grimme stets dementiert, der LRH jedoch nach Prüfung der Unterlagen bestätigt.
Durch die ständigen Adhoc-Entscheidungen - Schließung des Krankenhauses Uetersen Ende 2004, Verlagerung der Geburtshilfe nach Pinneberg, Expansion, Sale-and-lease-back - wirkt der Niedergang der Kreiskliniken fast unvermeidbar. Und doch könne man eine Strategie dahinter vermuten, so der Vorwurf von SPD-Politiker Hans-Peter Stahl, der in 1990er-Jahren den Krankenhausausschuss leitete und später durchgehend dem Aufsichtsrat der Regio-Kliniken angehörte: "Die Kreiskliniken sind bewusst an die Wand gefahren worden, um sie zu privatisieren." Stahl spricht von einem "Wirtschaftskrimi", der sich hier abgespielt habe. Vorwürfe erhebt auch Mit-Kontrolleur Michael Kissig (CDU). Insbesondere bei Ex-Klinikchef Schlick seien "kriminelle" Machenschaften am Werk. "Schlick hat uns nachweislich belogen."
Als dieser im Januar 2007 allein die Geschäftsleitung übernahm, begann ein atemberaubender Expansionskurs. Schlick kaufte Altenheime, Sanitär-, Pflege- und Reinigungsdienste und gründete ein halbes Dutzend Medizinische Versorgungszentren. Dabei entstanden nicht nur Millionenverluste (2008/09: 22,2 Millionen Euro) und enorme Personalkosten (plus 10,4 Millionen Euro oder 16 Prozent in 2008). Er besetzte die Verwaltung mit ehemaligen Vertrauten, baute eine immens große BMW-Dienstwagenflotte auf und soll befreundete Unternehmen bei Auftragsvergaben begünstigt haben, wie die Staatsanwaltschaft Kiel mutmaßt. Zudem soll Schlick, so der LRH, den Aufsichtsrat der Kliniken mit falschen und geschönten Zahlen manipuliert und die Misere verschleiert haben. Erst Anfang 2009 erfuhr der Aufsichtsrat, dass der aufgeblähte Klinikbetrieb fast eine Million Euro Minus pro Monat machte und kurz vor der Insolvenz stand.
Inwieweit Ex-Landrat Grimme in diese Manipulation verstrickt war, ist noch nicht endgültig geklärt. Der LRH hat angeblich Belege dafür gefunden. Nachdem er lange auf Nachfrage derlei Spekulationen als "Unsinn" abtat, ist Grimme vorsichtiger geworden. Auf Anfrage des Abendblatts wollte er sich zu acht konkreten Fragen nicht mehr äußern. "Kein Kommentar", sagte er nur. Auch gegen Grimme ermittelt die Staatsanwaltschaft noch wegen des Verdachts der Untreue. So spricht der LRH deutlich an, dass dem Kreis mit dem Mehrheitsverkauf "ein erheblicher Vermögensverlust entstanden" sei.
Ex-Klinikchef Schlick war unter seinen bekannten Telefonnummern trotz mehrfacher Versuche des Abendblattes nicht zu erreichen. Nachdem er kurzzeitig in Berlin und Niedersachsen arbeitete, soll er, so die Gerüchteküche, an eine unbekannte Adresse nahe Hannover gezogen sein. In Bad Nenndorf, wo sein Vertrag nach wenigen Tagen wieder aufgelöst wurde, soll sich Schlick, der den Nachnamen seiner Frau angenommen haben soll, unter seinem früheren Familiennamen beworben haben.
Ex-Aufsichtsrat Kissig sieht auch Grimmes Wirken inzwischen kritisch. "Er hat viel zu lange Schlick vertraut und hätte sich viel früher von ihm lösen müssen." Und bei den eilig geführten Verkaufsgesprächen - zwischen dem Grundsatzbeschluss des Kreistages und der Absegnung des Kaufvertrages am 15. Juli 2009 lagen nur fünf Wochen - fühlte sich Kissig aus heutiger Sicht von Grimme nicht ausreichend informiert. Das Risiko des kommunalen Schadensausgleichs habe Grimme auf Nachfrage nur lapidar mit den Worten, "das kann keine große Summe sein", abgetan, erinnert sich der CDU-Politiker. Und auch als er noch vor der notariellen Beglaubigung des Kaufvertrages davon erfahren hätte, dass dies durchaus ein Millionen-Risiko für den Kreis sein könnte, habe Grimme geschwiegen.