Seth. Ostküstenleitung: Auf der Mega-Baustelle im Kreis Segeberg kommt ein einzigartiges Verfahren zum Einsatz. Das ist nicht ungefährlich.
Als Freizeit-Gadget, für schöne, spektakuläre Urlaubsaufnahmen sind Drohnen längst etabliert. Manche denken, das Fliegen sei so einfach wie ein Videospiel. Das mag sein, wenn man nur einen Strand im Sonnenuntergang fotografiert. Doch wer Axel Weckschmied bei der Arbeit zuschaut, erlebt etwas anderes, nämlich einen professionellen Piloten, der ein Fluggerät präzise steuert, das mit einem Wert von rund 40.000 Euro fast so teuer ist wie ein Mittelklasse-Auto. Er hat einen Job, den in Deutschland tatsächlich kaum jemand macht: Sein Spezialeinsatzgebiet sind Stromtrassen. So wie derzeit die künftige Ostküstenleitung, also die aktuell größte Baustelle im Norden.
Weckschmied erfüllt hier mit seiner Firma Hexapilots, die ihren Sitz in Dresden hat, einen Sonderauftrag. Denn der Netzbetreiber Tennet und das ausführende Unternehmen LTB aus Radebeul müssen die Versorgungssicherheit stets gewährleisten. Das ist logistisch nicht so einfach, denn die bestehende, über 50 Jahre alte 220-Kilovolt-Trasse wird zwar durch eine 380-Kilovolt-Leitung ersetzt. Allerdings ist es nicht möglich, den Neubau als Freimasten oder unterirdisch zu verlegen und dann bloß einen Schalter umzulegen. Vielmehr ist eine dritte Trasse, nämlich eine provisorische, nötig.
Mega-Baustelle Ostküstenleitung: Hightech-Dronen im Einsatz
„Der Bestandsmast wird abgerissen, ersetzt durch einen Neubau. Das geht erst dann, wenn wir die Leiterseile auf das Provisorium umverlegen, um Baufreiheit zu schaffen. Das ist wie eine Brücke, wir leiten den Verkehr um“, erklärt Paul Braun, Bauprojektleiter von Tennet. Es gebe mehrere Provisorien, „insgesamt acht bei der Ostküstenleitung“. Dieses hier sei knapp 2,2 Kilometer lang. Der Materialeinsatz ist enorm, „bei einem Provisorium ungefähr 600 Tonnen“. Braun: „Wir werden im Herbst systemweise abschalten und die Leitungen verschwenken. Das wird bis zur Inbetriebnahme der neuen 380-Kilovolt-Leitung so bleiben.“
Für die Übergangslösung, die Masten sind übrigens wiederverwendbar, müssen erst Drohnenleinen (fünf Millimeter), dann Vorseile (12 und 18 Millimeter) und schließlich die Leiter-Seile (32 Millimeter) gespannt werden. Und das erledigt Axel Weckschmied mit seinen zwei Drohnen, die er im Wechsel mit einem Kollegen steuert. „Ich brauche eine unheimlich zuverlässige Drohne, die auch bei Starkwind, also sechs bis acht Meter pro Sekunde, steht. Dann kann ich nah an den Mast heran, durch Seile navigieren. Die Drohne ist komplett regengeschützt.“ Die Montage auf dem Mast übernehmen Crews des Leitungsbauers LTB. Allerdings nur, wenn es nicht zu windig ist, sonst ist die Arbeit zu gefährlich.
Drohnen können bis zu 20 Kilo tragen
25 Kilo schwer ist die Drohne, sie trägt zwei Akkus, die jeweils eine Laufzeit von rund 30 Minuten haben. „Nach zwei Leinen wechsle ich die Akkus. Ich habe zehn dabei.“ Die werden permanent im Transporter mittels eines 220-Volt-Wechselrichters geladen, der Motor läuft deswegen auch ohne Pause, anders geht es nicht. „Der Rahmen und die Rotoren kommen aus China, die Elektronik ist von einem Open-Source-Projekt, das andere baue ich alles selber zusammen.“
Mit Funkfernsteuerungen werden die Drohnen gelenkt. Für Weckschmied ist das Routine, die Seile werden ohne Wackler durch die Luft gezogen. Die Drohne könne 15 Kilogramm, auch mal 20, tragen. Technisch wäre das Fluggerät sogar in der Lage, auf bis zu 2,5 Kilometer steigen, doch das ist in Deutschland verboten. „Das darf ich nicht.“ 120 Meter ist die regulär (auch für den Freizeitgebrauch) gestattete Höhe, mit einer Ausnahmegenehmigung kann Weckschmied auch einmal auf 180 Meter gehen. „Aber hier fliegen wir nur zehn Meter über dem Mast. Und auf der Höhe ist kein bemannter Flugverkehr. Wenn doch, bin ich das geringste Problem.“ Dennoch gilt: „Ich muss bei der Luftfahrtbehörde eine Betriebsgenehmigung einholen, jeden Flug anmelden.“
Einen Lehrberuf „Drohnenpilot“ gibt es bisher nicht
Die Branche der Drohnenfirmen für den Stromtrassen-Bau ist rekordverdächtig klein. „Wir machen das seit 2010, wir sind die Einzigen in Deutschland“, sagt Weckschmied, dessen Firma mit vielen Netzbauern Verträge hat. „Man muss ein Faible dafür haben.“ Nebenbei, das ginge nicht, und man müsse auch gern bei jedem Wetter draußen sein. Er ist eigentlich Softwareingenieur, hat in Informatik promoviert.
Einen Lehrberuf „Drohnenpilot“ gibt es nicht, sondern spezielle Trainingskurse und Fortbildungen. Ausnahmen sind die Bundeswehr, dann eben für eine militärische Nutzung, oder auch das Bundesamt für Katastrophenschutz. „Eigentlich müsste es eine Ausbildung geben“, so Weckschmied, er findet, dass insbesondere die großen Netzbetreiber daran ein Interessen haben sollten.
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Theoretisch könnte die Arbeit auch ein Helikopter erledigen. Und das geschieht auch. Aber nicht, wo es eine Alternative gibt. „Die Drohne ist effizienter und nachhaltiger, die Schallemissionen sind deutlich niedriger“, sagt Paul Braun. Gerade für kürzere Abschnitte sind Drohnen prädestiniert, auf größeren, geraden Strecken ist ein Helikopter dann doch manchmal schneller.
Ostküstenleitung: Eventuell könnte sich Fertigstellung nach hinten verzögern
Die gesamte Ostküstenleitung, die von Ostholstein auf 160 Kilometern Länge bis an die Autobahn 7 führen wird, soll 2027 fertig sein, der erste Abschnitt, also jener im Kreis Segeberg, könnte schon früher betriebsbereit sein. Sören Wendt, Bürgerreferent bei Tennet, sagt allerdings: „Wir sind gerade dabei, eine Übersicht zu erstellen – was bedeutet das Wetter der letzten Monate, was ist mit den weltweiten Lieferketten, ob der Zeitplan sich eventuell noch verändern wird. Wenn, dann zum Negativen.“
Frost gab es wenig, doch der Winter war zu nass, das hindert insbesondere die unterirdischen Arbeiten für die Düker in Kisdorferwohld und Henstedt-Ulzburg. Für das geplante Umspannwerk am Beckershof an der A7 sollen in den kommenden Monaten zumindest die ersten vorbereitenden Arbeiten, etwa der Bau von Zuwegungen, beginnen.