Henstedt-Ulzburg. Inhaber wollen beliebtes Geschäft in Henstedt-Ulzburg aus Altersgründen abgeben. Für die Menschen ist der Laden unverzichtbar.
Es ist kaum vorstellbar. Die Gemeinde Henstedt-Ulzburg ohne die Buchhandlung Rahmer, also die einzig verbliebene im Ort? So weit muss es auch gar nicht kommen. Doch jetzt haben Almut und Henning Rahmer offiziell bestätigt, was sowieso schon seit einiger Zeit großes Gesprächsthema ist. Das Ehepaar, das im Einzelhandel eine Institution ist, will sich nach 32 Jahren zurückziehen, in den Ruhestand gehen, „einen weiteren Lebensabschnitt beginnen“, wie es Henning Rahmer (70) sagt. Und zwar schon in diesem Herbst. Und deshalb wird derzeit dringend nach einer Nachfolgerin und einem Nachfolger gesucht. Denn, und diese Botschaft steht über allem: Es soll auf jeden Fall weitergehen an der Hamburger Straße.
Kurzer Rückblick: 1992, kurz nach der Wende also, hatten die Rahmers (er kommt aus Südwestfalen, sie aus der Region um Wolfsburg) bundesweit nach einer Buchhandlung gesucht, die sie übernehmen könnten. Verhandlungen führten sie auch im Süden oder in den neuen Bundesländern, doch letztlich wurden sie unweit von Hamburg, wo sie wohnten, fündig. Im damaligen Ulzburg-Center übernahmen sie den Laden von C. H. Wäser. Sie haben sogar noch die alte Zeitungsannonce aufbewahrt. „Als Buchhändlerehepaar werden wir Sie auch weiterhin fachlich und kompetent beraten, und am 1. Juli begrüßen wir Sie mit einem Gläschen Sekt.“
Henstedt-Ulzburg: Ruhestand im Herbst – Buchhandlung Rahmer sucht Nachfolger
Sie fingen mit 80 Quadratmetern Fläche an, erweiterten und modernisierten auf 100 Quadratmeter und dann sogar auf 160 Quadratmeter. „Wir wurden derartig gut angenommen, dass wir das erste Weihnachtsgeschäft kaum geschafft haben.“ Aber mit der Zeit wuchs die Unzufriedenheit, auch, weil sich abzeichnete, dass die Eigentümer des Einkaufsquartiers einen Abriss der Gebäude und einen Verkauf vorhatten.
Und so zog man dorthin, wo die Buchhandlung heute noch ist: In eine Immobilie an der Hamburger Straße, in direkter Nachbarschaft zur Gemeindebibliothek („eine super Synergie“) und zur Volkshochschule, also in eine gute Lage. Was hier vorher war, mutet kurios an: Nämlich ein Kaufmann, der Brillengestelle aus Asien günstig importierte und dann gewinnbringend an Optiker verkaufte. „Ein super Geschäftsmodell“, erinnert sich Henning Rahmer. Der Inhaber verlagerte seinen Schwerpunkt dann aber nach Hamburg, sodass der Laden frei wurde. „Und seine Frau war eine begeisterte Leserin.“ Daher kannte man sich – und wurde sich einig.
Rahmer: „Moderate Miete von 2900 Euro brutto für 240 Quadratmeter“
„Wir hatten ein Auge hierauf. Auch, weil die Gemeindebücherei hier drüber ist. Wir sahen die Synergieeffekte. Und wir haben hier auch 160 Quadratmeter, dazu noch 80 Quadratmeter Nebenfläche, es könnte noch erweitert werden. Und wir haben eine moderate Miete“, so Rahmer, „von 2900 Euro brutto für 240 Quadratmeter, das ist fair.“ Es gibt gute und schlechte Seiten bezüglich der Lage. Die Gemeindebücherei, die VHS nebenan, das sind Pluspunkte, auch die kostenlosen Parkplätze vor der Tür. Aber man habe weniger Laufkundschaft, so Rahmer, das Rathaus ist in gewisser Weise eine Grenze zum CCU.
Dennoch: „Wir haben täglich neue Kunden, neue Familien, mit kleinen Kindern, die sind heilfroh, dass es uns gibt. Hier kommen mittlerweile die Enkel unserer Kunden von vor 32 Jahren.“ Gemäß Studien soll in Deutschland ein Viertel der Kinder aus vierten Klassen Leseschwächen haben. Ob er davon etwas merke? „Nein“, sagt Rahmer. „In Henstedt-Ulzburg gibt es ein etwas höheres Bildungsniveau, die Eltern sind gut ausgebildet.“
Onlinehandel betreibt die Buchhandlung Rahmer nicht
Bewusst gilt: Zwar ist es möglich, im Internet Bücher zu bestellen, abgeholt werden diese aber in der Regel im Geschäft. Nachfolger könnten den Onlinehandel gerne erweitern. „Es gibt hier Potenzial, man kann viel mehr Non-Books anbieten, das wird dankbar angenommen, diese Zettelkästen, Lesezeichen, Kugelschreiber, Frühstücksbrettchen, Brillenputztücher, auch Papeterie – das gibt es in Henstedt-Ulzburg nicht.“
Auch für Veranstaltungen gibt es an der Kasse Karten, es ist ein unentgeltlicher Service für Vereine, das erhöht die Bindung zur Bevölkerung. „Wir wollen ein gesundes Miteinander.“ Henning und Almut Rahmer fühlen sich ihrerseits längst als Henstedt-Ulzburger, wohnen nur fünf Minuten entfernt, „wir wollen hier bleiben. Aber man ist und bleibt hier Zugereister“.
„Wir schaffen das Weihnachtsgeschäft kräftemäßig nicht mehr“
Den Gedanken, aufzuhören, haben er und seine Frau aber seit Jahren. In der Tat verhandelte man bereits mit einem potenziellen Nachfolger, das zerschlug sich dann, die Person soll aber auch jetzt Interesse haben, deutet Rahmer an. „Wir haben keine überzogenen Übernahmeerwartungen.“ Auch nicht finanziell, es gebe eben einen gewissen Geschäftswert. Für Quereinsteiger wäre die Branche ebenso geeignet, Rahmer kennt erfolgreiche Beispiele, es gebe dafür sogar spezielle Crash-Kurse an der Deutschen Buchhändlerschule in Frankfurt/Main.
Die Räume habe man zum 30. September dieses Jahr gekündigt. Diesmal endgültig, denn „wir schaffen das kommende Weihnachtsgeschäft kräfte- und nervenmäßig nicht mehr“. Das umsatzstarke vierte Quartal wolle man bewusst dem Nachfolger oder der Nachfolgerin überlassen. Die einzige Bedingung: Die Mitarbeiterinnen sollen übernommen werden.
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Henstedt-Ulzburg: Ohne Nachfolger werden „am 30. September die Lichter ausgehen“
Ein Risikogeschäft sei der Buchhandel nicht. „Wir haben eine Preisbindung für Druckerzeugnisse“, betont er. Die gibt es in Deutschland schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. „Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat uns mal das Kompliment gemacht, er hat bewusst gesagt: Die Buchhandlungen sind die geistigen Tankstellen Deutschlands.“ Sprich: Man habe eine „sichere Existenz“, die Marge könne bei 30 Prozent liegen.
Bleibt eine Frage: Was ist, wenn sich niemand findet, der die Buchhandlung übernimmt? Henning Rahmer stellt klar, dass seine Frau und er dann keinesfalls noch ein Jahr ranhängen. „Wir können loslassen, unsere privaten Interessen mehr pflegen.“ Im Geschäft würden dann „am 30. September die Lichter ausgehen“. Die Rahmers wären für die Entsorgung verantwortlich, es gäbe einen Ausverkauf des Warenbestandes – eine traurige Vorstellung für alle Buchfreunde. „Das kann passieren, wenn alle Stricke reißen.“ Aber, so Henning Rahmer: „Wir sind weiter zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, wir geben die Hoffnung nicht auf und haben noch ein paar kleine Eisen im Feuer.“