Norderstedt. Verwaltungsgericht: Bußgelder für Starts nach 23 Uhr rechtswidrig. In Norderstedt bringt die Entscheidung einen Mann besonders in Rage.

Er sei regelrecht schockiert gewesen, als er von diesem Gerichtsbeschluss in Hamburg hörte. „Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hamburg ist ein Schlag ins Gesicht aller unter Fluglärm leidenden Menschen in Hamburg und Norderstedt“, sagt Reimer Rathje. Der Anti-Fluglärm-Aktivist, der seit Jahren als Stadtvertreter und Fraktionschef der Wählergemeinschaft Wir in Norderstedt (WiN) auch kommunalpolitisch aktiv ist, befürchtet nun noch mehr Fluglärm zu später Stunde über Norderstedt.

Condor und Lufthansa hatten vor dem Verwaltungsgericht Hamburg gegen die sogenannten Verspätungsgebühren des Flughafens Hamburg geklagt. Die Hamburger Umweltbehörde hatte bislang von Airlines, die zwischen 23 und 0 Uhr auf dem Flughafen landeten oder starteten, Ordnungsgebühren für die Prüfung der Unvermeidbarkeit des Starts oder der Landung in Höhe von bis zu 750 Euro erhoben. Doch das Gericht teilte mit, dass dafür die generelle Rechtssicherheit fehle und der eingeschränkte Betrieb des Flughafens rechtlich erst ab 0 Uhr abgesichert sei. Als Reaktion darauf hatte der für den Lärmschutz zuständige Umweltsenator Jens Kerstan die Forderung nach Ordnungsgeld gegen verspätete Airlines vorerst eingestellt.

Rathje befürchtet sprunghaften Anstieg der Flugbewegungen nach 23 Uhr

Reimer Rathje (WiN) kämpft seit Jahren gegen Fluglärm in Norderstedt..
Reimer Rathje (WiN) kämpft seit Jahren gegen Fluglärm in Norderstedt.. © FMG | Claas Greite

„Ist doch klar, was passiert, wenn Airlines beim Verstoß gegen Verspätungsregeln keine Strafe zu fürchten haben“, sagt Reimer Rathje. „Jetzt müssen die Fluggesellschaften für nachlässige Umlaufplanungen oder gar für vorsätzliche Starts und Landungen nach 23 Uhr nicht mehr mit Folgen rechnen. Es wird jetzt zu deutlich mehr Flugbewegungen in dieser wichtigen Ruhezeit kommen.“

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Bereits mit den bisherigen Sanktionen habe es in vergangenen Jahr 809 Verspätungen gegeben. „Das sind etwas mehr als zwei Flüge, die jeden Tag des Jahres zwischen 23 und 24 Uhr flogen und die nicht unerhebliche Gebühren in Kauf nahmen. Da muss man kein Hellseher sein, um vorherzusagen, dass diese Zahl sprunghaft ansteigen wird“, sagt Rathje.

Auf den Straßen wird nachts wegen Verkehrslärm geblitzt

Rathje und seinen Mitstreitern bei der WiN komme die Situation mittlerweile absurd vor. „Im gesamten vom Fluglärm betroffenen Gebiet rund um den Flughafen Hamburg, in Norderstedt wie auch in Hamburg, gibt es zum Beispiel auf den Durchgangsstraßen Tempo-30-Lärmschutzbereichen in der Zeit von 22 bis 6 Uhr morgens“, sagt Rathje. „Wenn da ein Auto um 22 Uhr mit 50 durchfährt, blitzt es sofort und Bußgelder sind fällig.“ So ist das zum Beispiel auf der Niendorfer Straße in Norderstedt-Garstedt, direkt unter der Einflugschneise des Flughafens. Während am Boden Autos geblitzt und abkassiert würden, blieben weitaus lärmintensivere Flugzeuge am Himmel sogar nach 23 Uhr nun unbehelligt von Ordnungsgeldern.

Rathje und die WiN fordern, dass der Hamburger Senat nun schnell reagieren müsse. „Wir fordern, dass Starts und Landungen in begründeten Fällen nur noch mit Ausnahmegenehmigung nach 23 Uhr stattfinden dürfen“, sagt Rathje. „So wie es bislang ab Mitternacht gilt.“ Genau das hat Hamburgs Umweltsenator Kerstan angekündigt. Man arbeite ambitioniert an der Einführung dieser Regelung. Doch bei der für den Flughafen zuständigen Wirtschaftsbehörde bewertet man die Lage anders: Man sehe keinen Bedarf für eine neue Regelung, hieß es aus der Behörde am Mittwoch. Ausgang offen.

„Nächtliche Flugbewegungen müssen für einen Cityflughafen wie Hamburg die absolute Ausnahme bleiben!“, sagt Reimer Rathje und hofft unterdessen, dass die Stadt Norderstedt in der Fluglärmschutzkommission mit allem Nachdruck dafür sorgen wird, dass die Umweltbehörde zumindest den vom Gericht aufgezeigten Lösungsweg zur Erhebung von Gebühren bei verspäteten Starts und Landungen vehement unterstützt.

Rathje empfiehlt sich für Fluglärmschutzkommission

Apropos Fluglärmschutzkommission: Dort hatte die abgewählte SPD-Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder bis zuletzt sogar den Vorsitz inne. Sie sei in der letzten Sitzung des Gremiums verabschiedet worden, teilt Bernd-Olaf Struppek, Sprecher der Stadtverwaltung Norderstedt, mit. Wer künftig die Stadt in der Kommission dauerhaft vertrete, das wolle die neue Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder im Gespräch mit den Fraktionsspitzen der Parteien der Stadtvertretung besprechen, heißt es weiter. Zuletzt habe die Aufgabe in der Kommission der Hauptamtsleiter Hauke Borchardt übernommen.

„Es kann natürlich nicht sein, dass man vor jeder Sitzung der Lärmschutzkommission im Rathaus mal schaut, wer gerade Zeit hat“, sagt Reimer Rathje. „Da braucht es schon jemanden, der sich fortlaufend eng mit dem Thema befasst. Ich würde meinen Hut da auch in den Ring werfen. Es muss ja nicht unbedingt ein Vertreter der Verwaltung für Norderstedt in die Kommission.“