Bad Segeberg. In Segeberg werden fünf Stolpersteine für jüdische NS-Opfer verlegt. Als Gast berichtet Rozette Kats über ihre traumatische Kindheit.

Anfang Juni werden in der Kreisstadt Bad Segeberg fünf weitere Stolpersteine – es sind die Stolpersteine 46 bis 50 – für jüdische Opfer des NS-Regimes verlegt. Begleitet werden die Stolperstein-Setzungen von Rozette Kats, einer Überlebenden des Holocausts.

Die heute 82-Jährige hat im Januar 1993 die traditionelle Rede zum Holocaust-Gedenktag im Bundestag gehalten und liest zur Stolperstein-Verlegung für Recha Saalfeld am Sonnabend, 1. Juni, aus ihrer eigenen Biografie „Damals hieß ich Rita – Die Geschichte von Rozette Kats“ (Peter Hammer Verlag, 20 Euro) in der „Kalkberg Oase Segeberg“. Geschrieben hat das Buch Lutz van Dijk, illustriert wurde es von Francis Kaiser.

Rozette Kats wurde von einem fremden Ehepaar versteckt

Wäre Rozette Kats während der Nazi-Verfolgung nicht als Baby von einem fremden Ehepaar versteckt worden, hätten sie die braunen Machthaber wie ihre jüdischen Eltern in Auschwitz ermordet. Rozette hat überlebt, weil man ihr eine neue Identität gab. Weil aus Rozette Rita wurde. Jahrzehnte später erzählte sie ihre Geschichte dem Autor Lutz van Dijk und der Illustratorin Francis Kaiser, die daraus ein Buch über die einerseits traumatische Kindheit der kleinen Rozette alias Rita und über ihrer Lebenswillen andererseits machten. Heute berichtet Rozette Kats als Zeitzeugin vor allem in Schulen.

Das Buch über Rozette Kats „Damals hieß ich Rita“ ist im Peter Hammer Verlag erschienen.
Das Buch über Rozette Kats „Damals hieß ich Rita“ ist im Peter Hammer Verlag erschienen. © Peter Hammer Verlag | Peter Hammer Verlag

Der Stolperstein für Recha Saalfeld wird mit Rozette Kats von 17.30 Uhr an direkt vor der „Kalkberg Oase“ an der Hamburger Straße 66 verlegt. Um 19 Uhr beginnt dort die Lesung aus dem im Februar erschienenen Buch „Damals hieß ich Rita“ und der anschließenden Diskussionsrunde mit Rozette Kats, Lutz van Dijk und Francis Kaiser.

Recha Saalfeld fiel den Nazis mit 89 Jahren zum Opfer

Weitere Stolpersteine werden am Mittwoch, 5. Juni, verlegt. Der erste wird ab 10 Uhr in Erinnerung an Walter Schmidt an der Kurhausstraße 44 gesetzt. Von 11 Uhr an folgen die Stolpersteine für Flora, Frieda und Cäsar Steinhof an der Lübecker Straße 12. Flora Steinhof, geboren am 1. März 1906, war verheiratete Schochat und floh 1933 vor dem NS-Regime ins britische Mandatsgebiet Palästina, dem heutigen Israel. Cäsar Steinhof, geboren 16. April 1909, Irma Stern, 7. Juni 1895 als Irma Labowsky geboren, und Frieda Weinmann, 23. März 1912 als Frieda Steinhof geboren, folgten ihr.

Recha Saalfeld war mit 89 Jahren die älteste Jüdin aus Bad Segeberg, die trotzdem noch den Nazis zum Opfer fiel. Sie hat wie die meisten Jüdinnen und Juden eine qualvolle Odyssee durchleben müssen. Und wurde doch noch im KZ Theresienstadt von den NS-Verbrechern ermordet. Sie verhungerte.

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Recha ging in die Mädchenschule

Recha Saalfeld wurde am 23. September 1853 in Segeberg geboren (Segeberg erhielt erst am 1. Oktober 1925 den Status Bad) und war die Tochter von Rahel Levy, geborene Oljeniek, und Abraham Levy. Sie wuchs in Segeberg auf und besuchte neben dem Religionsunterricht in der Synagoge an der Lübecker Straße die Mädchenschule an der Ostseite der Marienkirche.

Recha hat in Segeberg ihren Schulabschluss absolviert, bevor die Familie 1868 nach Lübeck zog. Da war Recha 15 Jahre alt. Am 6. Juli 1881 heiratete sie den sieben Jahre älteren Maler Salomon Selig Saalfeld, während ihre jüngere Schwester Fanny dessen jüngeren Bruder Jacob ehelichte.

Ein Jahr nach der Hochzeit, am 29. Juni 1882, brachte Recha ihren Sohn Albert zur Welt, der später nach Berlin zog, dort heiratete und am 31. Juli 1914 eine Tochter namens Ruth bekam. Albert, Rechas einziges Kind, fiel im Oktober 1917 im Ersten Weltkrieg. Enkelin Ruth konnte rechtzeitig vor den Deportationen der Juden in die Vernichtungslager aus Nazi-Deutschland fliehen.

Im Wald erschossen und verscharrt

Doch der Tod blieb eine Konstante in Recha Saalfelds Leben. 1924 starb ihre Schwester Fanny, 1935 ihr Mann Siegfried. Recha lebte nun in einem jüdischen Altersheim neben der Lübecker Synagoge, später Carlebach-Synagoge, und musste deren Schändung in der Reichs-Pogromnacht miterleben.

Ende 1941 deportierten die braunen Machthaber viele Jüdinnen und Juden nach Riga ins neu geschaffene Reichskommissariat Ostland, darunter auch den Hamburger Oberrabbiner Dr. Joseph Carlebach und seine Familie – und die Familie Saalfeld. Bei einer Kälte von 30 bis 40 Grad minus, die Gebäude teilweise ohne Dach, ohne ausreichendes Essen vegetierten die Deportierten in Ställen und Scheunen.

Im Frühjahr 1942 wurden sie im nahegelegenen Waldstück Bikermieki erschossen und in Massengräbern verscharrt, darunter wieder die Familie Carlebach und Mitglieder von Recha Saalfelds Familie. Weitere Familiemitglieder verschleppten die Nazis im Oktober 1941 in das Ghetto von Lodz. Im 70 Kilometer davon entfernten Dorf Chelmno hatten die Schlächter ein als „Schloss“ bezeichnetes Gebäude besetzt und „erprobten“ dort die Ermordung der Juden durch Vergasung.

Töten mit Autoabgasen

Immer 40 bis 50 Juden wurden nach der Ankunft mit einer Kleinbahn in das Schloss geholt. Am Hinterausgang wartete ein Lkw, in den die Juden gedrängt wurden. Der Motor des Fahrzeugs wurde angelassen. Über einen Schlauch strömten die Abgase in den hermetisch abgedichteten Innenraum. Nach 20 bis 30 Minuten trat qualvoll der Tod ein, und der Lkw fuhr zu einem Massengrab im Wald.

Recha Saalfeld deportierten die Nazis am 19. Juli 1942 von Hamburg ins KZ Theresienstadt, angeblich in ein jüdisches Alternheim. Die letzten drei Kilometer in das Lager musste die mittlerweile 88-jährige Frau zu Fuß gehen. Sie kam in einen großen Raum, ihr Bett war ein Bündel Stroh, bevor sie ein Zimmer erhielt. In Theresienstadt ermordeten die NS-Schergen die Juden nicht mit Gas und durch Erschießen. Sondern durch Hunger und Vernachlässigung. Recha Saalfeld verhungerte wenige Wochen nach ihrer Ankunft kurz vor ihrem 89. Geburtstag.

Stolperstein vor der Kalkberg-Oase

Seit 2010 erinnert ein Stolperstein vor einem Lübecker Altersheim an sie. Nun wird am Sonnabend, 1. Juni, ein Stolperstein für Recha Saalfeld in ihrer Geburtstadt Bad Segeberg gesetzt. An welcher Straße Recha Saalfeld als Kind und Jugendliche im damaligen Segeberg gelebt hat, ist nicht bekannt. Ihre Eltern Levy hatten Immobilien an der Mühlenstraße, die heute nicht mehr existieren. Daher wird der Stolperstein in der unmittelbaren Nähe des Wohnsitzes ihres Onkels Hirsch Levy, genannt Levin, vor der Kalkberg Oase gesetzt.