Norderstedt. Situation verschlimmere sich immer weiter, sagen Hebammen. Welchen Effekt die Schließung der Geburtsstation in Henstedt-Ulzburg hatte.
Werdende Eltern brauchen bisweilen gute Nerven. Etwa dann, wenn eine Hebamme gefunden werden muss, die die Familie in der Zeit vor und nach der Geburtbetreut. Die Suche nach diesen unverzichtbaren Vertrauenspersonen wird immer schwieriger, besonders in ländlichen Regionen. Im Kreis Segeberg ist die Situation schon seit Jahren schlecht – das Aus der Geburtenstation der Paracelsus-Klinik Henstedt-Ulzburg Ende 2022 hat die Lage noch einmal deutlich verschlimmert.
Der Mangel ist in der Kreisverwaltung bekannt. „Runde Tische“ zur Geburtshilfe in den Jahren 2023 und 2024 hätten verdeutlicht, dass die Versorgung mit Hebammen im Kreis Segeberg „deutlich schlechter ist als erwartet“, sagt die Kreissprecherin Sabrina Müller. Im Kreis seien zwar 100 Hebammen gemeldet, aber die Zahlen entsprächen wohl nicht der Realität. Müller: „Zu erklären ist das nur mit einer fehlenden Abmeldung bei Aufgabe oder örtlichen Verlegung der Tätigkeit.“
Hebammenmangel: „Unsere Schultern werden nassgeweint“
Heike Stollberg, 2. Vorsitzende des Hebammenverbandes Schleswig-Holstein, findet drastische Worte: „Wir können die Masse an Vor- und Nachsorge nicht abdecken. Viele Frauen hängen in der Luft. Wir würden das gerne auffangen, können aber nicht. Unsere Schultern werden nassgeweint.“
Stollberg kennt die Situation im Kreis Segeberg sehr gut. Denn sie wohnt selbst in der Nähe von Kaltenkirchen, arbeitet in der Region als freiberufliche Hebamme und war bis zur Schließung auch in der Geburtenstation der Paracelsusklinik angestellt. Anke Bertram, die 1. Vorsitzende des Verbandes, ergänzt, dass der Mangel ganz Schleswig-Holstein betrifft. Teilweise sei er noch drastischer als im Kreis Segeberg: „Je weiter man nach Norden geht, desto schlimmer wird es.“
Woran es liegt, dass die Versorgung mit Hebammen so schlecht ist
Woran liegt es, dass die Versorgung mit Hebammen auf dem Land so schlecht ist? Immerhin wurden in den vergangenen Jahren in Deutschland einige Anstrengungen unternommen, damit sich mehr junge Menschen für diesen Beruf entscheiden. Eine Gesetzesreform von 2020 wertete den Beruf auf, er kann jetzt nur noch in einem Universitätsstudium erlernt werden. Offenbar trug das auch Früchte, die Zahl der Hebammen war 2023 laut Statistiken bundesweit deutlich gestiegen.
Nur: Sehr viele Hebammen bieten keine freiberufliche Geburtsbetreuung an. Zu den Gründen zählen eine immer noch relativ schlechte Bezahlung, eine sehr hohe Verantwortung mit Haftungsrisiko und nach wie vor recht hohe Versicherungsbeiträge. Viel Bürokratie, die Pflicht, alles zu dokumentieren, ist ein weiteres Thema.
Was es bedeutet, wenn ein Krankenhaus die Geburtenstation schließt
Und dann kommt noch ein weiterer Grund dazu, der viele Erfolge der Ausbildungsinitiative wieder zunichte macht. Deutschlandweit werden nämlich, besonders in ländlichen Regionen, immer mehr Geburtenstationen geschlossen. So auch im Kreis Segeberg, in dem mittlerweile nur noch im Klinikum in Bad Segeberg entbunden werden kann.
Das hat auch Folgen für freiberufliche Hebammen. Welche, schildert Heike Stollberg: „Die meisten Frauen, die Wochebettbetreuung machen, haben auch eine Teilzeit-Anstellung in einer Klinik. Die brauchen sie, um versichert zu sein. Nach der Schließung der Geburtenstation in Henstedt-Ulzburg mussten sich viele etwas Neues suchen, aber eben oft an Orten, die weiter weg sind.“
15 Hebammen waren vom Aus der Geburtshilfe am Paracelsus-Klinikum betroffen
Die Folge: Die Tätigkeiten im Krankenhaus und in der Wochenbettbetreuung in Privathaushalten lassen sich viel schlechter vereinbaren. „Die Hebammen müssen mit dem Auto viel weitere Wege fahren, um zusätzlich noch Wochenbettbetreuung zu machen. Da geht es auch um die Abendstunden und teilweise ist das regelrecht gefährlich“, sagt Heike Stollberg.
Wie sie sagt, waren 15 Hebammen Ende 2022 betroffen von der Schließung der renommierten Geburtenstation in Henstedt-Ulzburg. Einige hätten sich neue Anstellungen gesucht, zum Beispiel in Pinneberg oder Heide.
Heike Stollberg: „Ich habe eine Weile auf einem Wochenmarkt gearbeitet“
Heike Stollberg selbst fand nach der Schließung nicht direkt eine neue Anstellung: „Ich habe dann erst einmal auf einem Wochenmarkt gearbeitet“, berichtet sie. Mittlerweile sei sie, neben ihrer Tätigkeit im Verband, wieder im Raum Kaltenkirchen als Wochenbett-Betreuerin tätig, außerdem „als Leih-Hebamme deutschlandweit unterwegs, um Löcher zu stopfen.“
Ein gutes Drittel der Hebammen, die früher im Paracelsus-Klinikum arbeiteten, hätten komplett den Job gewechselt, berichtet sie. Zu diesem Verlust komme, das aktuell im Kreis Segeberg viele Hebammen in den Ruhestand gingen.
Folge des Mangels: „Frauen sind angespannter, Kinder sind unruhiger“
Wie sich dieser Mangel auf die schwangeren Frauen und letztlich auch auf die Kinder auswirkt, beschreibt Heike Stollberg so: „Die Frauen sind angespannter, verspannter, ängstlicher“, da sie teils gar keine Hebamme als Betreuerin hätten und auch noch mit der Vorstellung leben müssten, erstmal viele Kilometer fahren zu müssen, wenn die Wehen einsetzen.
Die Grundanspannung sei dann auch den Säuglingen anzumerken: „Wir stellen fest, dass die Schreiphasen der Kinder länger sind. Sie sind unruhiger und es gibt auch immer mehr Bindungsprobleme.“
Vorschlag: Regionale Hebammen-Versorgungszentren
Was müsste passieren, um die Situation in der Region wieder zu verbessern? Heike Stollberg und Anke Bertram hätten einige Vorschläge. Wenn schon nicht mehr jedes Krankenhaus eine eigene Geburtsstation hat, müsste es zumindest „regionale Hebammen-Versorgungszentren“ geben. Also Orte, die rund um die Uhr mit Hebammen besetzt sind und an denen Frauen ihre Kinder zur Welt bringen können.
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Für medizinische Notfälle müsste es feste „Verlegungsstrukturen“ geben, also die Möglichkeit, dass eine schwangere Frau im Notfall schnell von so einem Versorgungszentrum mit einem Krankenwagen in ein Krankenhaus gebracht wird.
„Es ist wichtig, dass die Frauen laut werden!“
Anke Bertram hält es für notwendig, im Rahmen der Krankenhausreform die gesamten Strukturen der Geburtsmedizin neu zu denken und dabei auch die Rettungsdienste einzubeziehen. Vor allem aber müsse der Ansatz ein anderer sein als bisher: „Im Zentrum muss die Frage stehen, was Frau und Kind benötigen.“
Von alleine werde das wohl nicht passieren, meinen beide. Heike Stollberg: „Es ist wichtig, dass die Frauen laut werden!“