Henstedt-Ulzburg/Kiel. Unfall in Henstedt-Ulzburg: Familie des Opfers trauert um den Bruder und Familienvater und ist fassungslos über die Gegenseite.
Es war ein hochemotionaler Prozess für die Angehörigen des getöteten Motorradfahrers Antonio Manuel A. (58), aber auch für den wegen fahrlässiger Tötung verurteilten Fahrer eines Radladers: Vor zwei Jahren hatte der Angeklagte (37) am Steuer der Baumaschine dem Motorradfahrer beim Linksabbiegen auf einer gut überschaubaren Straße in Henstedt-Ulzburg die Vorfahrt genommen.
Die Achtlosigkeit des schon mehrfach als Raser im Straßenverkehr aufgefallenen Angeklagten hatte tödliche Folgen für den motorradbegeisterten Familienvater. Der 58-Jährige konnte seine soeben durch den TÜV gebrachte „Harley Davidson“ auf der Heimfahrt vor der plötzlich auftauchenden Baumaschine nicht mehr bremsen.
Opfer wurde gegen Heck des Radladers geschleudert
Als das Vorderrad des Motorrads blockierte, flog der Fahrer über den Lenker und prallte mit dem Kopf gegen das Heck der schweren Baumaschine, die plötzlich auf seiner Fahrbahn auftauchte. Der Familienvater hinterlässt Ehefrau und zwei erwachsene Töchter.
Und einen Bruder, der ebenfalls Motorrad fährt. „Wir waren oft gemeinsam auf unseren Harley Davidson-Maschinen unterwegs“, erzählt Jose Amaro (59). „Zusammen fuhren wir im Urlaub bis nach Kroatien“. In einer Verhandlungspause zeigt der gebürtige Portugiese auf dem Handy ein Porträtfoto des Verstorbenen.
Landgericht: Statt Bewährungsstrafe nun Geldstrafe
In erster Instanz hatte das Amtsgericht Norderstedt den Angeklagten im Juni 2023 wegen fahrlässiger Tötung zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Der 37-jährige legte Rechtsmittel ein – mit Erfolg: Am Montag wandelte eine Berufungskammer des Kieler Landgerichts die Bewährungsstrafe in eine Geldstrafe um.
Der Angeklagte, der sein Nettoeinkommen als Ingenieur auf 4000 bis 6000 Euro bezifferte, muss jetzt 18 000 Euro Geldstrafe (180 Tagessätze á 100 Euro) zahlen. Die Staatsanwältin hatte weiterhin neun Monate Freiheitsstrafe, die Verteidigung eine Geldstrafe auf Bewährung gefordert.
„Täter schiebt die Schuld auf das Opfer“
Im Prozess hatte sich auch der Angeklagte als begeisterter Motorradfahrer mit fahrtechnischem Sachverstand auf zwei Rädern geoutet. Warum er trotzdem die Maschine des Opfers „übersah“, die ihm laut Gutachten weithin sichtbar auf dem Kirchweg mit Fahrlicht und maximal 65 km/h entgegenkam, konnte er nicht erklären.
Erst in der Berufungsverhandlung hatte sich der 37-Jährige zu seiner Verantwortung für den Tod des Opfers bekannt. Laut Urteil zeigte er nun erstmals Betroffenheit, Einsicht und Reue. Gleichzeitig äußerte er aber auch massive Kritik am Bremsverhalten des Getöteten: „Ich hätte mir gewünscht, dass er besser bremst.“
In dieser Bemerkung sah der Anwalt der Hinterbliebenen den Versuch des Täters, seine Schuld am Tod auf das Opfer zu schieben. Empört reagierten die Angehörigen auch auf die Vermutung des Verteidigers, der Helm des Getöteten sei „nicht zugelassen“ gewesen.
Motorradfahrer starb an Genickbruch
Zudem meldete der Verteidiger pauschal Zweifel an der Todesursache an, die nicht hinreichend geprüft worden sei. Die Bemerkung, das nicht obduzierte Opfer hätte „theoretisch auch einen Herzinfarkt“ erleiden können, machte die Hinterbliebenen fassungslos.
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Doch am Ende stand für das Gericht zweifelsfrei fest, dass Antonio Manuel A. unmittelbar nach dem Aufprall an einem Genickbruch starb. Dies hatte noch am Todestag, dem 1. April 2022, eine Notärztin notiert. Daraufhin gab die Staatsanwaltschaft die Leiche zur Bestattung frei.
Täter zeigte Reue und Verantwortung
„Dem Verstorbenen kann kein Vorwurf gemacht werden“, erklärte der Vorsitzende der Berufungskammer, Gunther Döhring. Für den Angeklagten sprächen jedoch neue Strafmilderungsgründe. So habe der 37-Jährige inzwischen je 4000 Euro Wiedergutmachung an die Witwe und die beiden Töchter überwiesen.
Der Familie schickte er ein Entschuldigungsschreiben. Auch dies ist laut Urteilsbegründung als Teil eines Täter-Opfer-Ausgleichs zu berücksichtigen. Dabei spiele es keine Rolle, dass die Familie die späte Entschuldigung nicht angenommen habe.
Optimale Bremsung hätte Unfall verhindert
Die Feststellung des Sachverständigen, das Motorrad hätte bei optimaler Notbremsung ohne Sturz des Opfers noch vor dem Radlader zum Halten kommen können, wertete das Gericht ebenfalls strafmildernd. Von einer „leichten Fahrlässigkeit im untersten Bereich“, wie sie die Verteidigung sah, könne aber keine Rede sein.
„120 bis 130 Meter Straße lagen frei und übersichtlich vor dem Angeklagten“, sagte Döhring. Die Frage, ob der Angeklagte beim Abbiegen das Motorrad vielleicht doch wahrnahm und dachte „Das schaffe ich noch“, hatte im Prozess allerdings nur der Verteidiger gestellt. Eine „bewusste Fahrlässigkeit“ schloss er ohne Begründung aus.
Angeklagter als rücksichtsloser Raser bekannt
Gegen den Angeklagten sprachen zahlreiche Vorerkenntnisse: Demnach fiel er im Straßenverkehr schon vier Mal als Raser auf. Vor dem tödlichen Unfall vom 1. April 2022 kassierte er bereits zwei Fahrverbote. Und schon zehn Tage danach wurde er erneut als Raser geblitzt. Auch 2023 wurde er wieder bei einer Tempoüberschreitung ertappt.
Zudem war der Angeklagte in den Jahren 2010 und 2013 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Darüber hinaus fiel er schon als Jugendlicher wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und räuberischer Erpressung auf.
Wegen schweren Raubes mit Körperverletzung hatte ihn das Landgericht Hamburg im August 2005 zu anderthalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Seine letzte Vorstrafe wegen besonders schweren Diebstahls liegt laut Register allerdings schon zehn Jahre zurück.